Mittelschwaebische Nachrichten
„Irgendwann kommen wir an unsere Grenzen“
Mehr als 4300 Bürger engagieren sich im Landkreis Günzburg bei den Feuerwehren. Warum die Personalnot dennoch immer größer wird und mit welchen Lösungen diesem Trend entgegengesteuert werden könnte
Landkreis Die Meldungen reißen nicht ab. Seit Jahren heißt es, dass landauf, landab die Feuerwehren mit Personalproblemen kämpfen, immer mehr Ehrenamtliche wegbrechen. Jetzt scheint es richtig akut zu werden: Im Landkreis Schweinfurt wurde kürzlich eine ganze Feuerwehr wegen Personalnot aufgelöst. Nur ein Einzelfall oder ein Trend? Ganz von der Karte verschwunden ist im Landkreis Günzburg zwar noch keine Wehr, aber immer mehr schließen sich zusammen. Erst im vergangenen April fusionierten die Behlinger und Rieder Truppe zu einer gemeinsamen. Es ist wohl das Modell der Zukunft, ist auch Kreisbrandrat Robert Spiller überzeugt. Noch sei die Region nahezu auf einer „Insel der Glückseligen“, Nachwuchs komme zum Glück immer nach. „Aber wir spüren den Rückgang im Erwachsenenbereich. Irgendwann kommen wir an unsere Grenzen.“
Es hat schleichend angefangen. Im April 2010 schlossen sich die damals 13 Aktiven der Goldbacher Feuerwehr den Wettenhausern an und bilden seitdem eine Löschgruppe der Wettenhauser Wehr. Es waren einfach zu wenig Mann, um die vom Feuerwehrgesetz geforderte Mannschaftsstärke zu erreichen. Im Oktober desselben Jahres gab der kleinste Kötzer Ortsteil Ebersbach ebenfalls seine eigenständige Wehr auf. Auf eigenen Wunsch wurde sie in die Kleinkötzer Wehr eingegliedert. Weil zu Beginn des Jahres 2013 beide Kommandanten in Großanhausen ihr Amt abgaben und keine Nachfolger in Sicht waren, entschied sich die kleine Wehr, eine Löschgruppe von Burgau zu werden. Im vergangenen Jahr taten sich schließlich die Feuerwehren aus Behlingen und Ried zusammen. Zusammen mit Hohenraunau, die schon vor vielen Jahren eine Löschgruppe der Krumbacher Wehr geworden ist, sind im Kreis also fünf Ortsfeuerwehren weggefallen. Für Kreisbrandrat Spiller eine vertretbare Zahl. „Es ist bei uns glücklicherweise nicht so schlimm wie in anderen Ecken Deutschlands.“
Doch die Sorge, die die Verantwortlichen in vielen Regionen der Republik quält, teilt auch Spiller: Es ist deutlich spürbar, dass sich immer weniger Leute in ihrer Freizeit bei der Feuerwehr engagieren. Dies sei dem gesellschaftlichen Wandel geschuldet. Viele junge Leute ziehen fort, die, die bleiben, pendeln oft der Arbeit wegen, haben Schichtdienst und in ihrer Freizeit keine Lust auf ein knochenhartes Ehrenamt. „Die Freizeit zählt heute viel mehr als früher“, sagt Spiller. Wer will schon wie der Kreisbrandrat, allein 100 Abende im Jahr auf Dienstversammlungen, Inspektionen oder Einweihungsfeiern ver- bringen, die Einsätze noch nicht mitgerechnet? Führungskräfte zu gewinnen, sei besonders schwer, ein Kommandant habe viel Verantwortung, die Verwaltung werde immer mehr, die Vorschriften änderten sich ständig. Und wer sich doch dazu durchringe, bleibe oft nur noch kurze Zeit im Amt. Personen, die wie Spiller schon 17 Jahre ein- und dasselbe Amt bekleiden, gibt es nicht mehr viele.
Insgesamt wird die Personaldecke dünner. Viele Wehren, insbesondere kleinere, hätten vor allem tagsüber das Problem, bei Alarm nicht genügend Männer aufbringen zu können. Es sei schon schwierig genug, überhaupt die geforderte Mannschaftsstärke zu erreichen. Denn üblicherweise muss eine Feuerwehr aus drei Löschgruppen mit jeweils acht Mann bestehen, dazu kommen Kommandant, Stellvertreter und Gerätewart, was zusammen 27 Aktive ergibt. „Davon sind wir in manchen Ortschaften weit entfernt“, gibt Spiller zu.
Erstaunlicherweise bleibt jedoch der Nachwuchs auf einem konstant hohen Niveau. 662 Mädchen und Jungen zwischen zwölf und 17 Jahren haben sich im vergangenen Jahr bei den Wehren im Landkreis engagiert, sogar 14 mehr als im Jahr zuvor. „Es sieht ganz gut aus. Wir sind in der glücklichen Lage, dass wir sogar einen leichten Aufwärtstrend haben“, sagt Kreisjugendfeuerwehrwart Markus Link. Zu seiner Freude sind auch 110 von der Jugendin die Aktive Wehr übergetreten. Bei seiner Heimatwehr in Krumbach zahlt sich das aus, bei Einsätzen liege das Durchschnittsalter oft zwischen 23 und 25 Jahren.
Trotzdem will Link keinen Hehl daraus machen, dass es nicht nur immer schwieriger wird, Nachwuchs zu begeistern, sondern vor allem immer problematischer ist, diesen bei der Stange zu halten.
Das Thema Kinderfeuerwehr, von denen es inzwischen auch im Landkreis bereits fünf gibt, sieht der 32-Jährige eher kritisch. Die Meinung vieler, dass man die Kinder möglichst früh für die Feuerwehr begeistern müsse, in der Hoffnung, dass von den Kleinsten vielleicht der eine oder die andere den Weg in die Jugendfeuerwehr findet, kann Link nicht teilen. „Das ist reine Freizeitbespaßung, die Kinder dürfen aus rechtlichen Gründen nichts machen und wir brauchen zusätzlich jemanden, der eine Erzieherausbildung hat.“Links Credo lautet: „Wir müssen auf die Jugend setzen.“Ohne intensive Nachwuchsarbeit, da sind sich Link und Spiller einig, wird die Freiwillige Feuerwehr auf Dauer nicht überleben können.
Mit Werbung allein, einer Plakataktion oder einem Tag der offenen Tür sei es aber längst nicht getan. In Spillers Augen müssen sich auch die Kommunen mehr Gedanken machen. Eine Möglichkeit sei beispielsweise, die Feuerschutzabgabe, die 1993 abgeschafft wurde, wieder einzuführen. Männliche Mitglieder einer Gemeinde mussten bis zu diesem Zeitpunkt einen gewissen Beitrag zum Brandschutz leisten. „Jetzt muss man gar nichts mehr tun, man wartet ab, bis die Feuerwehr im Notfall kommt“, sagt Spiller. Und noch etwas müsste seiner Ansicht nach dringend geändert werden: Ehrenamtliche bekommen für ihre Einsätze eine kleine Aufwandsentschädigung – die sie jedoch versteuern müssen. „Da bleibt unterm Strich gar nichts übrig. Da müsste man dringend ansetzen“, findet der 60-Jährige. Noch sind die Freiwilligenzahlen im Landkreis Günzburg relativ konstant. Über 4300 Dienstleistende klingt „satt“, wie es Spiller ausdrückt. Doch umgerechnet auf die etwa 120000 Landkreisbewohner relativieren sich die Zahlen. In den nächsten 15 Jahren wird es wohl enger werden. Spiller prophezeit: „Da wird es einen kräftigen Wechsel geben, da fallen viele Ältere raus. Das Mittelfeld wird dann das große Problem werden.“