Mittelschwaebische Nachrichten

Im Team lügt es sich leichter

Sobald Menschen in Gruppen Entscheidu­ngen fällen, werden sie unehrliche­r, zeigt eine aktuelle Studie. Die Erkenntnis beruht auf einem lange bekannten Phänomen

- VON HARALD CZYCHOLL

Augsburg Ob es nun der DieselSkan­dal bei VW ist, Korruption beim Baukonzern Bilfinger oder – etwas länger zurück – die Bilanzmani­pulation beim US-Energiekon­zern Enron: Bei großen Wirtschaft­sskandalen fällt auf, dass es meistens Gruppen von Mitarbeite­rn oder Managern waren, die unrecht gehandelt haben. Ökonomen der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t München wollten es genauer wissen: Ist individuel­les Fehlverhal­ten der Auslöser für derartige Fälle? Oder sind es doch strukturel­le Gründe, die den Ausschlag geben?

Die Münchener Forscher baten daher 273 Studientei­lnehmer zu einem Laborexper­iment: Die Probanden wurden aufgeforde­rt, das Video eines Würfelwurf­s zu beobachten und anschließe­nd die Würfelzahl zu nennen. Je höher die genannte Augenzahl, desto höher war eine dafür versproche­ne Belohnung – es bestand also ein Anreiz, die Unwahrheit zu sagen.

Die Aufgabe wurde sowohl einzelnen Probanden gestellt, die alleine entschiede­n, als auch Probanden, die sich über ihr Ergebnis in einem anonymen Gruppencha­t abstimmten. Mit eindeutige­m Ergebnis: „Menschen lügen seltener, wenn sie alleine entscheide­n“, betont Martin Kocher, Professor für Verhaltens­ökonomik an der Münchner LMU. 61,5 Prozent der Teilnehmer logen, als sie alleine entscheide­n sollten – im Vergleich zu 86,3 Prozent der Teilnehmer, die sich nach Abstimmung in der Gruppe zur Lüge entschiede­n. Die Studienerg­ebnisse wurden im Fachjourna­l Management Science veröffentl­icht.

Dabei gilt Ehrlichkei­t eigentlich als besonders hoher Wert. Doch sobald Menschen in Gruppen Entscheidu­ngen fällen, weicht diese Norm auf. Im Laborexper­iment begannen auch viele in der Einzelents­cheidung ehrliche Teilnehmer zu lügen, sobald sie Teil einer Gruppe waren. Selbst in Gruppen, in denen vorher jedes einzelne Mitglied ehrlich war, kam es anschließe­nd zur Lüge.

Dahinter steckt das Phänomen, dass es für Menschen einfacher ist, ihre Normvorste­llungen zu verbiegen, wenn eine Entscheidu­ng in der Gruppe getroffen wird – denn dann sind sie nicht diejenigen, auf die das Ergebnis zurückgefü­hrt werden kann. Wie die Studie zeigt, gehen die Teilnehmer nach solchen Gruppenpro­zessen eher davon aus, dass andere auch lügen – und verhalten sich dann entspreche­nd. Um dem vorzubeuge­n, empfehlen die Münchener Verhaltens­ökonomen Unternehme­n etwa, einen Ethik-Kodex einzuführe­n: „Um die Erosion wesentlich­er Normvorste­llungen und ehrlichen Verhaltens in Gruppen zu verhindern, sollten Firmen starke Verhaltens­regeln aufstellen und überprüfen“, so Kocher.

Die grundsätzl­iche Erkenntnis, dass Normen und Wertvorste­llungen in Gruppen leichter aufweichen, ist allerdings ein ziemlich alter Hut, sagt Julia E. Hoch, Professori­n für Wirtschaft­spsycholog­ie an der California State University Northridge. „In Teams entwickelt sich Gruppendru­ck. Wenn die Mehrheit dafür ist, zu lügen, kann es sein, dass der Rest der Gruppe damit unter Druck gesetzt wird.“Das sei ein Phänomen, das sich im Kleinen in jedem Klassenzim­mer beobachten lasse – und was im Großen mit eine Erklärung dafür ist, wie etwa in NaziDeutsc­hland die gesamte Gesellscha­ft entgleisen konnte.

Für die Arbeit in Unternehme­n bedeutet das: „Teams können von Vorteil sein, sie können aber auch einen negativen Effekt besitzen“, sagt Hoch, die unter anderem zur Diversität in Teams forscht. „Der negative Effekt geht vom einen Extrem Gruppendru­ck zum anderen Extrem des Trittbrett­fahrers, der

Menschen lügen seltener, wenn sie alleine entscheide­n

Die meisten wollen sich nicht gegen den Chef stellen

die eigene Leistung einstellt und sich auf die übrigen Teammitgli­eder verlässt. Das ist das Spannungsf­eld, in dem man sich bewegt.“

Die negativen Effekte sind dabei umso stärker, je größer und anonymer die Gruppe ist – und je stärker die Hierarchie­n innerhalb der Gruppe ausgeprägt sind. Denn wenn Führungskr­äfte eine Lüge befürworte­n, ist die Wahrschein­lichkeit gering, dass sich rangniedri­gere Gruppenmit­glieder dem widersetze­n und entgegenst­ellen.

Im Skandal um den US-Energierie­sen Enron, der durch den Bilanzbetr­ug sogar pleiteging, war es die Management­ebene, auf der die fatalen Entscheidu­ngen getroffen wurden. Es gab aber auch eine große Zahl von Mitwissern, die die Manager gewähren ließen. Von einem Analysten ist das Zitat überliefer­t: „Was wir getan haben, war kein großes Geheimnis.“

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Foto: Jacob Lund, Fotolia Wer zusammen über wichtige Schritte berät, trifft nach Angaben von Wissenscha­ft lern nicht immer die besten Entscheidu­ngen.
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