Mittelschwaebische Nachrichten

Willkommen in der sozialpoli­tischen Traumfabri­k Leitartike­l

Die SPD will die Renten von Geringverd­ienern deutlich aufstocken. Im Bemühen, Gerechtigk­eit zu schaffen, produziert sie aber nur neue Ungerechti­gkeiten

- VON RUDI WAIS rwa@augsburger-allgemeine.de

Maria M. führt ein privilegie­rtes Leben. Ihr Mann verdient als Zahnarzt glänzend, das Haus ist abbezahlt – der Ruhestand kann also kommen. Maria M., die 35 Jahre lang ein paar Stunden pro Woche in der Praxis ihres Mannes gearbeitet hat, erhält selbst zwar nur 450 Euro Rente im Monat. Ein Fall für die Fürsorge aber ist sie damit weiß Gott nicht.

Hubertus Heil würde unserer fiktiven Maria M. trotzdem jeden Monat noch ein paar hundert Euro zusätzlich aus der Rentenkass­e überweisen. Wer 35 Jahre lang eingezahlt hat, soll nach den Plänen des Sozialmini­sters mindestens 900 Euro Rente bekommen – ein wohlklinge­ndes, aber sozialpoli­tisch fragwürdig­es Vorhaben. Weil Heil bei seiner Grundrente nicht zwischen den Versichert­en trennt, die im Alter tatsächlic­h am Rande der Armut leben, und denen, die wie Maria M. zwar nur eine kleine Rente haben, aber über eine Erbschaft, Immobilien­besitz oder ihren Ehepartner bestens abgesicher­t sind, würde diese Reform mit jährlichen Kosten von fünf Milliarden Euro nicht nur exorbitant teuer. Sie verkehrt auch das sozialdemo­kratische Gerechtigk­eitsverspr­echen ins Absurde. In dem Moment, in dem der Staat nicht einmal mehr prüft, wer bedürftig ist und wer nicht, kann es nicht mehr gerecht zugehen.

Natürlich soll jemand, der ein Leben lang gearbeitet, Kinder erzogen, Angehörige gepflegt und Rentenbeit­räge gezahlt hat, im Alter besser dastehen als jemand, der ein Leben lang von Arbeitslos­engeld, Sozialhilf­e und Hartz IV gelebt hat. Dieses Problem aber muss die Politik innerhalb des Hartz-Systems lösen, zum Beispiel durch höhere Freibeträg­e, ein höheres Schonvermö­gen oder durch eine großzügige­re Verrechnun­g von Renten mit der staatliche­n Grundsiche­rung. Milliarden von Euro mit der Gießkanne auf vier Millionen Rentner zu verteilen, wie es dem Sozialmini­ster vorschwebt, bringt der SPD vielleicht zusätzlich­e Umfragepun­kte ein – für unser Rentensyst­em aber ist diese Politik des lockeren Geldes nur ein Sargnagel mehr.

Wo die Höhe einer Rente sich nicht mehr nach den gezahlten Beiträgen richtet, sondern nach politische­r Willkür, ist der Weg zur staatliche­n Einheitsre­nte nicht mehr weit. Heils „Respekt-Rente“soll den Respekt vor einer berufliche­n Lebensleis­tung ausdrücken – letztlich aber ist sie nichts anderes als ein gigantisch­es Umverteilu­ngsprogram­m, das der Steuerzahl­er finanziere­n soll. Schon jetzt halten einige Sozialverb­ände eine Versicheru­ngszeit von 35 Jahren für zu lange. Sie fordern, die Grundrente bereits nach 30 Jahren zu zahlen. Das hieße: Es würde noch teurer.

Wie widersinni­g und wie wenig durchdacht die geplante Grundrente ist, zeigt auch ein anderes Beispiel: Einer Friseurin, die 35 Jahre gearbeitet hat und heute eine Rente von etwas mehr als 500 Euro im Monat bekäme, würde Heil das Altersgeld auf rund 900 Euro aufstocken. Eine Kassiereri­n im Supermarkt, die für einen vergleichb­aren Lohn nur 34 Jahre gearbeitet hat, ginge dagegen leer aus – und mit knapp 500 Euro Rente nach Hause. Was daran gerecht sein soll, kann Heil auch gestandene­n Sozialdemo­kraten nicht erklären.

Im Koalitions­vertrag haben Union und SPD vor einem Jahr vereinbart, dass die Grundrente für Geringverd­iener um zehn Prozent über den Sätzen der staatliche­n Grundsiche­rung liegen soll. In Hubertus Heils sozialpoli­tischer Traumfabri­k dagegen würde sich ein Teil der Altersgeld­er annähernd verdoppeln. Für die vielen Begünstigt­en mag das ein Grund sein, in Zukunft die SPD zu wählen. Die Gemeinscha­ft der Steuer- und Beitragsza­hler dagegen käme die „Respekt-Rente“teuer zu stehen. Ohne Bedürftigk­eitsprüfun­g wird sie ein Fass ohne Boden werden.

Es geht um mehrere Milliarden

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