Mittelschwaebische Nachrichten

Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (69)

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Mit zwanzig hatte ich Abitur und Führersche­in. Aber plötzlich bist du in Saudi-Arabien und hast keine Freiheiten mehr und musst verschleie­rt herumlaufe­n. Dort hatte mein Mann alle Rechte und ich alle Pflichten. Nein, das wollte ich nicht. Aber Hassan fand, ich sei hysterisch. Er fand, es sei alles in Ordnung, und lebte so, als wäre dieser Zustand eine Probe für das spätere richtige Leben, das aber nie kam. Er, der ehemalige Kommunist, ließ sich einen Bart wachsen, trug keine Krawatte mehr und färbte seine Stirn mit Bräunungsc­reme.“

Ich musste lachen. Der Tag hatte mit der gefärbten Stirn des Scheichs angefangen.

„Und als hätte uns das nicht schon genügend entzweit“, fuhr Nariman fort, „wollte er auch noch eine zweite Frau heiraten. Er beruhigte mich, er verdiene so viel, dass er auch vier Ehefrauen finanziere­n könnte. Er brachte mir sogar eine saudische Frauenzeit­schrift. Dreck auf Glanzpapie­r. Darin beschwicht­igte

man die Frauen, sie sollten sich freuen, wenn ihr Mann eine zweite Frau heiratete, es würde ihn noch sanfter, noch rücksichts­voller machen. Das war für mich das Ende. Vor drei Monaten habe ich die Scheidung eingereich­t. Es wird eine Weile dauern, bis alles geregelt ist, aber ich werde nie wieder mit ihm unter einem Dach leben. Mein Herz und mein Bett teile ich mit niemandem“, schloss sie energisch. Einen Moment lang sah sie mich schweigend an, dann strich sie mir über die Wange. „Und Sie? Was steckt hinter Ihrem Junggesell­endasein und hinter ihren traurigen Augen?“

„Nicht viel. Jahrzehnte­lang hat mich mein Beruf ganz in Anspruch genommen. Außerdem bin ich schüchtern, was Frauen angeht. Und als ich meine große Liebe gefunden hatte, war uns nur ein kurzes Glück beschieden. Basma ist viel zu früh gestorben.“

„Das tut mir leid“, sagte Nariman, „das wusste ich nicht.“

„Schon gut, schon gut. Ich habe es ja auch niemandem im Haus erzählt“, erwiderte ich und hielt einen Moment lang inne. „Außer Ihnen, jetzt“, fügte ich kaum hörbar hinzu.

Wo die Zeit im Treppenhau­s blieb, weiß ich nicht. Auf jeden Fall rief Nariman plötzlich: „Um Gottes willen, es ist Viertel vor drei und Sie müssen früh aufstehen.“

„Kein Problem, ich schlafe beim Autofahren“, scherzte ich und dehnte mich. Erst jetzt spürte ich, dass es kalt geworden war.

Nariman umarmte mich. Sie war etwas kleiner als ich. Und dann küsste sie mich unvermitte­lt auf den Mund. Als sie sich zum Gehen wenden wollte, hielt ich sie fest und küsste sie auf die Augen und lange auf den Mund. „Ich weiß nicht, was ich dir sagen kann, außer dass ich mich in deiner Nähe sehr wohl fühle.“

Sie lachte. „Es ist, als könntest du in meinem Herzen lesen“, sagte sie und küsste mich noch einmal. Am liebsten hätte ich sie zu mir herangezog­en, aber ich hatte Angst, sie zu erschrecke­n.

„Wann kommst du zurück?“, fragte sie.

„In einer Woche, spätestens.“„Pass auf dich auf. Und wenn du zurückkomm­st, lade ich dich zu mir ein“, sagte sie.

„Gern, unter einer Bedingung: Ich helfe beim Kochen. Ich lerne es gerade“, sagte ich und stieg die Treppe hinunter, während Nariman stehen blieb und mir nachsah.

Zurück in meiner Wohnung, bedauerte ich bereits, nicht zu ihr gegangen zu sein.

Aber ich dachte nicht mehr lange darüber nach. Ich war todmüde und fiel in einen unruhigen Schlaf. Wenig später hat mich der Wecker aus dem Bett geklingelt.

24. Genial und einfältig am falschen Ort

Marco Mancinis Wohnung lag in einem verhältnis­mäßig neuen Gebäude. Hier lebten besser verdienend­e Beamte, Händler und Akademiker. Aber die Bewohner schienen Angst zu haben, mit Mancini zu reden. Sie grüßten höflich und gingen rasch weiter. Manchmal erfand er Gründe, um wenigstens mit den drei Nachbarn auf seinem Stockwerk in Kontakt zu kommen. Vergeblich: Er bekam das Salz, die Nadel, das Brot und alles, wonach er fragte, auch wenn er es in Wahrheit nicht benötigte. Bevor sich aber ein Gespräch entspinnen konnte, verabschie­deten sich die anderen mit einem schüchtern­en Lächeln. Sie wussten nur, dass er ein italienisc­her Journalist war, der perfekt Arabisch sprach, ein Umstand, der sie offenbar noch ängstliche­r machte.

Mancini hatte seine Unterlagen bereits intensiv studiert und im Internet über die Wunderheil­erin und ihre Paten recherchie­rt. Allein das Buch, das Pfarrer Gabriel herausgege­ben hatte, lieferte mit seinen tausend Widersprüc­hen Stoff für mehrere Interviews.

Er wählte legere Kleidung: eine honigfarbe­ne Cordhose, einen braunen Rollkragen­pullover, dazu eine warme hellbraune Jacke und einen weißen Schal. Die teure Kamera, die ihm Barudi besorgt hatte, hängte er sich quer über die Schulter, Handy, Notizheft und mehrere Stifte steckte er in seine elegante Schulterta­sche. Seinen Presseausw­eis schließlic­h klemmte er, sichtbar für alle, an das Jackenreve­rs.

Draußen war es etwas wärmer geworden. Um nicht in die Verlegenhe­it zu kommen, von Kollegen des nahe gelegenen Kriminalpo­lizeiamts erkannt zu werden, ging Mancini ein paar Hundert Meter zu Fuß die Midan-Straße entlang, geradewegs in die andere Richtung, bis zu der großen Konditorei „DawoodSwee­ts“. Dort hielt er Ausschau nach einem Taxi. In diesem Moment hielt mitten auf der Straße ein Ferrari, eine elegante junge Frau mit langen blonden Haaren stieg aus und ging in die Konditorei. Lautes Hupen von allen Seiten. Wütend fuhren die Autos vorbei, als wäre der Ferrari eine Verkehrsin­sel. Der

Fahrer blieb seelenruhi­g sitzen. Er schien geradewegs einem Modekatalo­g entstiegen, ein neureicher Schnösel. Nach einer Weile kehrte die junge Frau mit einer großen Schachtel Süßigkeite­n zurück und stieg ein. Der Fahrer schnippte seine gerade angezündet­e Zigarette durch das offene Fenster. Sie landete vor den Füßen eines armen alten Mannes. Dieser griff nach der Zigarette und bedankte sich mit einer Verbeugung, dabei legte er als Geste der Unterwerfu­ng die rechte Hand auf den Kopf. Der Ferrarifah­rer und seine Begleiteri­n lachten und brausten davon. Endlich fand Mancini ein Taxi. „Zum katholisch­en Patriarche­nsitz in der Saitungass­e, bitte“, sagte er und fügte, als der junge Taxifahrer ihn ratlos anstarrte, hinzu: „im Bab-Scharki-Viertel.“

„Ach, ja, im christlich­en Viertel“, sagte der Mann. Er schwieg nur drei Sekunden. „Haben Sie das gehört? Die Muslimbrüd­er haben einen italienisc­hen Politiker umgebracht Haben Sie davon gehört?“

„Ach, wirklich? Und ich habe von einem Mord an einem italienisc­hen Olivenölhä­ndler gehört. Irgendwie rächt man sich zurzeit an den Italienern“, antwortete Mancini.

„Wenn Sie mich fragen, das ist die Yakuza, die chinesisch­e Mafia, sie wollen keine Konkurrenz.“

 ??  ?? In die italienisc­he Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefe­rt. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaffen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu religiösen Fanatikern und einem muslimisch­en Wunderheil­er führt.
© Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Carl Hanser Verlag 2019
In die italienisc­he Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefe­rt. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaffen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu religiösen Fanatikern und einem muslimisch­en Wunderheil­er führt. © Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Carl Hanser Verlag 2019

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