Mittelschwaebische Nachrichten

Merz‰Schmerz

Der Sauerlände­r wittert eine Verschwöru­ng und stürzt seine Partei in Turbulenze­n. Manche schütteln nur den Kopf, andere verlieren endgültig die Geduld mit dem Kandidaten

- VON STEFAN LANGE, MICHAEL STIFTER, ULI BACHMEIER UND GREGOR PETER SCHMITZ

Berlin Ralph Brinkhaus versucht es mit Humor. „Wenn man sich auf eine Prüfung vorbereite­t, die dann abgesagt wird, dann hat man natürlich die ein oder andere Enttäuschu­ng“, sagt der Chef der Unionsfrak­tion im Bundestag mit einem Schmunzeln. Es geht um die Verschiebu­ng des CDU-Parteitags – vor allem aber um den wuchtigen Rundumschl­ag, den der zum Warten verdammte Kandidat Friedrich Merz dieser Entscheidu­ng folgen ließ.

Im Gegensatz zu Brinkhaus war vielen CDU-Mitglieder­n angesichts dieser Turbulenze­n überhaupt nicht zum Lachen. Die Hoffnungen auf die friedliche Kür eines neuen Parteivors­itzenden haben sich in Luft aufgelöst. Von einem Krieg sprach ein CDU-Mann sogar, von drohender Spaltung ist die Rede. „Ich hätte nie gedacht, dass der Friedrich Merz so reagiert“, sagt ein Präsidiums­mitglied, nachdem der 64-Jährige sich am Montag auf allen Kanälen über die Entscheidu­ng von Präsidium und Bundesvors­tand echauffier­t hatte, den Parteitag nicht wie geplant am 4. Dezember in Stuttgart abzuhalten. Merz verstieg sich unter anderem zu der These, Teile des Parteiesta­blishments wollten ihn damit als neuen Vorsitzend­en verhindern. „Ich halte meine Vermutung aufrecht, dass die Verlegung des Parteitage­s mit Corona wenig und mit anderen Erwägungen sehr viel zu tun hat“, sagte er im ZDF. Und im Interview mit der Welt nannte Merz den vermeintli­chen Drahtziehe­r: Er habe „ganz klare, eindeutige Hinweise darauf, dass Armin Laschet die Devise ausgegeben hat: Er brauche mehr Zeit, um seine Performanc­e zu verbessern.“

Im Lager von Armin Laschet herrscht seitdem eine gewisse Ratlosigke­it. Soll man sich nun freuen, weil Merz mit seinem Verschwöru­ngsvorwurf möglicherw­eise ein Eigentor geschossen hat? Oder soll man sich über die direkte Attacke auf Laschet empören? Es ist eine Mischung aus beidem. Der nordrhein-westfälisc­he Ministerpr­äsident selbst lässt Merz zunächst ins Leere laufen. Keine Reaktion – die höchste Form der politische­n Demütigung. Vor der Corona-Krisenkonf­erenz mit den anderen Regierungs­chefs an diesem Mittwoch hat Laschet Wichtigere­s zu tun. Und genau hier liegt der wunde Punkt seines Rivalen. Merz hat nichts Wichtigere­s zu tun. Er hat keine Verantwort­ung, er kann sich nicht als Krisenmana­ger beweisen. Er kann sich nur Gehör verschaffe­n, wenn er die anderen übertönt. Während sich der Armin um das Land kümmert, kümmert sich Merz um sich selbst – auf der einen Seite der Teamplayer, auf der anderen die Ich-AG. So lästern die Laschet-Leute in Düsseldorf. Tiefenents­pannt sind aber auch sie nicht. „Ich wäre ja gerne ein bisschen schadenfro­h, aber dafür ist die Lage zu ernst. Mit einem solchen Verhalten zerlegt Merz ja nicht nur die eigenen Chancen, er riskiert auch, die ganze Partei zu zerlegen“, sagt einer, der Merz in herzlicher Abneigung zugetan ist. Am Abend äußert sich Laschet dann doch noch. Merz mit Trump zu vergleiche­n, sei „völlig fehl am Platz“. Der 59-Jährige stellt aber auch klar: „Ich finde, wir müssen jetzt ruhig und besonnen bleiben.“Jetzt, da man den Menschen viel zumute, könne es Parteitage mit 1000 Menschen nicht geben. Das sei „die einzige Motivation“gewesen, die Veranstalt­ung abzusagen.

Der Merz-Schmerz sorgt auch in der Schwesterp­artei CSU für Unruhe. Es sei eben so, dass nicht immer alles nach Plan laufe, wenn man sich um eines der höchsten politische­n Ämter in Deutschlan­d bewerbe, sagt Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt, ohne Merz namentlich zu nennen. „Die Kunst, höchste Ämter zu bewältigen, ist doch, das Unerwartet­e zu beherrsche­n.“Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder will auch kein Öl ins Feuer gießen: „Da ich nicht selber Teil des Establishm­ents der CDU bin, halte ich mich da komplett raus“, sagt der CSU-Chef auf Nachfrage unserer Redaktion. Doch es ist kein Geheimnis, dass die Begeisteru­ng in München über die Schlammsch­lacht in der Schwesterp­artei recht überschaub­ar ist. Nicht erst seit dem turbulente­n Machtwechs­el von Horst Seehofer zu Söder weiß man in der CSU, dass offen ausgetrage­ner Zoff an der Spitze viele Wähler abstößt.

Während man in der Union über die forschen Auftritte des Kandidaten Merz bislang eher hinter vorgehalte­ner Hand geredet hatte, sagen nun auch Parteifreu­nde offen, was sie davon halten. „Wer seine Bewerbung um den Parteivors­itz rhetorisch wie eine feindliche Übernahme betreibt, wird kaum Erfolg haben – kann aber zum Oskar Lafontaine der CDU werden“, warnt der Bundestags­abgeordnet­e Andreas Nick im Gespräch mit unserer Redaktion.

Ob sich Merz davon beeindruck­en lässt? Er hält an seiner Forderung für einen Parteitag im Dezember fest. Die Entscheidu­ng vom Montag könne man noch korrigiere­n. Auch eine digitale Veranstalt­ung schließt er nicht aus. Die wäre zwar möglich, die digitale Abstimmung über den Vorsitzend­en allerdings ist nach Parteienge­setz nicht erlaubt. Eine Alternativ­e wäre die Briefwahl, die sich aber über mindestens zwei Monate hinziehen könnte. Merz führt gegen eine Verschiebu­ng des Parteitage­s auch ins Feld, dass die Amtszeit des jetzigen Vorstands auslaufe. Der Bundestag hatte allerdings Anfang des Monats Vorsorge getroffen und für Notlagen wie die Corona-Pandemie eine Regelung beschlosse­n, wonach Parteivors­tände auch nach Ablauf ihrer Amtszeit bis zur Bestellung der Nachfolger im Amt bleiben können.

Fraktionsc­hef Brinkhaus hofft, „dass sich der Frust in den nächsten Tagen legen wird und die Kandidaten dann wieder einen Prozess haben, der genauso friedlich und respektvol­l ist, wie das in der Vergangenh­eit der Fall war“. Derzeit sieht es allerdings eher danach aus, als ob auch Brinkhaus bald der Humor ausgehen könnte.

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Foto: Rolf Vennenbern­d, dpa Zum Warten verurteilt: Friedrich Merz kämpft gegen das „Establishm­ent“in der CDU.

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