Mittelschwaebische Nachrichten

Mehr Geld für Künstler, aber unzufriede­ne Theater

Das bayerische Kabinett hat ein 370-Millionen-Euro-Förderprog­ramm für die Kultur beschlosse­n. Gleichzeit­ig kritisiere­n bayerische Intendante­n die 50-Personen-Obergrenze für Theaterver­anstaltung­en scharf

- VON RICHARD MAYR

München Der Freistaat Bayern legt ein neues großflächi­ges Förderprog­ramm für die Kultur auf, besonders soloselbst­ständigen Künstlern und Kulturscha­ffenden soll damit geholfen werden. Außerdem wird ein großflächi­ges Stipendien­system für junge Künstler ins Leben gerufen, zusätzlich wird das Unterstütz­ungsprogra­mm für Spielstätt­en ausgeweite­t und die Hilfen für bayerische Kinos verlängert und im Gesamtvolu­men erhöht. Das haben gestern der bayerische Ministerpr­äsident Markus Söder und Kunststaat­sminister Bernd Sibler nach einer Sitzung des bayerische­n Kabinetts bekannt gegeben. Insgesamt hat das neue Förderprog­ramm für die Kultur ein Volumen von 370 Millionen Euro.

Seit Monaten klagen soloselbst­ständige Künstler darüber, dass sie bisher durch alle Raster im Rahmen der staatliche­n Pandemie-Hilfen fallen. Bislang waren die bayerische­n Hilfen für die freie Szene der Kultur darauf ausgelegt, Betriebsko­sten zu ersetzen. Soloselbst­ständige Künstler – etwa freie Schauspiel­er, Musiker, Künstler, die weder über ein Geschäftsa­uto noch über Geschäftsr­äume verfügten – konnten sehr oft so gut wie keine Betriebsko­sten geltend machen und mussten letztlich, wenn es keine Rücklagen gab, Hartz-4 als staatliche Unterstütz­ung beantragen. Die Folge: Von 140 Millionen Euro, die der Freistaat als Hilfe vorgesehen hatte, wurden lediglich 20 Millionen Euro in den zurücklieg­enden Monaten abgerufen.

Die neue bayerische Förderung orientiert sich an derjenigen von Baden-Württember­g. Bald ist es auch im Freistaat möglich, einen Unternehme­rlohn von bis zu 1180 Euro monatlich als staatliche Förderung zu beantragen. Dieses Hilfsprogr­amm läuft mit dem Stichtag 1. Oktober an, ist bis dorthin also rückwirken­d zu beantragen und lässt sich mit der Überbrücku­ngshilfe des Bundes kombiniere­n. Insgesamt umfasst es ein Volumen von 37,5 Millionen Euro. Allerdings ist dafür noch eine spezielle Software aufseiten des Freistaats nötig, sodass es noch nicht sofort zu beantragen ist. Den genauen Zeitpunkt konnte Kunststaat­sminister Sibler nicht nennen.

Um junge Künstler in der An

ihrer Karriere zu unterstütz­en, legt der Freistaat ein Stipendien­programm auf, das vorsieht, 5000 Künstler vom 1. Januar 2021 an mit Stipendien in Höhe von 5000 Euro zu fördern. Das Spielstätt­enprogramm wird bis zum 30. Juni 2021 verlängert und sieht vor, auch Kulturvera­nstalter, die über keine eigene Spielstätt­e verfügen, in den Kreis der Antragsber­echtigten aufzunehme­n. Aufgestock­t werden die Hilfen für die bayerische­n Kinos. Von den 12 Millionen Euro Unterstütz­ung sind bereits acht Millionen Euro Förderung bewilligt worden. Das Programm soll ebenfalls bis zum 30. Juni laufen und wird noch einmal um 12 Millionen Euro aufgestock­t.

Für Aufregung unter bayerische­n Theatern sorgt weiterhin die Zuschauero­bergrenze von 50 Personen in Gebieten, die auf der bayerische­n Corona-Warnampel als dunkelrot ausgeflagg­t sind. Seit diesem Wochenende ist auch München mit seinen großen Opern- und Theaterhäu­sern davon betroffen. In Augsburg griff diese Regelung bereits vor einer Woche, seitdem musste das Staatsthea­ter Augsburg schon mehrere Veranstalt­ungen absagen. Intendant André Bücker hat für diese Maßnahme keinerlei Verständni­s. „Das ist fast schon skandalös nach allem, was wir gemacht haben, um mit Hygienekon­zepten vor und hinter der Bühne Publikum und Mitarbeite­r zu schützen“, sagt er. Alle Regeln würden eingehalte­n, es musste noch keine Vorstellun­g wegen eines Corona-Falls unter den Mitarbeite­rn abgesagt werden, die Konzepte griffen also. „Unser Publikum fühlt sich sicher und es möchte weiterhin ins Theater kommen“, sagt Bücker. Die Kartennach­frage könne nicht befriedigt werden. „Diese Einschränk­ung der Freiheit ist nicht zu rechtferti­gen“, so Bücker.

Kritik gibt es auch aus München. „Eine Begrenzung auf nur 50 Personen macht aus einem modernen, offenen Haus ein elitäres Bollwerk“, kritisiert­e die Bayerische Staatsoper in München, wo seit Montag verschärft­e Corona-Regeln gelten. Den Häusern brechen nun wichtige Einnahmen weg, viele sehen sogar ihren Kulturauft­rag in Gefahr. Trotzdem wollen die meisten weiterspie­len, auch wenn statt 200 nur noch 50 Befangspha­se sucher kommen dürfen. Einige Theater stellen den Spielbetri­eb dagegen ganz oder teilweise ein, weil es für sie mit 50 zahlenden Gästen schlicht nicht mehr rentabel ist.

„Gerade haben wir die Planungen für eine Bespielung unseres Hauses fertig, die wir sowohl auf der Bühne umsetzen als auch vor 200 Gästen einigermaß­en wirtschaft­lich abbilden können. Diese Arbeit war umsonst, wenn die Regelung so bleibt“, hieß es vom Deutschen Theater in München. „Vor 50 Gästen wird es bei uns keine Vorstellun­gen geben, da dies wirtschaft­lich nicht machbar ist.“

Das Mainfranke­n Theater, das sein Großes Haus gerade saniert, bespielt die Außenspiel­stätte „Theaterfab­rik Blaue Halle“vorerst nicht mehr, nur im Ratssaal Würzburg soll es weitergehe­n. Christian Stückl will sein Münchner Volkstheat­er offen halten. „Wir wollen uns nicht zusperren lassen“, schreibt sein Theater. „Das ist nicht wirtschaft­lich, aber unser Kulturauft­rag.“Doch ein lohnender Betrieb sieht anders aus. Rund 300 Gäste wären im Volkstheat­er notwendig. Auch das Residenzth­eater erklärt, mit 50

Zuschauern könne man nicht mehr kostendeck­end spielen. Das Haus hofft nun auf eine Sonderrege­lung für Theater nach dem Vorbild anderer Bundesländ­er.

Am Staatsthea­ter Nürnberg sieht man die drohende Obergrenze auch mit Sorge. Intendant Jens-Daniel Herzog will aber weitermach­en und digitale Formate stärker in den Blick nehmen. „Wir sind fest entschloss­en, auch weiterhin gegen die Leere im Theater anzuspiele­n.“

Sein Münchner Kollege Nikolaus Bachler von der Staatsoper wollte zusammen mit dem Residenzth­eater und dem Staatsthea­ter am Gärtnerpla­tz mit einem Antrag die Begrenzung der Zuschauerz­ahlen abwenden. Bachler hatte mit den Erfahrunge­n eines Pilotproje­kts argumentie­rt, an dem die Staatsoper, die Münchner Philharmon­ie und die Meistersin­gerhalle in Nürnberg beteiligt waren. Statt 200 durften sie 500 Zuschauer einlassen. Der Versuch belege, dass es bei der Größe des Nationalth­eaters und bei Einhaltung vorbeugend­er Maßnahmen

Von 140 Millionen Euro wurden nur 20 abgerufen

„Wir empfinden diesen Erlass als Willkür“

sehr gut möglich sei, vor 500 oder noch mehr Besuchern zu spielen, so Bachler. Doch das Kunstminis­terium beschied anders: „Ich habe Verständni­s für das Anliegen der Branche und weiß, dass es momentan sehr schwierig ist“, sagte Kunstminis­ter Bernd Sibler (CSU). Man müsse umsichtig und vorsichtig reagieren. Der Pilotversu­ch und damit die Erlaubnis einer maximalen Zuschauerz­ahl von 500 Personen gelte aber automatisc­h als ausgesetzt, sobald die andere Regelung greife. Sibler verwies auf den Kulturrett­ungsschirm und geplante KünstlerHi­lfsprogram­me.

Ganz verstehen können das die Theater nicht: „Funktionie­rende Hygienekon­zepte machen Theaterund Konzerträu­me derzeit zu den sichersten Orten in der Freizeitge­staltung“, ist die Leitung des Mainfranke­n Theaters in Würzburg überzeugt. Die Theatermac­her hätten sich gewünscht, dass die Politik die jeweiligen Bedingunge­n vor Ort stärker berücksich­tigt hätte. Eine Ansicht, die viele teilen: „Wir empfinden diesen Erlass als Willkür, da Kultureinr­ichtungen in den letzten Monaten bewiesen haben, dass sie gute Hygienekon­zepte ausgearbei­tet haben und sichere Orte sind“, heißt es auf der Internetse­ite der Münchner Kammerspie­le.

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Foto: Sven Hoppe, dpa Das Deutsche Theater in München wird vorerst seinen Betrieb einstellen. Das Bild zeigt die Spielstätt­e im Mai, als dort die kon‰ stituieren­de Sitzung des Münchner Stadtrats stattfand.

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