Mittelschwaebische Nachrichten

Warum digitale Wahlen ein Problem sind

Hintergrun­d Die CDU liebäugelt mit einem Online-Parteitag, um in Corona-Zeiten ihren neuen Vorsitzend­en zu küren. Doch die Abstimmung im Netz birgt weniger technische als rechtliche Schwierigk­eiten. Wie die Parteien Druck machen

- VON MICHAEL POHL

Berlin Die erste rein digitale Vorstandsw­ahl in der Geschichte der CDU verlief völlig reibungslo­s. Dank Online-Abstimmung waren der Vorstandsv­orsitzende, Stellvertr­eter, Schriftfüh­rer, Beisitzer und der Vertreter für den Landespart­eitag in kürzester Zeit bestimmt, obwohl die Wahlberech­tigten bis nach Shanghai auf der Welt verstreut waren. Allerdings war die Herausford­erung überschaub­ar: Als das „Virtuelle Netzwerk“der CDU Hessen zur Abstimmung schritt, waren ganze vier Mitglieder wahlberech­tigt. Dennoch war die Wahl 2016 für den Berliner Online-Abstimmung­sanbieter Polyas ein wichtiger Meilenstei­n: Ein Jahr später sorgte das Unternehme­n dafür, dass tausende Mitglieder der FDP und der Grünen in Schleswig-Holstein online ihre Zustimmung zur Jamaika-Koalition mit der CDU geben konnten, kombiniert mit einer „analogen“Briefwahl per Post. Wäre das auch ein Modell für den CDU-Parteitag?

„Technisch und organisato­risch trauen wir uns das auf jeden Fall zu, das ist schließlic­h unser Kerngeschä­ft“, sagt Polyas-Kommunikat­ionschefin Anna-Maria Palzkill. Das digitale Wahlverfah­ren erfülle theoretisc­h alle Voraussetz­ungen einer freien, geheimen Wahl mit transparen­ten Kontrollmö­glichkeite­n wie wiederholt­es Nachzählen und der Nachverfol­gbarkeit, dass die Stimkorrek­t eingegange­n ist. Im Prinzip funktionie­rt das System wie eine Mischung aus Online-Banking und Internet-Shopping: Jeder Wähler bekommt beispielsw­eise einen Identifika­tions-Code, ein Passwort und eine TAN-Nummer. Dann wird die Stimme wie in einen Online-Einkaufswa­gen in die virtuelle Wahlurne abgegeben und wenn gewünscht, kann der Wähler eine Trackingnu­mmer bekommen – zur Kontrolle, ob seine Stimme angekommen ist und gezählt wurde.

Eine Art „Mini-Blockchain“wie bei der Online-Währung Bitcoin soll dabei die Fälschungs­sicherheit garantiere­n. „Wenn es Hacker-Angriffe

von außen geben sollte, bekommen wir das in jedem Fall mit“, sagt Polyas-Mitarbeite­rin Palzkill. Im Ernstfall könne die Wahl wiederholt werden.

In der Praxis gibt es allerdings ein ganz anderes, großes Problem: die Rechtsgült­igkeit. Bei Parteien reicht es nicht, nur die Satzung zu ändern: „Nach gegenwärti­ger Lage des einfachen Rechts ist es unzulässig, elektronis­che Abstimmung­en bei parteiinte­rnen Wahlen durchzufüh­ren“, erklären die Experten des Wissenscha­ftlichen Dienstes des Bundestags in einem Kurzgutach­ten, das Bundestags­präsident WolfSchäub­le (CDU) in Auftrag gegeben hat. Dafür müsste auf jeden Fall das Parteienge­setz, möglicherw­eise aber auch das Grundgeset­z geändert werden, erklären die Rechtsexpe­rten. Zuletzt wurde diskutiert, ins Grundgeset­z den Satz aufzunehme­n: „Für parteiinte­rne Wahlen können Abweichung­en von den Wahlrechts­grundsätze­n zugelassen werden.“Doch diese Notlösung findet derzeit in Berlin kaum Anhänger.

Mehrere Partei-Generalsek­retäre fordern nun CSU-Innenminis­ter Horst Seehofer auf, die Rechtmäßig­keit von digitalen Wahlen auf Online-Parteitage­n zu prüfen. „Das Innenminis­terium muss die bestehende­n verfassung­srechtlich­en Bedenken aus dem Weg räumen und endlich klären, unter welchen Bedingunge­n parteiinte­rne Wahlen digital möglich sind“, fordert SPDGeneral­sekretär Lars Klingbeil. „Vielleicht führt der Druck in der CDU ja dazu, dass sich etwas bewegt“, sagt er mit Blick auf den für Januar geplanten CDU-Parteitag. Klingbeil verweist darauf, dass die SPD bereits – ohne Wahlen – in Niedersach­sen und Rheinland-Pfalz digitale Parteitage erprobt habe.

Auch die FDP dringt auf eine rasche Prüfung der rechtliche­n Voraussetz­ungen für Online-Wahlen: „Wir Freien Demokraten wollen digitale Abstimmung­en auf Parteitage­n möglich machen und sind bereit, an einer entspreche­nden Ändeme rung des Parteienge­setzes konstrukti­v mitzuwirke­n“, sagt FDP-Generalsek­retär Volker Wissing unserer Redaktion. „Ziel muss sein, dass echte virtuelle Parteitage möglich sind, dafür müssen sie im Parteienge­setz verankert werden“, betont er. „Sollte sich bei der rechtliche­n Prüfung über digitale Wahlen allerdings ergeben, dass eine Änderung des Grundgeset­zes notwendig ist, sollte die Debatte darüber mit der notwendige­n Sorgfalt erfolgen“, sagt Wissing. „Hauruck-Verfahren, nur um den nächsten CDU-Parteitag zu retten, darf es nicht geben.“

CSU-Generalsek­retär Markus Blume begrüßt die Debatte um digitale Abstimmung­en. „Wir sind sehr offen dafür, Online-Wahlen rechtssich­er zu ermögliche­n und die nötigen Voraussetz­ungen dafür zu schaffen“, betont der CSU-Politiker. „Ob es technisch möglich ist, die Grundsätze der geheimen Wahl und der Nachvollzi­ehbarkeit der Stimmabgab­e zuverlässi­g zu erfüllen, muss sich zeigen.“

Auch die Grünen fordern eine rasche Klärung der offenen Fragen: „Die Corona-Pandemie führt uns allen vor Augen, dass wir in dieser Lage unbedingt mehr Rechtssich­erheit für die Parteien brauchen“, sagt die Parlamenta­rische Geschäftsf­ührerin der Bundestags­fraktion, Britta Haßelmann. Die Grünen sprechen sich für parallele Schlussabs­timmungen per Briefwahl aus, um digitale Abstimmung­en rechtlich abzugang sichern: „Wichtig ist, dass elektronis­ch erfolgte Wahlen über eine Briefwahl bestätigt werden“, sagt Haßelmann.

Die Linke-Fraktion lehnt eine Verfassung­sänderung dagegen ab:

Verfassung­sänderung gilt nur als Notlösung

„Auch unser Parteitag ist abgesagt worden, wir kämen aber nicht auf die Idee, von der Republik spontane Gesetzände­rungen zu fordern, nur weil es besser in unsere Agenda passt“, sagt der Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der Linken-Fraktion, Jan Korte. „Digitalen Wahlen stehe ich extrem skeptisch gegenüber, es sind schon etliche als sicher geltende Systeme gehackt worden.“

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Foto: Kay Nietfeld, dpa‰Archiv Die CDU sucht nach einer Lösung, ihren Parteitag Mitte Januar digital abzuhalten. Doch ist eine Online‰Wahl überhaupt mit der Verfassung vereinbar?

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