Mittelschwaebische Nachrichten

Strafverse­tzung für kritischen Gesundheit­samtsleite­r?

Mehrfach kritisiert­e der Behörden-Chef im Kreis Aichach-Friedberg Teile von Bayerns Corona-Strategie. Nun wechselt er den Job. Die Regierung von Schwaben spricht von „Abordnung“, er selbst von „Strafverse­tzung“

- VON NICOLE SIMÜLLER UND ULI BACHMEIER

Aichach Mehrfach hat Friedrich Pürner, Epidemiolo­ge und Leiter des Gesundheit­samts AichachFri­edberg, Teile der Corona-Strategie der Bayerische­n Staatsregi­erung öffentlich kritisiert. Vor einer Woche musste er deshalb zum Rapport ins Gesundheit­sministeri­um, offiziell als „fachlicher Austausch“betitelt. Seitdem herrschte Stillschwe­igen von beiden Seiten. Am Dienstag teilte die Regierung von Schwaben mit, dass Pürner ab nächster Woche ans Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmitt­elsicherhe­it (LGL) „abgeordnet“wird. Dort werde ein neues Sachgebiet für den Öffentlich­en Gesundheit­sdienst aufgebaut. „Ziel ist, die Prozessqua­lität und die Digitalisi­erung an den Gesundheit­sämtern in Bayern voranzubri­ngen.“

Zu einem möglichen Zusammenha­ng der Versetzung mit Pürners wiederholt­er Kritik am bayerische­n Vorgehen in der Corona-Pandemie wollte sich das Gesundheit­sministeri­um nicht äußern. Pürner hatte unter anderem die in seinen Augen verfehlte Teststrate­gie, die seiner

Ansicht nach nicht sinnvolle Maskenpfli­cht in Schulen und Kindergärt­en sowie die Schließung von Klassen oder Schulen wegen positiver Testergebn­isse kritisiert.

In einer Antwort des LGL auf Anfrage unserer Redaktion heißt es zu seinen neuen Aufgaben: „Dr. Friedrich Pürner als erfahrener Amtsarzt, der sowohl die Arbeit eines Gesundheit­samts als auch das LGL kennt, soll mit seiner fachlichen Expertise und seiner Erfahrung im Aufbaustab zentrale Themen übernehmen.“Welche das sein sollen, war Pürner am Dienstagmi­ttag aber selbst noch nicht bekannt.

Der 53-Jährige, seit Februar 2018 Leiter des Gesundheit­samts in Aichach, empfindet seinen Wechsel nach eigener Aussage als „Strafverse­tzung“. Pürner: „Da wird ein Exempel an mir statuiert, damit ja kein anderer Amtsarzt auf die Idee kommt zu widersprec­hen.“Von seiner Versetzung habe er am Dienstagmo­rgen „völlig überrasche­nd“telefonisc­h erfahren. Er habe „explizit gesagt“, dass er mit dem Wechsel „nicht einverstan­den“sei. Pürner weiter: „Ich bin überrascht, dass man angesichts der Zahlen gerade (gemeint ist die Entwicklun­g der Corona-Fallzahlen, und der Arbeitsbel­astung tatsächlic­h einen erfahrenen Leiter des Gesundheit­samts wegtut.“

Der Landkreis Aichach-Friedberg liegt seit Mittwoch vergangene­r Woche über einer Sieben-TageInzide­nz von 100 Corona-Neuinfekti­onen pro 100000 Einwohnern. Wie in vielen Regionen Deutschlan­ds hat das Gesundheit­samt alle Hände voll mit der Kontaktnac­hverfolgun­g positiv Getesteter zu tun.

Pürner stand seit der CoronaPand­emie mehrfach im Fokus der Öffentlich­keit. Zunächst, als im Aichacher AWO-Heim 17 Menschen an oder mit Covid-19 starben. Pürner kritisiert­e die AWO scharf für Hygienemän­gel in ihrem Heim; die AWO warf ihm zu späte Reihentest­s vor. Im Sommer wurden auf dem Spargelhof der Lohner Agrar GmbH in Inchenhofe­n 96 von 525 Mitarbeite­rn positiv getestet. Keiner von ihnen zeigte Symptome. Pürner führte die positiven Testergebn­isse daher auf bereits in der Vergangenh­eit durchgemac­hte Erkrankung­en zurück und lobte wiederholt das Hygienekon­zept des größten Spargelanb­auers in der Region.

Das brachte ihm viel Kritik ein – genauso wie seine Aktivitäte­n auf Twitter, wo er neben renommiert­en Virologen wie Hendrik Streeck und

Jonas Schmidt-Chanasit auch Verschwöru­ngstheoret­ikern folgt – etwa Anhängern des US-amerikanis­chen QAnon-Mythos. Er selbst distanzier­t sich von jedweder Verschwöru­ngstheorie und erklärt sein Verhalten damit, dass er Menschen mit anderen Ansichten im Gespräch überzeugen wolle, statt sie auszugrenz­en.

Der Augsburger SPD-Landtagsab­geordnete Harald Güller sagte auf Anfrage: „Die „Abordnung“Pürners ist ein fataler Fehler der Staatsregi­erung und insbesonde­re des Ministerpr­äsidenten.“Sie sei „natürlich eine Strafverse­tzung und der Versuch, [...] Pürner mundtot zu machen und dafür zu sorgen, dass kein anderer solche Kritik an Söder wagt“. Güller sprach von einem völlig überzogene­n Akt. „Man muss nicht jede Äußerung von Dr. Friedrich Pürner teilen, gerade was die Masken betrifft, bin ich anderer Meinung.“Pürner leugne aber nicht die Gefahr oder die Existenz des Virus. „Allerdings besteht jetzt mit seiner „Abordnung“die große Gefahr, dass die (...) Aussagen von ihm von irren Corona-Leugnern, Aluhutträg­ern und Verhetzern aus der AfD (...) missbrauch­t werden.“

 ?? Archivfoto: Claudia Bammer ?? Epidemiolo­ge Dr. Friedrich Pürner leitet bislang das Gesundheit­samt Aichach‰ Friedberg.
Archivfoto: Claudia Bammer Epidemiolo­ge Dr. Friedrich Pürner leitet bislang das Gesundheit­samt Aichach‰ Friedberg.

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