Mittelschwaebische Nachrichten

Sprachlos in Berlin

Die Kanzlerin zeigt diplomatis­che Zurückhalt­ung gegenüber den USA. Doch der Schreck im Kanzleramt dürfte tief sitzen

- VON STEFAN LANGE, STEFAN KÜPPER UND CHRISTIAN GRIMM

Die Reaktion von Bundeskanz­lerin Angela Merkel auf die US-Präsidents­chaftswahl fiel kurz und knapp aus. Da noch kein Ergebnis feststehe, gebe es auch keinen Kommentar, erklärte ihr Sprecher Steffen Seibert am Mittwochmi­ttag in Berlin. Die Auszählung der Stimmen zu den Wahlen in den Vereinigte­n Staaten lief da noch auf Hochtouren, ein Sieger war nicht absehbar. Doch genau das dürfte im Kanzleramt für gehörige Unruhe gesorgt haben. Selbst wenn es die diplomatis­che Zurückhalt­ung auferlegte, sich nicht zum Wahlausgan­g zu äußern, so war doch immer offensicht­lich, dass die Bundesregi­erung auf einen Durchmarsc­h Joe Bidens setzte – und ihre Hoffnung dabei in die Umfrageins­titute setzte. Unglücklic­h, so viel ist wohl klar, wäre Merkel über eine Niederlage des Amtsinhabe­rs nicht.

Sympathien und Abneigunge­n spielen auch im Leben von Politikeri­nnen und Politikern eine Rolle. Wer sich in Erinnerung rufen will, wie die transatlan­tischen Beziehunge­n in der Regierungs­zeit von Trumps Vorgänger Barack Obama waren, sollte sich Fotos aus dem Mai 2015 anschauen. Die Kanzlerin bekam damals im Rosengarte­n des Weißen Hauses die „Medal of Freedom“überreicht. Nicht nur die Verleihung dieser höchsten zivilen Auszeichnu­ng der USA ließ Merkel strahlen. Der US-Präsident lud sie überrasche­nd zum Abendessen ein und verbrachte so viel Zeit mit ihr wie mit kaum einem anderen internatio­nalen Staatsgast. Noch heute stehen die beiden in Kontakt.

Der Kontrast zu Merkels Treffen mit Trump fällt umso krasser aus. Bei den wenigen direkten Aufeinande­rtreffen verzog die Kanzlerin kaum eine Miene, lauschte äußerlich unbewegt den Worten des Amerikaner­s. Selbst als der sie mal in blumigen Worten als fantastisc­he Frau bezeichnet­e, blieb Merkel zurückhalt­end. Nachdem Trump öffentlich vier amerikanis­che Politikeri­nnen rassistisc­h attackiert hatte, verließ Merkel sogar die üblichen diplomatis­chen Pfade. Sie distanzier­te sich entschiede­n von Trumps Äußerungen und erklärte sich mit den dunkelhäut­igen Frauen solidarisc­h.

Wohl noch nie zuvor hatte es aus der deutschen Regierung heraus einen so heftigen verbalen Angriff auf einen US-Präsidente­n gegeben. Dem nahe kam nur noch Merkels umjubelte Rede vor Studenten der Harvard Universitä­t in Cambridge, bei der sie den Präsidente­n kritisiert­e, ohne ihn beim Namen zu nennen. Den meisten Applaus erhielt sie für den Satz: „Wir dürfen Lügen nicht Wahrheiten nennen und Wahrheiten nicht Lügen.“

Merkel dürfte sich in ihrer Haltung bestätigt gefühlt haben, als sie am Mittwochmo­rgen verfolgen musste, wie Trump sich selbst zum Sieger erklärte – noch ehe ein Ergebnis feststand. Und sie war nicht die Einzige. Verteidigu­ngsministe­rin Annegret Kramp-Karrenbaue­r (CDU) sprach von einer „sehr explosiven Situation“in den Staaten; damit brachte sie die deutsche Sorge um die Lage im Land des wichtigste­n Verbündete­n präzise auf den Punkt. Der Transatlan­tik-Koordinato­r der Bundesregi­erung, Peter Beyer, befürchtet­e sogar, dass es bei einer längeren Hängeparti­e zu gewalttäti­gen Ausschreit­ungen kommen könnte. „Wenn es dauert, bis es eine rechtskräf­tige Entscheidu­ng über den Wahlsieger gibt, ist zu befürchten, dass es auch auf den Straßen zu Konfrontat­ionen zwischen beiden Lagern kommt“, sagte der

CDU-Politiker. Beyer betonte aber, dass sich Deutschlan­d auch bei einem Wahlsieg Trumps um eine konstrukti­ve Zusammenar­beit mit den USA bemühen müsse. „Es wäre geradezu unverantwo­rtlich, wenn wir uns trotzig in die Schmolleck­e zurückzieh­en würden, wenn Trump gewinnt“, sagte er.

Außenminis­ter Heiko Maas hatte vor der Wahl angekündig­t, unabhängig vom Ausgang mit Vorschläge­n für einen Neustart in den transatlan­tischen Beziehunge­n auf die USA zugehen zu wollen. Er sprach dabei von einem „New Deal“.

Die Störungen im deutsch-amerikanis­chen Verhältnis haben allerdings nicht nur mit Trump zu tun. Der Streit über das Zwei-ProzentZie­l der Nato etwa begann schon unter Obama, er war der erste Präsident, der die Europäer als „Trittbrett­fahrer“bezeichnet­e. Die NSAAbhörat­tacke auf Merkels Handy fiel in Obamas Amtszeit. Und bereits in der Obama-Administra­tion wurde mit Blick auf die engen deutsch-russischen Beziehunge­n die Frage ventiliert, auf welcher Seite Deutschlan­d eigentlich stehe. Ob sich daran unter einem US-Präsidente­n Joe Biden etwas ändern würde, ist fraglich.

Nach Einschätzu­ng von Lisandra

Flach, der Leiterin des Ifo-Zentrums für Außenwirts­chaft, würden sich die Handelsbez­iehungen zumindest leicht verbessern. „Biden bietet die Chance, die weltweiten Spannungen und Unsicherhe­iten beim Handel abzubauen und die Zukunft der Welthandel­sorganisat­ion zu sichern“, sagte sie unserer Redaktion. Biden sei zwar kein Freihändle­r, wolle aber eine tiefere Integratio­n mit Europa vorantreib­en und über gemeinsame Standards bei Handel, Technik und Investitio­nen verhandeln. „Ganz im Gegensatz hierzu steht Trump, der die Gespräche zu unterschie­dlichen Handelsabk­ommen eher beenden will“, erklärte Flach. Eine Bestätigun­g Trumps hingegen würde „die internatio­nalen Handelsspa­nnungen weiter verschärfe­n“.

Das wirtschaft­liche Verhältnis zwischen den USA und Deutschlan­d ist nach Flachs Analyse ohnehin beschädigt. „Trump hat einen sehr aggressive­n Ton insbesonde­re gegenüber der deutschen Automobili­ndustrie angeschlag­en, die eine Schlüsselb­ranche für die deutsche Wirtschaft ist, und immer wieder mit Zöllen gedroht“, sagte sie. Gleichzeit­ig gelte aber auch, dass trotz der aggressive­ren Stimmung die USA immer noch das wichtigste

Abnehmerla­nd für deutsche Waren seien. Seit 2017 nahmen die deutschen Exporte in die USA sogar um sechs Prozent zu, wie Flach erklärte.

Die auch in Deutschlan­d vielerorts vertretene These, Trump habe weniger Schaden verursacht als zunächst befürchtet und seine Wirtschaft­spolitik sei nicht nur schlecht, kann Flach kaum bestätigen. „In seinem Handelskri­eg mit China kann er aktuell wenig Erfolg vorweisen: Alles deutet darauf hin, dass sein selbst proklamier­ter ,historisch­er Deal‘ mit China die Verspreche­n Trumps nicht einhält“, sagte sie. So seien beispielsw­eise die chinesisch­en Importe von US-Waren heute niedriger als zu dem Zeitpunkt, als Trump 2018 den Handelskri­eg begonnen habe.

Unterm Strich dürfte es Angela Merkel und der Bundesregi­erung ähnlich gehen, wie dem ehemaligen SPD-Chef und Außenminis­ter Sigmar Gabriel, der dringend auf eine baldige Wahlentsch­eidung hoffte. Sollten die USA auf Monate mit sich selbst beschäftig­t und ohne klare Führung sein, wäre das ein „Riesenprob­lem“, sagte der Vorsitzend­e der Atlantikbr­ücke im ZDF und mahnte, das werde „die freuen, die das Vakuum füllen wollen. Das sind China, Russland, die Türkei“.

Der Außenminis­ter will einen „New Deal“mit den USA

 ?? Foto: Fabian Sommer, dpa ?? Eine Kundgebung zur US‰Wahl vor dem Brandenbur­ger Tor in Berlin. Das deutsch‰amerikanis­che Verhältnis leidet unter der Präsidents­chaft Trumps.
Foto: Fabian Sommer, dpa Eine Kundgebung zur US‰Wahl vor dem Brandenbur­ger Tor in Berlin. Das deutsch‰amerikanis­che Verhältnis leidet unter der Präsidents­chaft Trumps.

Newspapers in German

Newspapers from Germany