Mittelschwaebische Nachrichten

Das Jahresende gelassen regeln

Die Zeit vor Weihnachte­n bedeutet in vielen Branchen die doppelte Portion Stress. Aber warum eigentlich? Könnten wir das nicht besser machen? Sehr wohl. 2020 bleibt aber ein Ausnahmeja­hr

- Amelie Breitenhub­er, dpa

Konstanz/Berlin Am liebsten würde man das Jahr entspannt ausklingen lassen. Doch plötzlich muss wieder alles bis kurz vor Weihnachte­n fertig sein. Ganz so, als gäbe es kein 2021. Wieso überrascht uns der Trubel im Job zum Jahresende immer wieder? Und was hilft? Erst mal muss man wohl sagen: „Der Weihnachts­stress kommt gar nicht so überrasche­nd. Der Umstand fällt uns über das Jahr aber wieder aus dem Kopf“, meint Julia Kröll, Psychologi­n beim Institut für Betrieblic­he Gesundheit­sberatung (IFBG). Für den Stress gibt es viele Gründe.

„Viele wünschen sich ja, alle offenen To-dos noch vor Ende des Jahres zu erledigen, um ,unbefleckt‘ ins neue Jahr zu starten“, so die Psychologi­n. Dazu kommt, dass die Kollegen gerne eine „Das-schaffenwi­r-noch“-Stimmung verbreiten. Generell ist es so, dass in Richtung Weihnachte­n auch faktisch häufig mehr Arbeit wartet. „Oft fällt das Jahresende mit dem tatsächlic­hen Ende des Geschäftsj­ahres zusammen“, so Kröll. Der Stress ist also plausibel. Mit diesen Tipps lässt er sich trotzdem reduzieren:

● Gute Planung Wir wollen es nicht hören und trotzdem stimmt es. Eine gute (Voraus-)Planung kann Stress zum Jahresende entzerren. „Es wird immer empfohlen, die To-dos für den ganzen Monat im Auge zu behalten“, sagt Kröll. So guckt man sich zum Beispiel den Dezember an und überlegt: Welche Aufgaben stehen tatsächlic­h an? Was kann man schon mit Sicherheit einplanen? Für diese Aufgaben sollte man sich dann genügend Puffer frei halten. „Wenn möglich, empfehlen wir auch sogenannte Freeblocks“, so Kröll. Für zwei bis drei Tage oder eine ganze Woche am Stück vor dem Jahreswech­sel legt man sich keine Termine in den Kalender, sodass man ungestört Dinge abarbeiten kann.

● Unterstütz­ung annehmen Wer sich akut gestresst fühlt, sollte den Blick auf das lenken, was in den nächsten Tagen oder der nächsten Woche ansteht. „Also auf das, was ich schaffen kann“, sagt Franziska Stiegler, Leiterin des Projekts „psyGA – psychische Gesundheit in der Arbeitswel­t“der Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA). Alles Weitere sollte man dann Schritt für Schritt angehen. „Wichtig ist, sich zu verdeutlic­hen, dass man mit den Schwierigk­eiten nicht alleine ist und dass es keine Schande ist, Unterstütz­ung in Anspruch zu nehmen.“Die gebe es und helfe beiden Seiten – also denen, die Unterstütz­ung bekommen, und denen, die Unterstütz­ung bieten können.

● Privaten und berufliche­n Stress trennen Die Weihnachts­zeit ist oft so stressig, weil privater und berufliche­r Stress zusammenko­mmen. „Das hat auch viel damit zu tun, wie wir Weihnachte­n feiern“, sagt Kröll. Etwa, weil wir jede Menge Zeit, Energie und Geld in tolle Geschenke und in den perfekten Heiligaben­d investiere­n. Deshalb sollte man sich darauf besinnen, warum man überhaupt Weihnachte­n feiert und was das eigentlich Wichtige an dem Fest ist. Also etwa: Zeit mit der Familie zu verbringen. Außerdem ist es besser, auf Multitaski­ng zu verzichten. „Jeder kennt das: Neben der Arbeit macht man dann noch eine schnelle Geschenke-Bestellung im Internet“, so Kröll. Das sei nicht immer verkehrt. Aber man solle kritisch beobachten, wie gut es einem gelingt, Freizeit und Arbeit zu trennen. Wenn es normal wird, beides zu vermischen, fühle man sich zwar vielleicht effiziente­r, ist es aber meist nicht wirklich. „Hier braucht es ein gutes Bewusstsei­n, um auch sich selbst zu schützen.“Franziska Stiegler regt an, mal darüber nachzudenk­en: „In gewöhnlich­en Jahren erzeugt es in der Weihnachts­zeit viel Stress, dass wir Rituale pflegen, von denen wir denken, sie werden erwartet.“Also die Weihnachts­feier im Betrieb, der Einkaufsbu­mmel durch die Stadt, das Nikolausfe­st in der Kita. Gerade in Corona-Zeiten, da manches wegfalle, kann man sich überlegen: Was ist mir wirklich wichtig? Was ist jetzt sogar stressfrei­er möglich? Mit welchen Menschen möchte ich Kontakt halten und über welche Wege geht das? Das hilft laut Stiegler, in diesem Jahr der Unwägbarke­iten selbst das Ruder wieder etwas zurückzuge­winnen.

● Verlässlic­he Vertretung­sregeln schaffen Urlaubsver­tretungen und Übergaben sorgen für Zusatzstre­ss. Gerade rund um Weihnachte­n wollen alle frei haben. In jedem Team sollte es daher längerfris­tige Vertretung­spartnersc­haften geben, empfiehlt Kröll. „Je länger sie bestehen, desto besser: Das Vertrauen zueinander steigt, die Übergaben können effiziente­r erfolgen, das spart Zeit.“Im Optimalfal­l vertritt man sich im Trio. Vonseiten des Betriebs oder des Management­s muss für Gerechtigk­eit bei der Urlaubspla­nung gesorgt werden, sodass nicht immer dieselben Leute freibekomm­en. „Am besten ist es, wenn die Abwesenhei­ten gemeinsam ausgehande­lt werden“, sagt Kröll. Dann kann am Ende jeder die Entscheidu­ngen nachvollzi­ehen.

● Mit dem Feiertagsd­ienst klarkom‰ men Und wie geht man damit um, wenn man auch um Weihnachte­n herum Schichten schieben muss, etwa im Labor, im Supermarkt oder in der Pflege? „Man sollte sich möglichst nicht darüber ärgern“, rät die Psychologi­n. Viel schöner sei es, wenn es einem gelingt, das umzudeuten. So kann man sich zum Beispiel selbst sagen, dass es Vorteile hat, nicht in der Ferienzeit frei zu haben, weil man viel Verkehr und hohe Preise umgehen kann. Wer in einem destruktiv­en Gedankenka­russell gefangen ist, dem empfiehlt

Raus aus dem Kreislauf negativer Gedanken

Kröll Techniken wie die „Gedanken-Schublade“. Hier stellt man sich vor dem inneren Auge eine Kommode vor, deren Schubladen mit Sorgen, Ärger, Enttäuschu­ngen oder Freude gekennzeic­hnet sind. „Seine destruktiv­en Gedanken visualisie­rt man dann auf kleinen Zetteln und packt sie gedanklich in die entspreche­nde Schublade und schließt diese demonstrat­iv ab.“Wenn man sich darauf einlässt, kann man sich besser von negativen Gedanken distanzier­en. Aber auch das Unternehme­n sei gefragt: „Es ist eine schöne Geste, wenn die, die an den Feiertagen arbeiten, zum Beispiel eine kleine Belohnung vom Betrieb bekommen.“Das kann ein Weihnachts­essen oder eine schöne Deko am Arbeitspla­tz sein.

● 2020 als Ausnahme sehen Für Betriebe ist dieses Jahr außergewöh­nlich: „Es gibt keine Planbarkei­t, häufig muss ad hoc entschiede­n werden, was zu tun ist“, sagt Stiegler. „Es ist ein bisschen so, als hätten wir den Vorweihnac­htsstress schon das ganze Jahr gehabt. Das ist anstrengen­d.“Es werde jedoch erträglich­er, wenn man sich stets vor Augen hält, dass die Pandemie eine Ausnahmesi­tuation ist, und versucht, seine Erwartunge­n an Planbarkei­t und Kontrolle anzupassen. „Das macht nicht unbedingt zufriedene­r. Denn die Planbarkei­t, ein Gefühl, das uns eigentlich Sicherheit spenden soll, wird immer wieder konterkari­ert“, so die Psychologi­n. Wichtig sei, diesen Ausnahmezu­stand auch im Team und im Betrieb immer wieder zu kommunizie­ren und die Rahmenbedi­ngungen abzustecke­n.

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Foto: Zacharie Scheurer, dpa Vorausplan­ung ist alles. Wer frühzeitig die anfallende­n Aufgaben sammelt, kann das Abarbeiten besser organisier­en – und so ge‰ rade in der Zeit vor Weihnachte­n und Jahresschl­uss vermeiden.

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