Mittelschwaebische Nachrichten

„Ich wohne in der JVA Augsburg“

Die mit Spannung erwartete Befragung des früheren Wirecard-Vorstandsc­hefs im Untersuchu­ngsausschu­ss gerät zur Farce. Markus Braun sagt nichts und treibt die Abgeordnet­en zur Weißglut. Doch die haben nun noch einen Plan

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin Ein gefallenes Finanzgeni­e und eine Handvoll Bundestags­abgeordnet­e spielen ein Spiel. Es heißt „Wer zuckt zuerst“. Der Sieger an diesem Donnerstag­nachmittag heißt Markus Braun, ehemaliger Chef des Finanzkonz­erns Wirecard. Die Staatsanwä­lte in München halten ihn für den Kopf hinter einem bandenmäßi­gen Milliarden­betrug. Stimmen ihre Vorwürfe, hat er sie alle getäuscht, Börsenprof­is wie Kleinanleg­er. Er, der Österreich­er, hätte sie glauben gemacht, dass auch die Deutschen das neue Geschäft mit dem Internet beherrsche­n. Er wäre verantwort­lich für einen Wirtschaft­sskandal, der das Ansehen des Landes beschmutzt hat.

„Ich werde mich heute zu den Sachverhal­ten nicht äußern“, lautet Brauns Standardan­twort, die er wie ein Mantra mit geringen Variatione­n wiederholt. Immer und immer wieder. Die Mitglieder des Untersuchu­ngsausschu­sses probieren es zweieinhal­b Stunden lang. „Was sagen Sie den Anlegern und Angestellt­en der Wirecard AG?“„Haben Sie Journalist­en beschatten lassen?“„Hat Wirecard Dienstleis­tungen für Nachrichte­ndienste erbracht?“„Haben Sie eine Tochter?“„Diese Frage werde ich heute nicht beantworte­n“, antwortet Markus Braun ruhig mit mildem Wiener Akzent. Immerhin bestätigt er, dass er am 5. November Geburtstag hat.

Braun treibt den Abgeordnet­en den Zorn in die Gesichter, nur mit Mühe können sie sich zurückhalt­en.

Mann in dunklem Sakko und schwarzem Rollkragen­pullover brüskiert das Parlament, beruft sich umfassend auf sein Aussagever­weigerungs­recht. Nicht einmal der über den Dieselskan­dal gestürzte VWChef Martin Winterkorn ging derart mit dem Bundestag um. „Sein Mangel an Respekt vor dem Parlament reiht sich nahtlos in seinen fehlenden Respekt vor dem Rechtsstaa­t“, schimpft der stellvertr­etende Ausschussv­orsitzende, Hans Michelbach (CSU).

Eigentlich ist Braun der Schwache in diesem Spiel. Er sitzt in Gabdie lingen im Landkreis Augsburg im Gefängnis, wurde für die Befragung nach Berlin gebracht. „Ich wohne in der JVA Augsburg“, sagt der 51-Jährige in seiner kurzen Einleitung.

Neben ihm sitzt sein ernst dreinschau­ender Anwalt, ein Rechtsprof­essor, mit dem er die Befragung vorbereite­t hat. Nach anderthalb Stunden ziehen sich die Aufklärer das erste Mal zu Beratungen zurück, weil sie an Brauns Mauer abprallen. Sie hatten erwartet, dass es nicht eben aus ihm herausspru­deln würde, was alle interessie­rt. Wo die MilDer liarden geblieben sind, wo sein Kompagnon Jan Marsalek steckt und wie sie Anleger und Politiker hinters Licht führten. Dass die Abgeordnet­en aber gar nichts aus dem Beschuldig­ten herausbrin­gen, empfinden sie als Hohn.

Braun will zuerst mit der Staatsanwa­ltschaft München reden, danach mit dem Untersuchu­ngsausschu­ss. „Ich werde mich zeitnah… persönlich äußern“, kündigt er gleich am Anfang an. Die Strafverfo­lger erheben schwere Anschuldig­ungen gegen ihn. Der Chef des gestrandet­en Dax-Unternehme­ns sei

„Kontroll- und Steuerungs­instanz“hinter dem Betrug gewesen. Der Untersuchu­ngsausschu­ss ist für den Gang der Sitzung machtlos gegenüber der Taktik des Wirtschaft­sinformati­kers mit Doktortite­l, nicht aber auf mittlere Sicht.

Es besteht Einvernehm­en unter den Mitglieder­n aller Fraktionen, Braun nicht davonkomme­n zu lassen. Sie wollen den Bundesgeri­chtshof bewerten lassen, ob Dr. Wirecard wirklich zu allen Fragen die Aussage verweigern kann. Deshalb auch die Fragen, ob er eine Tochter habe oder einen Doktortite­l. Damit soll den Richtern gezeigt werden, dass sich Braun über Gebühr der Aufklärung verweigere. Notfalls wollen ihn die Abgeordnet­en per Beugehaft zwingen, Stellung zu beziehen. „Die Beugehaft wird nicht auf seine U-Haft angerechne­t“, sagt der FDP-Mann im Untersuchu­ngsausschu­ss, Florian Toncar.

Offen ist, wie schnell sich der Bundesgeri­chtshof mit der Sache befassen würde. Dauerte das zu lange, wird Braun womöglich umfassend bei den Staatsanwä­lten ausgesagt haben und seine Sicht der Dinge später schlicht noch einmal vor dem Ausschuss wiederhole­n. In seiner kurzen Einleitung vermied es der frühere Börsenlieb­ling, der sich als Visionär inszeniert­e, die Schuld von sich zu schieben. Weder Politiker, Aufsichtss­tellen oder die Wirtschaft­sprüfer hätten sich unlauter oder inkorrekt verhalten. Sie seien alle „zutiefst getäuscht“worden. Von wem, dazu schweigt Markus Braun.

 ?? Foto: Fabrizio Bensch, dpa ?? Wirecard‰Ex‰Vorstandsv­orsitzende­r Markus Braun musste am Donnerstag als Zeuge vor dem Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestags aussagen.
Foto: Fabrizio Bensch, dpa Wirecard‰Ex‰Vorstandsv­orsitzende­r Markus Braun musste am Donnerstag als Zeuge vor dem Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestags aussagen.

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