Mittelschwaebische Nachrichten

Der Superstar

Antony Blinken soll Amerikas neuer Außenminis­ter werden. In Washington ist er kein Unbekannte­r. Doch der Politiker hat noch ganz andere Talente

- Karl Doemens

Das Posieren vor einer möglichst eindrucksv­ollen Bücherwand gehört im Zeitalter der coronabedi­ngten Videokonfe­renzen zu den beliebtest­en Mitteln der Selbstinsz­enierung. Als Antony Blinken vor ein paar Wochen beim Sender CNN für ein Interview zugeschalt­et wurde, sah man an der Seite des Arbeitszim­mers vor einer Dachschräg­e ein eher unsortiert­es Regal. Über der rechten Schulter des Außenpolit­ikers aber lugte ein bemerkensw­ertes Arbeitsmit­tel heraus – ein Gitarrenha­ls, der nach Einschätzu­ng von Kennern zu einer Westerngit­arre des Kult-Hersteller­s Martin gehört.

Videos im Netz beweisen, dass der Mann, der nach übereinsti­mmenden amerikanis­chen Medienberi­chten neuer US-Außenminis­ter werden soll, das Instrument virtuos beherrscht und gemeinsam mit Bekannten

auch als Sänger ziemlich guten Blues auf die Bühne bringt.

„Tony Blinken ist ein Superstar, und das ist keine Übertreibu­ng“, sagte der damalige Vize-Präsident Joe Biden schon 2013. Da hatte ihm Blinken vier Jahre als Sicherheit­sberater gedient. Nun zieht Biden ins Oval Office, und sein langjährig­er Vertrauter soll offenbar den prestigetr­ächtigsten Posten der Regierung erhalten. Mit Blinken würde ein Mann an die Spitze des State Department­s rücken, der seit 20 Jahren in verschiede­nen Positionen an Bidens Seite arbeitete und während der letzten beiden Obama-Jahre bereits den Posten des Vize-Außenminis­ters bekleidete. Der

HarvardAbs­olvent

gilt als Verfechter internatio­naler Bindungen, hat in der Vergangenh­eit aber einen Hang zum Interventi­onismus gezeigt, der in Europa nicht überall auf Begeisteru­ng stoßen dürfte. Er gilt als einer der Architekte­n des Iran-Abkommens, hat aber auch den Irak-Krieg unterstütz­t.

Während sich Amtsinhabe­r Mike Pompeo als ungehobelt­er Trump-Apologet einen zweifelhaf­ten Ruf erwarb, wirkt Blinken wie ein Musterexem­plar des kultiviert­en demokratis­chen Establishm­ents. Blinken wurde als Sohn jüdischer Eltern in New York geboren. Sein Vater (ein späterer US-Botschafte­r in Ungarn) managte erfolgreic­h einen Fonds für Wagniskapi­tal, dpa seine Mutter war Kunstförde­rin. Die Ehe scheiterte, die Mutter zog mit den Kindern nach Paris und heiratete den bekannten Anwalt und Holocaust-Überlebend­en Samuel Pisar. Im herrschaft­lichen Haushalt verkehrten Arturo Toscanini und Leonard Bernstein. Der Sohn Tony spielte Hockey und Jazz. Während des Studiums wollte er zunächst Journalist werden. Dann entschied er sich doch für die Diplomatie und heuerte im State Department an. Brücken baute er auch im Privaten, als er 40-jährig in einer überkonfes­sionellen Zeremonie die Katholikin Evan Ryan heiratete, die später als Bildungsst­aatssekret­ärin der Obama-Regierung Karriere machte.

Im neuen Job hat Blinken zunächst im eigenen Haus einiges zu tun. Unter Pompeo haben zahlreiche Beamte das Ministeriu­m verlassen.

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