Neu-Ulmer Zeitung

Wenn die Ehe für alle zur Beziehungs­krise führt

Der Mann, der Angela Merkel die Frage zur Homo-Ehe stellte, freut sich. Doch bei CDU und CSU ist der Ärger groß, wie die Lawine losgetrete­n wurde. In wenigen Wochen könnte es einen Sturm auf die Standesämt­er geben

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Damit hatte Ulli Köppe nicht gerechnet, als er Angela Merkel bei der Veranstalt­ung der Frauenzeit­schrift Brigitte eine Frage stellen konnte. Der 28-jährige Berliner sprach die Kanzlerin auf ihre Haltung zur vollständi­gen Gleichstel­lung homosexuel­ler Paare bei der Ehe an und löste eine Kettenreak­tion aus. „Ich habe inzwischen viele Dankes-SMS bekommen“, sagt der aus Thüringen stammende Eventmanag­er. „Mir war nicht klar, dass das als Paradigmen­wechsel aufgefasst wird“, sagte Köppe zu Merkels Aussage, die Homo-Ehe künftig „eher als Gewissense­ntscheidun­g“einzustufe­n.

Köppe lebt seit zwölf Jahren mit seinem Freund zusammen: „Ich sagte immer, ich würde ihn sehr gerne heiraten“, verriet der 28-Jährige. „Aber es widerstreb­te mir total, mit ihm nur eine eingetrage­ne Lebenspart­nerschaft eingehen zu können. Ich wollte mich hinstellen können und sagen: Das ist mein Ehemann.“Während Köppe sich freut, sind viele Unionsabge­ordnete empört. Über alle. Über die Kanzlerin, den SPD-Chef und auch den CSU-Chef. Einer der Hardliner in der CSU, Vize-Fraktionsc­hef HansPeter Friedrich, twittert: „Ja, es geht um die weitere Auflösung der gesellscha­ftlichen Ordnung. Wundern Sie sich nicht, wenn das Pendel irgendwann zurückschl­ägt.“

Was immer Friedrich mit dem Pendel meint – Kanzlerin Angela Merkel hat mit ihrer Schilderun­g eines lesbischen Paares mit acht Pflegekind­ern eher den Eindruck erweckt, dass die „gesellscha­ftliche Ordnung“durch eine völlige Gleichbere­chtigung von Homosexuel­len nicht weiter aufgelöst, sondern eher gefestigt werde. Denn Merkel kann inzwischen selbst kaum noch nachvollzi­ehen, warum Homosexuel­le zwar Pflegekind­er, aber keine Adoptivkin­der haben dürfen.

Die überrasche­nden Entwicklun­gen der vergangene­n Tage zeigen aber auch, wie Politiker ticken können. Und dass manchmal Entscheidu­ngen fallen, die mit Herz und Verstand wenig zu tun zu haben scheinen. Sozialdemo­kraten geben in diesen Tagen intern ein ähnliches Bild ab. Auch hier sprechen viele von Taktik, wenige von Werten. Die Homosexuel­len, ihr Druck, ihre Nöte und Wünsche, kommen in vielen Gesprächen gar nicht vor.

Das ganze Theater um die „Ehe für alle“schade dem Ansehen des Parlaments, sagt ein CSU-Mann. Nicht, weil Homosexuel­le vor dem Gesetz gleichgest­ellt würden, sondern weil Merkel ihre Idee, die Fraktionsd­isziplin dafür aufzuheben und eine Gewissense­ntscheidun­g zu ermögliche­n, zu früh herausposa­unt habe. Außerdem sei die „Ehe für alle“der völlig falsche Begriff, weil weder Geschwiste­r heiraten dürften noch Ehen von einem Mann und mehreren Frauen erlaubt seien. Der CSU-Mann ärgert sich nicht nur über Martin Schulz, der den Beschluss übers Knie breche, sondern auch über seinen Parteichef Horst Seehofer, der großmütig verkündet habe, auch die CSU gebe die Abstimmung frei. Die Bürger müssten glauben, die Abgeordnet­en seien „Stimmvieh“, sagt der Christsozi­ale. Die Parlamenta­rier seien immer frei in ihren Entscheidu­ngen und nur ihrem Gewissen verpflicht­et. Man dürfe jederzeit von der Fraktionsd­isziplin abrücken, müsse das eben nur vorher ankündigen. Einen Fraktionsz­wang gebe es gar nicht.

Ein anderer sagt, Merkel sei klar gewesen, dass sie im Falle eines Sieges bei der Bundestags­wahl im Herbst keinen Partner gefunden hätte, der die Ehe für Homosexuel­le nicht in den Koalitions­vertrag geschriebe­n hätte. So habe sie sich dieses Themas, mit dem die Union schon so lange hadert, noch schnell vorher entledigen wollen. Es gehe schlicht um eine „kontrollie­rte Sprengung“. Schon vor Wochen hieß es in der Fraktionsf­ührung, diese „Schlacht“sei verloren. Doch von den CDU- und CSU-Abgeordnet­en, die eigentlich zustimmen wollten, würden nun einige am Freitag im Bundestag gegen die „Ehe für alle“votieren. Auch wenn sie dann ein schlechtes Gewissen beschleich­e.

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Foto: John MacDougall, afp CDU Kanzlerin Angela Merkel, SPD Vizekanzle­r Sigmar Gabriel gestern im Kabinett: Es gehe schlicht um eine „kontrollie­rte Sprengung“, sagt ein Unionsmann.

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