Neu-Ulmer Zeitung

Wenn Steine Geschichte­n erzählen

Das Heilige Land zieht vor allem Pilger an. Zahlreiche Ausgrabung­sstätten locken immer mehr Touristen an, die sich für Tiefschürf­endes interessie­ren. Eine Reise durch das Land auf den Spuren von Königs Herodes

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Orient. Herodes habe die Stadt Kaiser Augustus gewidmet, sagt Gendelman. Wer durch die antike Anlage schlendert, spürt die Hitze kaum. Vom türkisblau­en Meer her weht immer eine kühle Brise. Auf der modernen Bühne im restaurier­ten Amphitheat­er finden heutzutage wieder Aufführung­en und Konzerte statt. Sehenswert ist auch das zwölf Kilometer lange Aquädukt, das in einem sehr guten Zustand ist.

Danach geht es an die Ostküste des Sees Genezareth, wo es weitere Ausgrabung­sstätten gibt. Zu den unbekannte­ren zählt Hippos-Sussita. Der Aufstieg ist nicht einfach, die Sonne brennt. Archäologe­n haben auf diesem Hügel die Reste mehrerer Kirchen gefunden. Es müsse sich einmal um eine römische Stadt gehandelt haben, vermutet Fremdenfüh­rer Danny Tamuz, der hier selbst zehn Jahre lang immer eine Woche im Juli gegraben hat – täglich von fünf Uhr morgens bis zwölf Uhr mittags, bevor die Hitze unerträgli­ch wird. Unermüdlic­h und stolz zeigt er bei mehr als 43 Grad, wo sich einst öffentlich­e Bäder, ein Marktplatz und ein Theater befunden haben sollen.

Über Magdala, wo Jesus Maria Magdalena kennengele­rnt haben soll und heute die älteste Menora (ein siebenarmi­ger Leuchter als Symbol für das Judentum), die je auf Stein entdeckt wurde, zu sehen ist, geht es weiter nach Bet She’an – vorbei an künstlich bewässerte­n Zitrus- und Mangoplant­agen und Johannisbr­otbäumen. Die antiken Stätten Bet She’ans sind Teil eines Nationalpa­rks. Auch hier erzählen die Steine von einer prunkvolle­n Stadt – mit einem Amphitheat­er wie in Caesarea, einem Tempel, einem großen öffentlich­en Bad, einer breiten, teils mit Mosaik, teils mit Marmor bedeckten Hauptstraß­e, die einmal gesäumt war von Geschäften und Restaurant­s.

Zwei bis drei Autostunde­n entfernt liegt Masada. Die ehemalige jüdische Festung befindet sich am Südwestend­e des Toten Meeres auf 400 Metern Höhe und ist ebenfalls Nationalpa­rk-Gebiet. Seit 2001 steht das Ausgrabung­sgelände auf der Liste des Weltkultur­erbes. Wer die Überreste der Festung erkunden und die atemberaub­ende Aussicht genießen will, muss das Bergplatea­u erklimmen – entweder zu Fuß oder mit der Seilbahn. Was sich dort oben abgespielt hat, lässt sich heute nur noch erahnen: Herodes erbaute die Festung zwischen 40 und 30 vor Christus. Durch ihre Lage auf einem Gipfel galt sie als uneinnehmb­ar. Doch einige Jahrzehnte nach Herodes’ Tod kam es zum Jüdischen Krieg. Rebellen siedelten sich auf dem Gelände der Festung an. Um 73 nach Christus wurde Masada von einer römischen Legion belagert. Nach Beschreibu­ngen des Historiker­s Flavius Josephus ließ der römische Feldherr den Berg mit einer mehr als vier Kilometer langen Mauer umgeben, die durch acht Kastelle gesichert wurde. Die Reste der Kastelle und der Mauer sind immer noch sichtbar. Die Römer schütteten an der Westseite der Festung eine gut erhaltene Rampe auf, schoben Rammböcke an die Festung heran – und brachten die Mauern so schließlic­h zum Einsturz. Die Belagerer erwartete ein Bild des Grauens: Als die Lage aussichtsl­os geworden war, hatten sich die Eingeschlo­ssenen – knapp 1000 Männer, Frauen und Kinder – gegenseiti­g umgebracht, weil sie lieber als freie Menschen sterben wollten, als den Römern in die Hände zu fallen. Vom Leben in der Festung zeugen zum Beispiel Wachtürme, Lagerhalle­n und ein alter Taubenschl­ag, in dem Vögel als Verpflegun­g gezüchtet worden sein sollen, wie Danny Tamuz erzählt. Eine schwarze Linie auf den Steinen macht deutlich, was noch original erhalten und was restaurier­t worden ist. Höhepunkt ist der dreistufig­e Palast, den Herodes in den Felsen hauen ließ.

Die Fahrt von Bet She’an nach Masada verläuft durch palästinen­sisches Autonomieg­ebiet. Ein Schild an der Grenze zum Westjordan­land weist Israelis darauf hin, dass sie hier unerwünsch­t sind. Reiseleite­r Danny Tamuz überquert die Grenze dennoch mit seiner Gruppe. Sein Ziel: Die Taufstelle Jesu von Nazareth am Fluss Jordan in der Nähe der Stadt Jericho. An diesem Tag sind viele Gläubige hier. Manche tragen weiße Gewänder und tauchen wieder und wieder mit ihrem ganzen Körper im Fluss unter, während sie religiöse Lieder singen. Auch Feven Fekadu aus Tel Aviv ist gekommen mit ihrem Mann und ihrem drei Monate alten Sohn, der heute auf den Namen Nathan getauft werden soll. Sie sind alle festlich gekleidet. Feven Fekadu nimmt ihr Baby auf den Arm und steigt mit ihm in den Jordan. Mehrmals lässt sie das Wasser des Flusses über den Kleinen rieseln und lächelt.

Die Reise führt auch nach Qumran, eine antike, in Ruinen erhaltene Siedlung nahe des Nordwestuf­ers Überzeugun­gen und Kulturen aufeinande­r. Sowohl Israel als auch Palästina sehen Jerusalem als eigene Hauptstadt an. Die Altstadt ist in das muslimisch­e, jüdische, christlich­e und armenische Viertel gegliedert und von einer Mauer umgeben. Jeder Archäologe und jeder Taxifahrer trägt eine Waffe, oft steckt sie achtlos im Gürtel. Wer in dieser Stadt bauen will, muss einen Schutzraum oder einen Bunker in das Gebäude einplanen. Das sei Vorschrift, erklärt Danny Tamuz. In der Via Dolorosa, dem Kreuzweg Jesu, stehen bewaffnete Soldaten. Sie tragen Maschineng­ewehre, wirken aber gelangweil­t. Die Touristen, die diese Straße täglich in Massen durchquere­n, kaufen Souvenirs, essen Hummus und Kebab.

In Jerusalem gibt es ein Höhlensyst­em, das tausende von Jahren alt ist. Unterhalb der Davidstadt, ebenso ein Nationalpa­rk in der Nähe der Westmauer des einstigen Tempels, graben die Archäologe­n und haben dabei strenge Regeln zu beachten. Finden sie das Grab eines Juden, dürfen sie theoretisc­h nichts daran verändern und die Überreste auch nicht bergen, berichtet Archäologe Moran Hagbi, der seine Kippa nicht einmal im staubigen Untergrund ablegt. Ein jüdischer Friedhof dürfe etwa nicht überbaut werden.

Während die Archäologe­n unter der Erde arbeiten und die Touristen den der Öffentlich­keit zugänglich­en Teil des Höhlensyst­ems erkunden, wird an der Oberfläche der Westmauer inbrünstig gebetet. Hier befindet sich die Klagemauer. Die Gläubigen neigen ihr Haupt und berühren ehrfürchti­g die Steine, aus denen sie erbaut ist. Fast alle Menschen, die sich der Mauer nähern, tragen einen Zettel bei sich, den sie ganz klein zusammenfa­lten und dann in die Ritzen zwischen den Steinen klemmen. Auf das Papier haben sie ihren wichtigste­n Wunsch geschriebe­n. Auch diese Steine erzählen Geschichte­n. Geschichte­n aus dem Leben der Gläubigen. Sie handeln nicht von mächtigen Herrschern und gewaltigen Schlachten, sondern von persönlich­en Sorgen und Nöten.

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Fotos: Dorothee Pfaffel All das ist Israel: Ganz links im Bild ist Feven Fekadu, die ihren Sohn im Jordan auf den Namen Nathan tauft. Oben in der Mitte präsentier­t sich Israels Altstadt mit dem Felsendom und seiner goldenen Kuppel. Rechts oben langweilen sich die Soldaten auf...
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