„Es wird kein zweites Nordirland“
Der deutsch-katalanische Politikwissenschaftler Peter A. Kraus über die Perspektiven der abtrünnigen Provinz Katalonien. Er sagt auch, warum Spaniens König Felipe als Vermittler versagte
In Barcelona demonstrierten am Wochenende Tausende für die Unabhängigkeit Kataloniens. Noch eine Woche davor gab es eine Demo dagegen. Ist Katalonien also gespalten?
Jein. Ich würde den Begriff polarisiert vorziehen. Es gibt unterschiedliche Präferenzen in der Bevölkerung. Katalonien wird kein zweites Nordirland mit zwei völlig zerstrittenen Lagern, die sich verfeindet und hasserfüllt gegenüberstehen. Auf beiden Seiten gibt es radikale und gemäßigte Kräfte. Aber ich kenne Politiker und Aktivisten aus beiden Lagern, die weiterhin einen durchaus freundlichen Umgang miteinander pflegen.
Der Anführer der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung, Carles Puigdemont, hat vergangene Woche aus Brüssel verkündet, nicht mehr als Regionalpräsident Kataloniens zu kandidieren. Entschärft das die schwierige Lage?
Kurzfristig: Nein. Also die Lage ist von beiden Seiten her betrachtet, an die Wand gefahren. Auf der spanischen Seite hat man einen Wettbewerb zwischen einer rechtsliberalen Partei und der regierenden Volkspartei. Die Frage ist, welche von beiden Parteien die Einheit Spaniens besser verteidigt. Das führt dazu, dass die Regierung unter Ministerpräsident Mariano Rajoy sehr hart bleiben muss gegenüber Barcelona. Das klingt zynisch, aber in Spanien bringt es Stimmen, wenn man anti-katalanisch handelt.
Und in Katalonien?
Da ist es umgekehrt. Viele wollen nicht von dem Referendum im Oktober abrücken. Da wurde symbolisch eine Republik verkündet, die es real nicht gibt. Doch viele wollen so tun, als gäbe es die noch. Das ist keine Perspektive, die aktuell viel einbringt. Die Lage ist deshalb unheimlich kompliziert. Besteht die Möglichkeit, dass eine der Seiten vielleicht einen Schritt auf die andere zugeht?
Das ist nicht absehbar. Man muss erst einmal schauen, wer am Ende Regionalpräsident wird in Katalonien. Das kann aber auch möglicherweise scheitern, und es gibt Neuwahlen, was nicht völlig unrealistisch ist. Aber ich glaube an eine baldige Einigung in der Frage eines Nachfolgers für Puigdemont.
War das Referendum ein Fehler der katalanischen Regierung?
Schwierige Frage. Auf der einen Seite war es mit Sicherheit ein Fehler, zu diesem Zeitpunkt ein Referendum mer die Schweiz als Vorbild genommen. Da haben sich in den 1970ern Kantone neu aufgegliedert. Die Katalanen wollten im Kern eine Neuregelung nachbarschaftlicher Beziehungen. Man ist immer noch bereit, für ärmere Regionen zu zahlen. Man wollte nur das Gefühl der permanenten Entmündigung durch Madrid beenden und sich effektiv selbst regieren. Gibt es eine Alternative zu Puigdemont?
Es gibt einen Vorschlag: Jordi Sànchez. Er ist parteilos und Sprecher der katalanischen Nationalversammlung. Jedoch ist er in Untersuchungshaft, und das wirft juristische Probleme auf. Theoretisch könnte er gewählt werden, weil er in Spanien und nicht verurteilt ist. Aber ob seine Kandidatur juristisch durchginge, ist fraglich. Aktuell sind auch die Unabhängigkeitsbefürworter untereinander zerstritten. Steigt dadurch unter der Bevölkerung die Frustration auf die katalanische Regierung?
Selbstverständlich. Die Frustration ist groß. Aber: Der Schachzug des spanischen Regierungschefs Rajoy, die Neuwahlen im Dezember vorzuziehen, war so gedacht, dass das andere Lager in Katalonien gewinnt. Doch das ging komplett daneben, es gab ein Protestwahlverhalten gegenüber Madrid. Die Anhänger der Unabhängigkeit setzten sich erneut durch.
Wie sehen Sie die Rolle des spanischen Königshauses?
Aus katalanischer Perspektive hat König Felipe völlig versagt. Der König ist ähnlich wie Steinmeier in Deutschland das Staatsoberhaupt. Man erwartet daher eine vermittelnde Rolle. Doch der König hat sich im Oktober eindeutig auf die Seite der Regierung gestellt. Sein Auftreten war eine große Enttäuschung für die Katalanen. Er hat seine Rolle nicht gut gespielt. Wie geht es nun weiter, wird es ein weiteres Referendum geben?
Nein, es wird so schnell kein Referendum mehr geben. Der Volksentscheid im Oktober war für viele Katalanen ein symbolischer Schritt, um mittelfristig ein legales Referendum wie in Schottland zu ermöglichen. Die politische Lage ist schwierig, aber sie kann in geregelte Bahnen gelenkt werden. An dem Punkt ist die EU gefragt. Doch die tabuisiert das Thema.
Warum hält sich die EU raus?
Der EU geht es nicht gut. Sie pfeift vielleicht nicht aus dem letzten Loch, aber aus dem vorletzten. In allen Mitgliedstaaten gibt es euroskeptische Kräfte, die erstarken. Jüngst zu beobachten bei der Wahl in Italien. Die EU möchte sich verteidigen und keine neuen Fronten aufmachen.
Wie geht es für Carles Puigdemont weiter?
Er will nicht ins Gefängnis gehen. Puigdemont wird vorerst in Brüssel bleiben. Durch seine Flucht ist es ihm schon gelungen, den Konflikt etwas zu internationalisieren. Auch andere Politiker sind ins Ausland geflüchtet. Das trägt dazu bei, die Aufmerksamkeit weiter auf die Situation in Katalonien zu lenken.
Interview: Denis Dworatschek
ist Profes sor für Vergleichende Po litikwissenschaft an der Uni Augsburg. Er hat katala nische Wurzeln. Die britische Premierministerin Theresa May hat Russland ein Ultimatum für eine Erklärung zum Fall des Giftanschlags auf den russischen Ex-Spion Sergej Skripal gestellt. May bezeichnete es am Montag in London als „höchst wahrscheinlich“, dass Russland für den Anschlag auf Skripal und seine Tochter Julia verantwortlich sei. Bis Dienstagabend müsse sich Moskau gegenüber der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) erklären. Der Anschlag sei mit einer Sorte Nervengift ausgeführt worden, die in Russland entwickelt worden sei, sagte May in einer Rede vor dem britischen Unterhaus. Das verwendete Gift sei „von militärischer Qualität“. Russland wies die Anschuldigungen als „ eine Zirkus-Nummer im britischen Parlament“zurück. Der 66-jährige Skripal und seine Tochter Julia waren in Salisbury bewusstlos auf einer Bank aufgefunden worden. Ihr Zustand wird als weiterhin kritisch, aber stabil bezeichnet. Skripal, ein Oberst des russischen Militärgeheimdiensts, soll russische Agenten an den britischen Geheimdienst verraten haben. Kolumbien rückt nach der Parlamentswahl nach rechts. Die rechtskonservative Partei Centro Democrático von Ex-Präsident Álvaro Uribe wurde am Sonntag stärkste Kraft im Kongress. Die entschiedenen Gegner des Friedensvertrags mit der Farc-Guerilla erhielten in beiden Kammern mehr als 16 Prozent der Stimmen. Sie können nach Angaben der Wahlbehörde mit 19 Sitzen im Senat und 32 Sitzen im Abgeordnetenhaus rechnen. In beiden Kammern kommen die konservativen Kräfte auf rund 60 Prozent, die meisten von ihnen haben sich jedoch für das Friedensabkommen ausgesprochen. Die Partei der Ex-Farc-Rebellen erhielt weniger als 0,5 Prozent. (epd) Israels rechts-religiöse Regierung ist im Streit um die Wehrpflicht für tiefreligiöse Männer in eine schwere Krise geraten. Sollte es nicht zu einer Einigung kommen, wird mit einer Neuwahl gerechnet. Verteidigungsminister Avigdor Lieberman sagte am Montag vor Journalisten, seine Partei Israel Beitenu (Israel Unser Haus) mit fünf Abgeordneten werde aus der Koalition ausscheiden, falls ein Gesetz gebilligt wird, das Strengreligiöse von der Wehrpflicht befreit. Netanjahus Koalition verfügt über eine Mehrheit von 66 der 120 Sitze. Die Koalitionskrise schwelt vor dem Hintergrund von Korruptionsvorwürfen gegen Netanjahu. Die Polizei hat empfohlen, in zwei Fällen Anklage gegen ihn zu erheben.