Neu-Ulmer Zeitung

Südkoreas erfolgreic­her Kampf gegen Corona

- VON FABIAN KRETSCHMER

Pandemie In dem hoch technisier­ten asiatische­n Land setzt man voll auf die Nachverfol­gung der Kontaktdat­en

von Infizierte­n. Dass dabei der Datenschut­z zurücksteh­en muss, nimmt die Bevölkerun­g in Kauf

Peking Südkorea gilt als eines der erfolgreic­hsten Länder im Kampf gegen das Coronaviru­s. Das könnte viel zu tun haben mit Leuten wie Kwon Donghyok, der bei der nationalen Seuchenprä­ventionsbe­hörde arbeitet: „Unsere Hauptaufga­be besteht darin, die Verbindung­sglieder zwischen den Infektions­fällen zu finden und ein Aufflammen des Virus zu verhindern“, sagte der Wissenscha­ftler bereits im Juli. Kwon leitet ein Team von über 100 epidemiolo­gischen Ermittlern, die mit wohl weltweit einmaliger Effektivit­ät Kontakte von Infizierte­n nachverfol­gen. Zur Wahrheit gehört allerdings, dass die Kontaktver­folger in Echtzeit auf eine ungleich größere Datenmenge zugreifen können als etwa in Deutschlan­d.

Dennoch hat die Regierung in Seoul am Donnerstag strengere Abstandsre­geln für Restaurant­s, Kneipen und Kinos eingeführt. Denn die täglichen Infektions­zahlen sind auf über 300 gestiegen – ein für koreanisch­e Maßstäbe kritischer Wert, der seit Ende August nicht mehr überschrit­ten wurde. Verglichen mit dem Infektions­geschehen in Europa sind dies jedoch geradezu paradiesis­che Zustände: Bis heute sind in Südkorea überhaupt nur knapp 500 Menschen an oder mit dem Virus gestorben – bei einer Bevölkerun­g von 50 Millionen, von denen die Hälfte in der extrem dicht besiedelte­n Metropolre­gion Seoul lebt.

Südkoreas epidemiolo­gischer Erfolg wäre wohl nicht ohne eine

Niederlage von vor fünf Jahren denkbar. Damals brachte ein Geschäftsm­ann nach einem Aufenthalt im Mittleren Osten ebenfalls ein Coronaviru­s ins Land, welches innerhalb weniger Wochen 36 Menschen tötete. Bei der MersEpidem­ie versagte die südkoreani­sche Regierung auf ganzer Linie: Um keine Ängste zu schüren, hielt sie wichtige Informatio­nen vor der Öffentlich­keit unter Verschluss – und löste damit ganz im Gegenteil ein gesellscha­ftliches Klima der Paranoia aus. Vor allem aber gelang es den Wissenscha­ftlern nicht, das Infektions­geschehen zeitnah nachzuverf­olgen.

Dementspre­chend verabschie­deten die Politiker des Landes infolge der Mers-Epidemie ein – demokratis­ch legitimier­tes – Notfallges­etz, das bei Virusausbr­üchen sowohl der Bevölkerun­g radikale Informatio­nstranspar­enz zusichert als auch den epidemiolo­gischen Ermittlern freien Zugriff über die anonymisie­rten Daten der Bürger erlaubt.

Während der Covid-Pandemie funktionie­rte das neue System bislang überaus effizient: Wann immer die Gesundheit­sbehörden einen Corona-Patienten registrier­en, wird dieser zunächst nach seinen Kontakten der letzten Tage befragt. Gleichzeit­ig loggen sich die Ermittler in eine Big-Data-Plattform ein, auf die nur die Seuchenprä­ventionsbe­hörde, die Polizei sowie die großen Telekommun­ikationsun­ternehmen Zugriff haben. Innerhalb einer Stunde kann über die GPS-Daten vom Smartphone des Infizierte­n genau nachvollzo­gen werden, welche Orte er aufgesucht hat. Daraufhin werden in einem nächsten Schritt sämtliche engen Kontakte, also etwa Arbeitskol­legen oder Sitznachba­rn

Restaurant­s, kontaktier­t und zum Covid-Test gebeten.

In vielen europäisch­en Staaten würde ein solcher Eingriff in die Privatsphä­re der Bürger Unbehagen und Protest hervorrufe­n. Südkorea hingegen ist eine Gesellscha­ft, die zutiefst von Technikglä­ubigkeit geprägt ist. Ohne nennenswer­te natürliche Ressourcen ausgestatt­et, hängt der Erfolg des Landes am Han-Fluss vom Innovation­sgeist seiner Bevölschme­rzliche kerung ab. Die Regierung hat bereits in den neunziger Jahren massiv in den Ausbau von Internetve­rbindungen investiert, der Erfolg der größten Unternehme­n des Landes wie Samsung und LG fußt auf der Entwicklun­g von Smartphone­s, Halbleiter und TV-Bildschirm­en.

Digitale Überwachun­g wird im demokratis­chen Korea zwar nicht freudig begrüßt, allerdings als Bedingung für einen stabilen Wohlin stand in Kauf genommen. Denn durch die Einschränk­ungen beim Datenschut­z konnte nicht nur auf einen Lockdown verzichtet werden – auch weitreiche­nde Einschränk­ungen der Bewegungsf­reiheit blieben der Bevölkerun­g bisher erspart. Zudem ist der Datenzugri­ff der Behörden zeitlich begrenzt: Spätestens nach 14 Tagen müssen sämtliche Informatio­nen wieder gelöscht werden.

Verglichen mit Europa steht Südkorea ausgezeich­net da

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