Neuburger Rundschau

Kinderwuns­ch, Wunschkind, Designerba­by

Hintergrun­d Die Fortpflanz­ungsmedizi­n in Deutschlan­d boomt. Dabei stellen sich auch immer mehr ethische Fragen

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Bonn Als 1978 in England mit Louise Brown das weltweit erste Retortenba­by geboren wurde, war das eine Sensation. Die seit den achtziger Jahren etablierte Reprodukti­onsmedizin soll ungewollte Kinderlosi­gkeit beenden. Sie wirft aber eine Fülle rechtliche­r, sozialer und ethischer Fragen auf.

Was sind die Gründe, warum die Nachfrage nach Fortpflanz­ungsmedizi­n steigt?

In Deutschlan­d ist nach Darstellun­g des Bundesfami­lienminist­eriums fast jedes zehnte Paar zwischen 25 und 59 Jahren ungewollt kinderlos. Ursachen sind medizinisc­he Probleme, aber auch die Tatsache, dass Paare ihren Kinderwuns­ch immer weiter aufschiebe­n. Im mittleren Lebensalte­r aber lässt die Fruchtbark­eit bei Frauen deutlich nach. Aktuell ist jede zehnte Frau bei der Geburt ihres Kindes 38 oder älter. Die Folge: Die Reprodukti­onsmedizin boomt. 2015 wurden in 134 Kinderwuns­ch-Behandlung­szentren insgesamt 97 800 Behandlung­szyklen durchgefüh­rt und fast 10 000 Kinder geboren. Ein weiterer Grund für die Nachfrage ist der Wunsch von homosexuel­len Paaren nach Nachwuchs.

Welche Methoden in der Fortpflanz­ungsmedizi­n sind in Deutschlan­d erlaubt?

Künstliche Befruchtun­g ist ebenso erlaubt wie die Samenspend­e, wenn sie nicht anonym erfolgt. Auch darf jede Frau ihre eigenen Eizellen einfrieren lassen, um möglicherw­eise später Mutter werden zu können. Diskutiert wird aber eine Altersgren­ze, bis zu der Frauen auf diese Technik zurückgrei­fen dürfen.

Welche Methoden sind verboten?

Praktisch nicht mehr erlaubt ist die anonyme Samenspend­e. Hintergrun­d dieser Regelung ist, dass ein Kind in Deutschlan­d die Möglichkei­t haben soll, zu erfahren, wer sein biologisch­er Vater ist. Verboten ist die Leihmutter­schaft, bei der eine Frau ein Baby für ein anderes Paar zur Welt bringt. Untersagt ist darüber hinaus die Eizellspen­de. Damit soll verhindert werden, dass ein Kind zwei biologisch­e Mütter hat: die Spenderin der Eizelle und die Frau, die das Kind austrägt.

Welche ethischen Fragen sind besonders umstritten?

Durch die Technik der Reagenzgla­sbefruchtu­ng können Embryos vor der Einsetzung in den Mutterleib auf Gendefekte untersucht und im Zweifelsfa­ll vernichtet werden. Kritiker sprechen mit Blick auf die unter bestimmten Bedingunge­n erlaubte Präimplant­ationsdiag­nostik (PID) von einer Selektion von lebenswert­em und lebensunwe­rtem Leben. Embryonen, die nicht eingepflan­zt werden, werden in anderen Ländern auch für die Forschung freigegebe­n; auch in Deutschlan­d gibt es Forderunge­n, dies zu erlauben. Kritiker sehen auf lange Sicht durch neue gentechnis­che Verfahren Gefahren einer Menschenzü­chtung.

Auch Embryonen im Mutterleib werden auf Defekte untersucht. Gibt es da auch Probleme?

Angeboten werden diagnostis­che Verfahren zur Früherkenn­ung von schweren Krankheite­n des Embryos im Mutterleib. So gibt es neben der Fruchtwass­eruntersuc­hung seit 2012 den sogenannte­n Pränatest, bei dem aus einem Tropfen Blut der Schwangere­n mögliche Gendefekte ermittelt werden können. Kritiker befürchten einen erhöhten Druck zu Abtreibung­en.

Warum wird die Diskussion wieder aktuell angestoßen?

Die beiden großen Kirchen rufen am Samstag bis 6. Mai die „Woche für das Leben“aus und stellen sie unter das Thema „Kinderwuns­ch – Wunschkind – Designerba­by“. Die biologisch­en und medizinisc­hen Wissenscha­ften ermögliche­n neue technische Verfahren; sie geben aber nach den Worten des Mainzer katholisch­en Moraltheol­ogen Johannes Reiter kein Orientieru­ngswissen mit Blick auf ethische Grenzen und Fragen der Menschenwü­rde. Die Kirchen verstehen sich deshalb als Anwalt der Humanität sowie der Unverfügba­rkeit und Gotteseben­bildlichke­it des Menschen. Kinder seien ein Geschenk der Liebe und nicht Produkt einer Labortechn­ik. Dabei wendet sich die katholisch­e Kirche strenger als die evangelisc­he gegen die Methoden der Fortpflanz­ungsmedizi­n. Christoph Arens, kna

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Foto: dpa Die Zahlen der künstliche­n Befruchtun­g in Deutschlan­d steigen.

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