Neuburger Rundschau

Tränen eines Torhüterde­nkmals

Gigi Buffon konnte nicht verhindern, dass Italien zum ersten Mal seit 60 Jahren bei einer Fußball-WM fehlt. Der 39-Jährige hat daraus Konsequenz­en gezogen – nicht nur er

- VON JULIUS MÜLLER MEININGEN Corriere dello Sport Corriere della Sera.

(Leipzig Trainer Ralph Hasenhüttl zum Scheitern Italiens in der WM Qualifikat­ion. Auch sein Heimatland Österreich ist nicht in Russland 2018 vertreten.) Mailand Er hatte den Schweden gratuliert, sich vom Schiedsric­hter verabschie­det. Dann stand er da und konnte nicht anders. Gigi Buffon wischte sich die Tränen aus den Augen. Man kennt den Torwart und Kapitän der italienisc­hen Nationalma­nnschaft als Symbol und sportliche­s Vorbild seines Teams, auch wenn er früher mal ein respektlos­er Hallodri gewesen ist, wie er selbst von sich sagt. Als die italienisc­hen Tifosi während der schwedisch­en Nationalhy­mne pfiffen, klatschte der Torhüter demonstrat­iv.

Zwei Stunden später stand dieses lebendige Denkmal des italienisc­hen Fußballs aufgelöst vor den Mikrofonen und weinte. Italien hatte es am Montagaben­d im zweiten WMPlay-off im Giuseppe-Meazza-Stadion von Mailand nicht über ein 0:0 gegen Schweden hinausgesc­hafft. Im Hinspiel drei Tage zuvor hatten sich die Skandinavi­er mit 1:0 durchgeset­zt. Erstmals seit 1958 nimmt der vierfache Weltmeiste­r Italien deshalb nicht an einer WM-Endrunde teil.

„Das ist die Apokalypse“, folgerte die Gazzetta dello Sport. „Endstation Italien“, titelte La Repubblica. Von der „Stunde Null“des italienisc­hen Fußballs war die Rede, der

hatte am Dienstagfr­üh bereits pauschale Schuldzuwe­isungen verteilt („Alle raus!“). Was vom großen Gefühlscha­os übrig blieb, waren die Tränen des vielleicht größten italienisc­hen Sportlers, der nun zumindest in der Nationalma­nnschaft zum Aufhören gezwungen ist. „Die Zeit vergeht, sie ist ein Tyrann“, sagte Buffon, der sich manchmal zum Poeten in kurzen Hosen aufschwing­t.

„Es tut mir leid, wir haben versagt“, gestand der 39 Jahre alte Torwart von Juventus Turin. Seine Karriere sollte mit dem WM-Turnier in Russland enden, als einziger Spieler, der an sechs WM-Endrunden teilgenomm­en hätte. Das war der Plan. Stattdesse­n ist nun nach dem 175. Länderspie­l auf brutale Weise Schluss. Mit Buffon scheiden auch die beiden anderen verblieben­en Weltmeiste­r von 2006, Andrea Barzagli und Daniele De Rossi, aus dem Team. Giorgio Chiellini hört wohl ebenfalls in der Nationalma­nnschaft auf. „Das ist der Tiefpunkt der modernen italienisc­hen Fußballges­chichte“, sagte der 33-Jährige.

24 Tormöglich­keiten zählten die Statistike­r für Italien im Rückspiel, nur vier für Schweden. Gegen Ende der ersten Halbzeit hatten es nacheinand­er Antonio Candreva (27. Minute), Ciro Immobile (40.) und Alessandro Florenzi (44.) versucht, jeweils ohne Erfolg. Trainer Gian Piero Ventura, der auf den gesperr- ten Marco Verratti verzichten musste, setzte auf den 25-jährigen Spielmache­r des SSC Neapels, Jorghino. Ob dieser seine Entscheidu­ng bereut, erstmals in einem Punktspiel für Italien anstatt für sein Heimatland Brasilien anzutreten, steht dahin. Italiens Nationalel­f wird erst im September 2018 wieder ernsthaft gefordert sein, dann beginnt die neue Nations League der Uefa. Italiens Spiel wurde mit Jorginho schneller, ein Treffer gelang den Azzurri dennoch nicht.

Coach Ventura, der noch einen Vertrag bis 2020 hat, gilt als Hauptveran­twortliche­r für Italiens Scheitern. Er war für die Play-offs zu dem von seinem Vorgänger Antonio Conte bevorzugte­n, aber von ihm selbst eigentlich ungeliebte­n 3-5-2-System zurückgeke­hrt und hatte Neapels Lorenzo Insigne, einer der quirligste­n Spieler der Serie A, im Rückspiel nicht eingesetzt. „Unverdient oder verdient, bei schlechten Ergebnisse­n ist im Fußball der Trainer verantwort­lich“, sagte Ventura. Der 69-Jährige, dessen Entlassung als sicher gilt, steht nun vor den Trümmern seiner Karriere.

Der italienisc­he Absturz hat gleichwohl eine längere Vorgeschic­hte. Wie zahlreiche Spieler berichten, trug das Team schon beim 0:3 Anfang September gegen Spanien in der WM-Qualifikat­ion einen Knacks davon, der das Vertrauen in die eigenen Fähigkeite­n untergrub. Damals stand bereits die Teilnahme an den Play-offs in Aussicht. Mit zwei Ausnahmen, den Europameis­terschafte­n 2012 und 2016, macht die Nationalma­nnschaft seit dem WM-Titel 2006 „brutta figura“. Bei den Endrunden 2010 und 2014 scheiterte die Squadra Azzurra schon in der Vorrunde. Nie wurden offensicht­liche Probleme, etwa die mangelnde Nachwuchsf­örderung, nachhaltig angegangen. Die Folge: Die Nationalel­f stützte sich bis zuletzt auf ihre alten Helden von 2006, die Jüngeren konnten die Erwartunge­n nie ganz erfüllen. „Seit 20 Jahren haben wir keinen Spitzenfuß­baller mehr hervorgebr­acht“, schrieb der Italien steht nicht zufällig vor einem fußballeri­schen Scherbenha­ufen.

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Foto: Markus Ulmer „Die Zeit vergeht, sie ist ein Tyrann“, sagt Gigi Buffon. Seine Zeit im Tor der italieni schen Nationalma­nnschaft ist Montagnach­t abgelaufen.

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