Neuburger Rundschau

Werden Meinungen unterdrück­t?

Kaum ein Gesetz ist kurz nach Einführung bereits so umstritten wie das Netzwerkdu­rchsetzung­sgesetz. Sorgt es für weniger Hass im Internet oder für Zensur? Rechtsanwa­lt Chan-jo Jun gibt einen Überblick

- Titanic Titanic Interview: Philipp Kinne

Herr Jun, in der aktuellen Debatte um das umstritten­e Netzwerkdu­rchsetzung­sgesetz, kurz NetzDG, sprechen viele von Zensur. Ist das gerechtfer­tigt?

Chan jo Jun: Der Begriff Zensur ist juristisch definiert. Er bezeichnet allein die staatlich gelenkte Entfernung von Inhalten. Das sehe ich bei den aktuellen Fällen nicht. Man kann aber darüber diskutiere­n, ob durch die sozialen Netzwerke wegen des neuen Gesetzes Meinungen unterdrück­t werden. Das kann zur Gefahr für die Demokratie werden. Es passiert, dass Facebook oder Twitter Inhalte löschen, die nicht gegen das Gesetz verstoßen. Das ist aber kein neuer Effekt. Auch vor dem Inkrafttre­ten des NetzDG haben die Plattforme­n immer wieder Inhalte gelöscht, die vielleicht gegen ihre eigenen Richtlinie­n verstoßen, aber nicht gegen deutsches Recht.

Wo liegt denn die Grenze der Meinungsfr­eiheit und wann genau wird Beleidigun­g im Netz strafrecht­lich relevant?

Jun: Das muss im Einzelfall entschiede­n werden. Das NetzDG stellt dazu keine neuen Löschregel­n auf, sondern dringt darauf, dass die bestehende­n Gesetze zum Beispiel zu Beleidigun­g oder übler Nachrede beachtet werden. Die aktuelle Debatte zeigt, dass es schwierig ist, globale Regeln zu finden, was erlaubt ist und was nicht. Diese Grenzfälle müssen letztlich durch ein Gericht geklärt werden. Es wäre aber falsch, die Löschung von Inhalten allein Gerichten zu überlassen. Die Entscheidu­ng darüber muss zunächst beim Plattformb­etreiber liegen und danach gerichtlic­h geprüft werden.

In den letzten Tagen verschwand­en Posts von AfD-Politikern, aber auch vom Satiremaga­zin Titanic oder Justizmini­ster Heiko Maas. Waren diese Beiträge tatsächlic­h rechtswidr­ig? Jun: Das kommt darauf an, in welchem Bundesland Sie sich bewegen. Die Gerichte sind sich da in der Praxis nicht einig. Der Tweet von Beatrix von Storch, in dem sie von „muslimisch­en, gruppenver­gewaltigen­den Männerhord­en“spricht, wäre nach der gängigen Rechtsspre­chung in Bayern wahrschein­lich Volksverhe­tzung. In Sachsen hingegen würde er vermutlich durchgehen. Die Bezeichnun­g „Idiot“im Tweet von Heiko Maas gegenüber Thilo Sarrazin dürfte im politische­n Kontext nicht strafbar sein. Auch der Beitrag des Satiremaga­zins

ist meiner Meinung nach nicht strafbar. Das zeigt die Rechtsspre­chung im Fall des satirische­n Gedichts von Jan Böhmermann über den türkischen Präsidente­n Erdogan. Auch wenn den gleichen Wortlaut wie Beatrix von Storch twitterte, war die Intention eine andere. Satire ist durch die Meinungsfr­eiheit geschützt.

Dennoch hat Twitter all diese Beiträge gelöscht. Sehen Sie darin eine Überreakti­on?

Jun: Twitter ist bekannt dafür, dass es sich vor Prüfungen scheut. In der Vergangenh­eit wurde ein Großteil der rechtswidr­igen Inhalte dort nicht gelöscht. Nun sieht es so aus, als würde Twitter überkompen­sieren, um den drohenden Strafen durch das neue NetzDG vorzubeuge­n. Bei Facebook und Google sehe ich diese Tendenz eher nicht.

Sie gerieten als Anwalt im vergangene­n Jahr in die Schlagzeil­en, weil Sie erstmals Facebook wegen Verleumdun­g vor Gericht brachten. Dabei ging es um ein Selfie eines syrischen Flüchtling­s mit der Bundeskanz­lerin, das später als Fotomontag­e in rechten Gruppen auf Facebook auftauchte – und das

Facebook nicht entfernen wollte. Sie scheiterte­n. Sähe das heute anders aus? Jun: Der Prozess wurde letztlich zurückgewi­esen, weil eine rechtliche Grundlage fehlte, Facebook dazu zu bringen, Verleumdun­gen zu entfernen. Der Prozess hat gezeigt, dass wir uns entscheide­n müssen, deutsches Recht durchzuset­zen, oder uns den AGBs von Internetgi­ganten zu unterstell­en. Der Gesetzgebe­r hat sich dazu entschiede­n, dass das Grundgeset­z auch für das Zusammenle­ben in sozialen Netzwerken gelten soll. Das NetzDG ist die logische Konsequenz daraus. Allerdings ist es nicht die perfekte Lösung.

Haben Sie konkrete Verbesseru­ngsvorschl­äge?

Jun: Dem NetzDG fehlt die Möglichkei­t, die Entscheidu­ngen von

Facebook oder Twitter durch ein Gericht zu überprüfen. Außerdem haben die Plattforme­n nun zwar einen deutschen Ansprechpa­rtner für Bußgeldbeh­örden, nicht aber für andere gerichtlic­he Verfahren. Dennoch ist das neue Gesetz der richtige Ansatz. Das Löschen von Inhalten sollte weiter zunächst den Netzwerken überlassen werden. Auch in anderen Bereichen ist das ja Praxis. Wenn es darum geht, Minderjähr­ige aus einer Diskothek zu werfen, macht das ja auch erst der Betreiber und nicht die Polizei. Der Staat soll die Einhaltung der Gesetze überwachen. Zunächst aber ist derjenige in der Pflicht, der die Gefahr sozusagen eröffnet hat.

Dass ein Gesetz nur wenige Tage nach Inkrafttre­ten so heftig diskutiert wird,

kommt sehr selten vor. Wird es in seiner jetzigen Form bestehen können? Jun: Schon bei den Diskussion­en um das Gesetz im letzten Jahr haben sowohl Union als auch SPD angekündig­t, dass es vermutlich Nachbesser­ungsbedarf gibt. Ich bin sicher, dass es sehr bald geändert wird. Möglicherw­eise wird es in neuem Gewand und mit neuem Namen wiederkomm­en. Sollte es zu einer weiteren Großen Koalition kommen, denke ich aber, dass der Grundgedan­ke des neuen Gesetzes Bestand haben wird. Chan jo Jun, 43, ist Rechts anwalt in Würzburg. Be kannt wurde er wegen sei nes Kampfes gegen Hass kommentare auf Facebook.

 ?? Foto: Tobias Hase, dpa ?? Soziale Netzwerke werden inzwischen genauer unter die Lupe genommen: Seit Jahresbegi­nn verschwind­en mehr und mehr rechtswidr­ige, aber auch satirische oder streitbare Inhalte von Facebook und Twitter. Viele sehen die Ursache dafür im umstritten­en...
Foto: Tobias Hase, dpa Soziale Netzwerke werden inzwischen genauer unter die Lupe genommen: Seit Jahresbegi­nn verschwind­en mehr und mehr rechtswidr­ige, aber auch satirische oder streitbare Inhalte von Facebook und Twitter. Viele sehen die Ursache dafür im umstritten­en...
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