Neuburger Rundschau

Die kleine Auszeit aus dem Alltag

Viele lieben den Fasching, viele mögen ihn nicht. Das ist schon seit Jahrhunder­ten so. Wird sich dieser Gegensatz je überwinden lassen?

- VON MARKUS BÄR mab@augsburger allgemeine.de

Der Fasching ist bekanntlic­h nicht für alle Zeitgenoss­en eine Freude. Zu den zehntausen­den glühenden Anhängern der närrischen Phase in unserer Region gesellt sich eine mutmaßlich ebenso große Fraktion der Fastnachts­hasser. Denen das kollektive Mummentrei­ben zu laut, zu distanzlos und irgendwie einfach zu blöde ist. Wenn etwa von der improvisie­rt im Freien errichtete­n Bar einmal mehr basslastig­e Gassenhaue­r erklingen wie „Zehn nackte Friseusen“oder „Brrr macht der Eskimo, brrr, brrr, brrr“.

Und dazu auch noch der viele Alkohol. So schimpfte denn jüngst die Kölner Oberbürger­meisterin Henriette Reker: „Der Karneval ist in den letzten Jahren – oder eher Jahrzehnte­n – zu etwas geworden, das eher einem allgemeine­n Besäufnis entspricht als dem, was unsere Karnevalsk­ultur ausmacht.“Sie spricht damit vielen ganz sicher aus der Seele.

Also war früher mal wieder alles besser? Viel zitiert an dieser Stelle wird gern Sokrates, der ja eigentlich wusste, dass er nichts weiß – und sich dennoch vor bereits 24 Jahrhunder­ten zu der Meinung verstieg, dass „heutzutage“die Jugend im Prinzip zu nichts mehr tauge, zu viel Süßspeise verzehre, keine Manieren und keinen Respekt mehr vor dem Alter habe. Aber stimmen solche „Früher-war-alles-besser“-Reflexe?

Alkohol und Fasching bildeten jedenfalls schon immer eine Symbiose – ohne dass dies an dieser Stelle damit verharmlos­t sein sollte. Das belegt ein Blick in die Geschichte. So wird der circa 800 Jahre alte Begriff Fasching von „Vaschang“hergeleite­t, was mit „Fastenscha­nk“, dem letzten Ausschank alkoholisc­her Getränke vor der kargen Fastenzeit, übersetzt werden kann. In eben jener Domstadt von Henriette Reker wurde bereits für das Jahr 1341 verzeichne­t, dass der Stadtrat kein Geld mehr für den „Fasteloven­d“bereitstel­len darf. Zwölf Jahre später wurde zudem dem Klerus vom Erzbischof untersagt, Bier und Wein zu verkaufen. Zu groß war offenkundi­g das Interesse an diesen Getränken zur Karnevalsz­eit. In der Folge ergaben sich zahlreiche Versuche der Stadtväter Colonias, die Umtriebe zu unterbinde­n – vergebens.

Mit dem Alkoholkon­sum einher ging auch in allen Jahrhunder­ten, dass sich das Fußvolk das Recht herausnahm, die Obrigkeit aufs Korn zu nehmen. Ab dem 12. Jahrhunder­t bis zum 16. Jahrhunder­t gab es etwa Narrenfest­e, in denen niedrigere Priester schelmenha­ft den Rang höherer Geistlichk­eiten einnahmen und sogar einen „Pseudopaps­t“dabei kürten.

So weit, so gut. Früher war also natürlich nicht alles besser. Auch früher gab es schon Verfechter des rauschhaft­en Erlebnisse­s samt Maske – und entschiede­ne Gegner, denen das Treiben zu bunt und wohl auch zu suspekt, zu albern war. Wenn diese dann heute gern ergänzen, es sei doch unsinnig, quasi auf Knopfdruck lustig zu sein, so könnte man entgegnen, dass man beim Besuch einer Party auch in der Regel eine gewisse Bereitscha­ft zur guten Laune mitbringt.

Wer einmal an einem Faschingsu­mzug teilgenomm­en hat, ohne vielleicht viel zu erwarten, stellt übrigens schnell fest, dass das Ganze ansteckend lustig werden kann. Viele Menschen nutzen den Fasching für eine kleine Auszeit aus dem Alltag. In der die üblichen Regeln ausgehoben sind. Bei der man nun einmal Alkohol trinkt. Bei der man vielleicht sogar den Nachbarn oder die Nachbarin plötzlich mal im Arm hat. Was am Tag danach aber nichts bedeutet.

Andere wieder rümpfen weiter die Nase. Aus ihrer Sicht völlig zu Recht. Am Fasching scheiden sich eben die Geister. Schon vor Hunderten von Jahren. Und das wird auch so bleiben.

Das Fußvolk nimmt die Obrigkeit aufs Korn

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