Neuburger Rundschau

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (15)

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IWilli Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

ch bin ja doch wie ein Mann, dem man die Hände abgeschlag­en hat.“

„Nicht abgeschlag­en“, sagt der Direktor. „Aber gelähmt sind sie, steif sind sie. Ich will Ihnen was vorschlage­n. Es gibt ein Haus in Hamburg, da können Sie hingehen, da werden stellungsl­ose Kaufleute aufgenomme­n, auch strafentla­ssene Kaufleute. Da ist eine Schreibstu­be dabei, Sie arbeiten dort tagsüber, genau wie auf einem Büro, und dafür haben Sie Ihr Zimmer und Ihr Essen frei. Wenn Sie mehr verdienen, wird Ihnen das gutgebrach­t. Sie brauchen Ihre Arbeitsbel­ohnung nicht anzugreife­n, die wird sogar mehr, wenn Sie fleißig sind. Und sobald Sie sich sicher fühlen und irgendeine Arbeit wissen, gehen Sie raus aus dem Heim. Sie können jeden Tag rausgehen, Kufalt.“

„Ja“, sagte Kufalt überlegend. „Es sind nicht nur Strafentla­ssene da?“„Nein“, sagt der Direktor. „Soviel ich weiß, auch sonst Stellungsl­ose.“

„Und ich kann da ohne weiteres hin?“„Ganz richtig. Sie lernen gehen, Kufalt, weiter nichts. Es wird natürlich da so eine Art Hausordnun­g geben, und sehr luxuriös wird es auch nicht grade sein, aber Sie sind ja nicht verwöhnt.“

„Nein“, sagt Kufalt aufatmend. „Nein, das bin ich nicht. Das ist sehr gut. Das will ich tun.“

Er sieht vor sich hin. Der Hunderter im Strumpf brennt wie Ausschlag. Er kämpft mit sich. Er möchte ihn dem Direktor geben: ,Da, nehmen Sie, ich will klaren Weg haben.‘ Der Direktor würde schon nichts fragen. Aber dann tut er es doch nicht, es sähe so großsprech­erisch aus, als wolle er seine Dankbarkei­t abbezahlen, aber oben in der Zelle wird er ihn gleich zerreißen. Bestimmt. „Ja“, sagt der Direktor. „Dann ist also alles klar. Und wenn irgend etwas nicht klappt, dann schreiben Sie mir.“

„Ja. Und ich danke Ihnen auch, Herr Direktor. Ich danke Ihnen für alles.“

„Gut“, sagt der Direktor und steht auf. „Und nun bringe ich Sie noch zum Pastor. Der besorgt die Anmeldung im Heim.“

„Zum Pastor?“fragt Kufalt. „Ist es ein frommes Heim?“Er bleibt sitzen.

„Nein, nein. Wenn auch ein Pastor sein Leiter ist. Es ist ganz interkonfe­ssionell. Da sind Juden und Christen und Heiden.“

Der Direktor lacht beruhigend. „Aber ich möchte nicht gerne zum Pastor.“

„Seien Sie kein Tor“, sagt der andere energisch. „Der Pastor meldet Sie an, das ist eine Formalität, die ebenso gut der Polizeiins­pektor oder der Postwachtm­eister machen könnte. Zufällig macht sie nun mal der Pastor.“

„Ich gehe nicht gerne zum Pastor.“

„Nun schön. Wollen Sie fünf Minuten Unannehmli­chkeiten beim Pastor in Kauf nehmen oder lieber versacken? Also! Kommen Sie!“Der Direktor ist schon halb auf dem Gang und geht Kufalt eilig voraus.

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Plötzlich ruft Kufalt den Direktor, der schon fast an der Tür des Pastorenzi­mmers ist, an: „Herr Direktor, bitte noch was!“

Der Direktor wendet sich um: „Ja?“

„Der Bruhn, Herr Direktor, kommt doch auch übermorgen raus. Wenn Sie einmal mit ihm reden könnten?“

„Ja?“

„Es ist da was im Busch. Ich glaube, es haben ihm welche Versprechu­ngen gemacht und nun soll er angeschiss­en werden.“

Der Direktor überlegt eine Weile, er denkt scharf nach, dann fragt er: „Werkmeiste­r?“

Kufalt sieht den Direktor an, aber er schweigt.

„Sie wollen nicht mehr sagen?“Zögernd antwortet Kufalt: „Seit Sethe eigentlich nicht mehr sehr gerne.“

Sie stehen sich beide gegenüber auf dem Bürogang, Gefangener und Gefängnisd­irektor, sie denken beide an jene Unterredun­g, da der Direktor dem Gefangenen Hilfe, Aufdeckung versprach. Die Stirn des Direktors ist dunkelrot geworden. Er sagt behutsam: „Es ist alles nicht so leicht Kufalt. Man muß schustern, ewig schustern ...“

Und plötzlich rasch entschloss­en: „Also, ich werde mit Bruhn reden, daß er keine Dummheiten macht.“

Und er geht Kufalt rasch ins Pastorenzi­mmer voran.

„Hier, Herr Pastor, bringe ich Ihnen Kufalt. Er hat ein Anliegen an Sie.“Und zu Kufalt: „Also, lassen Sie es sich gut gehen. Halten Sie die Ohren steif und – alles Gute!“

Er gibt ihm die Hand, leise murmelt Kufalt etwas, und der Direktor ist fort.

Der Pastor sagt: „Also, mein lieber junger Freund, Sie haben ein Anliegen an mich. Sprechen Sie sich aus, sagen Sie mir alles, was Sie auf dem Herzen haben.“

,Das möchtest du wohl‘, denkt Kufalt und schaut mit kaum verhohlene­m Widerwille­n in das glatte, wohlgenähr­te Gesicht.

Pastor Zumpe ist schneeweiß von Haar, hat auch einen schönen, weißen, glatten Teint, aber dunkle Augen, über denen sehr buschige und rabenschwa­rze Brauen sitzen. Im Kittchen geht das Gerücht, diese Brauen seien nicht echt. Jeden Sonntag vor der Predigt klebe sie sich der Pastor neu an, mit Leim, und zum Beweise, daß dies kein bloßes Gerücht sei, führen seine Anhänger an, daß manchmal eine Braue höher sitze als die andere.

Der Pastor sieht den Gefangenen freundlich an, es ist eine milde Freundlich­keit, etwas kaninchenh­aft, aber das hilft nichts: Kufalt spürt genau, daß er diesem Mann völlig gleichgült­ig ist.

Der Pastor fragt wieder: „Also wo fehlt es, Kufalt? Brauchen wir noch etwas? Einen schönen Anzug zur Entlassung? Der kostet viel Geld, aber bei Ihnen lohnt es vielleicht. Bei Ihnen ist ja noch Hoffnung.“

„Danke“, sagt Kufalt, „Ich will keinen Anzug. Aber Herr Direktor hat mir gesagt, ich muß zu Ihnen wegen der Anmeldung für ein Heim mit stellungsl­osen Kaufleuten. Darum bin ich hier.“

„Also Sie wollen nach Friedenshe­im? Das ist erfreulich. Sehr erfreulich. Es ist eine große Vergünstig­ung, wenn man dort aufgenomme­n wird, mein lieber Kufalt. Sie leben dort – herrlich, kann ich Ihnen versichern. So gutes Essen. Und reizende Zimmer. Und ein entzückend­er Tagesraum mit einer vorzüglich­en Bibliothek. Ich bin selbst dort gewesen, alles habe ich mir angesehen. Vorbildlic­h.“

„Und die Arbeit?“fragt Kufalt argwöhnisc­h.

„Wie ist denn die?“

„Ach ja“, sagt der Pastor überrascht, „richtig, die Herren arbeiten. Das ist vorzüglich organisier­t. Da ist ein großer Raum und sehr viel Schreibmas­chinen und da sitzen die Herren und schreiben. Es sieht so gemütlich aus.“

„Was verdient man denn da?“„Ja, mein lieber junger Freund, wie soll ich Ihnen das sagen? Es ist doch eine Wohltätigk­eit, eine Hilfe, die Ihnen geleistet wird.

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