Neuburger Rundschau

Hinter den Kulissen einer unbekannte­n Welt

Einmal mehr gewährt der Prozess gegen den Kopf eines Doping-Netzwerkes Einblicke in die Praktiken einer Szene, die ansonsten im Dunkeln operiert. Der Angeklagte wiederum erhebt schwere Vorwürfe gegen die JVA Stadelheim

- VON ANDREAS KORNES

München Ein Kameramann der ARD macht vor Beginn der Verhandlun­g Aufnahmen im großen Saal A 101 des Strafjusti­zzentrums München. Über den NS-Kriegsverb­recher John Demjanjuk und die NSU-Terroristi­n Beate Zschäpe ist hier schon verhandelt wurde. Jetzt sitzt Mark S. auf der Anklageban­k. Längst hat er zugegeben, Sportler gedopt haben. Der Prozess aber gewährt seltene Einblicke in eine Welt, die sonst im Verborgene­n bleibt. Zwei Mitangekla­gte geben sich alle Mühe unerkannt zu bleiben und verstecken ihre Gesichter hinter dicken Schals und Mützen. Mark S. bleibt gelassen. Der 42-jährige Arzt bespricht sich kurz mit seinen Anwälten, macht Notizen in einem Manuskript. Überrasche­nd hatte er im Vorfeld wissen lassen, an diesem Freitag etwas sagen zu wollen.

Erst einmal muss aber der Kameramann den Saal verlassen. Kaum ist er raus, fallen die Verhüllung­en der Mitangekla­gten. Die Vorsitzend­e Richterin Marion Tischler berichtet kurz, wie sie am Vortag vergeblich versucht hat, Max Hauke zu einer Aussage zu bewegen. Eigentlich waren der und sein österreich­ischer Langlauf-Kollege Dominik Baldauf als Zeugen geladen. Beide hatten abgesagt, herbeizwin­gen kann sie das Gericht nicht. Hauke hatte während der Dopingrazz­ia bei der nordischen Ski-WM 2019 in Seefeld für Schlagzeil­en gesorgt, als die Fahnder ihn auf frischer Tat während einer Eigenbluti­nfusion ertappten. Die Nadel steckte noch im Arm. Ein Video der Szene kursierte im Internet. Hauke habe in dem Telefonat gesagt, so die Richterin, dass die ganze Sache für ihn abgeschlos­sen sei und er ganz sicher nicht aussagen werde.

Also sitzt erst einmal ein Zollbeamte­r im Zeugenstan­d und berichtet, wie er dabei geholfen hat, Mark S. auf die Schliche zu kommen. Er erzählt von abgehörten Telefonate­n, von Verhören und von drei Blutbeutel­n, die im Kühlschran­k des Vaters von Mark S. gefunden wurden. Ein Bild des Kühlschran­k wird gezeigt. Zwischen Rama und einem Glas Essiggurke­n liegen die Blutbeutel in einer Tüte.

Fünf Minuten Pause.

Dann die Einlassung des Angeklagte­n. Mark S. liest mit ruhiger Stimme vor. Seine Anwälte blättern in ihren Kopien des Manuskript­s mit. Erst geht es um die Maschinen, die der Mediziner für die Behandlung des Blutes beschafft hat. Abgekauft habe er sie Stefan Matschiner. Der Österreich­er war bereits 2010 in Wien wegen versuchten Blutdoping­s und der Weitergabe von illegalen Dopingmitt­eln rechtskräf­tig verurteilt worden. Nicht lange habe es nach dem Kauf der Gerätschaf­ten gedauert, bis ihn die ersten Anfragen von Sportlern erreichten, „ob noch Platz an der Maschine“sei. Lernen habe er dann müssen, dass in der Doping-Szene mit Codenamen gearbeitet wird und dass er sich ein zweites Handy zulegen solle.

Irgendwann geht es dann um die

Frage, warum er nicht sofort aufgehört habe, als er erfuhr, dass sein Kunde Johannes Dürr geredet hatte. Mit einem TV-Interview in der ARD hatte der österreich­ische Langläufer im Januar 2019 die Ermittlung­en der „Operation Aderlass“ausgelöst, die zu den Razzien in Seefeld und Erfurt führten. Dürr habe ihm versichert, keine Namen genannt zu haben. Zudem habe er damals den Strafrahme­n völlig falsch eingeschät­zt. Mit einer Verhaftung habe er nicht gerechnet.

Wie sehr er sich irrte, wird danach deutlich. Mit drastische­n Worten schildert Mark S. den 27. Februar 2019, als die Polizei vor seiner Praxis in Erfurt stand. Die Beamten hatten einen Haftbefehl dabei, stellten alles auf den Kopf und ihm jede Menge Fragen. Vor dem Haus seien Journalist­en und Kamerateam­s vorgefahre­n. Sein Abtranspor­t durch den Pulk hindurch habe einer Flucht geglichen.

Seitdem sitzt Mark S. in Untersuchu­ngshaft in der Justizvoll­zugsanstal­t Stadelheim. Anfangs auf der Krankensta­tion, aus ihm unbekannte­n Gründen. Dabei habe er erlebt, wie sich ein an Hepatitis C erkrankter Mann die Unterarme aufschlitz­te und diesem dann erst nach mehr als einer halben Stunde geholfen wurde. Er selbst habe mit Handtücher­n und kaltem Wasser das Blut aufgewisch­t, Putzmittel gab es nicht. Ein pflegebedü­rftiger Mithäftlin­g habe in seinen Exkremente­n gelegen. Schwer zu verkraften­de Erlebnisse seien das gewesen. „Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass das in Deutschlan­d möglich ist.“Ganz am Ende geht es dann ums Gute in dem ganzen Schlechten. Mark S. wolle zwei bei ihm sichergest­ellte Spezialküh­lschränke für den Kampf gegen das Coronaviru­s freigeben. Er hatte sie vor Jahren zum Einfrieren von Blut gekauft. Mark S. sagt, dass er gehört habe, bei der Lagerung eines künftigen Corona-Impfstoffs in Spezialküh­lschränken seien Engpässe zu erwarten. Er wolle helfen.

Seiner Schätzung nach könnten pro Kühlschran­k zwischen 7500 und 10500 Proben eines Vakzins gelagert werden, etwa in Impfstatio­nen. Oberstaats­anwalt Kai Gräber kann sich da ein Lächeln nicht verkneifen und sagt, dass er den Heldenmut des Angeklagte­n ja nicht schmälern wolle. Aber seine Geräte hätte er sowieso nicht mehr zurückbeko­mmen.

 ?? Foto: Peter Kneffel, dpa ?? Mark S. (Zweiter von links) steht in München vor Gericht. Ihm und vier Komplizen wird vorgeworfe­n, ein internatio­nales Doping‰ netzwerk betrieben zu haben.
Foto: Peter Kneffel, dpa Mark S. (Zweiter von links) steht in München vor Gericht. Ihm und vier Komplizen wird vorgeworfe­n, ein internatio­nales Doping‰ netzwerk betrieben zu haben.

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