Neue Osnabrucker Zeitung - Wallenhorst
EU muss vor China nicht kuschen
ANALYSE Wie abhängig ist Europa vom Riesenreich?
OSNABRÜCK „Die EU sollte sich in ihrer China-Politik nicht von überzogenen Ängsten vor der eigenen Verletzlichkeit leiten lassen, sondern auf ihre Stärken besinnen“– zu dem Schluss kommt eine Studie des Mercator Institute for China Studies (Merics) zur wirtschaftlichen Verflechtung der Europäischen Union und der Volksrepublik.
China ist nach den USA heute zweitwichtigster Handelspartner der Europäer. Zwischen 2000 und 2019 hat sich das zwischenstaatliche Handelsvolumen nahezu verachtfacht, 2019 belief es sich auf 560 Milliarden Euro. Bis zu den Feiern der 100-jährigen Gründung der Volksrepublik in 2049 will Peking wirtschaftlich und technologisch zur weltweiten Nummer eins aufsteigen. Entsprechend tritt die Regierung in Peking immer selbstbewusster auf und versucht andere Länder über ökonomische Projekte, Finanz- und Wirtschaftshilfen an sich zu binden.
Bei allen Bekenntnissen zu offenen Märkten – soeben erst hat sich Staats- und Parteichef Xi Jinping zum Asien-PazifikGipfel (Apec) gegen Protektionismus und eine „Entkoppelung“von Volkswirtschaften ausgesprochen und angekündigt, Chinas „Türen zur Welt noch weiter zu öffnen“: Unter Xi gilt „China First“.
Pekings starker Mann: Xi Jinping.
Vor diesem Hintergrund wächst in Europa die Sorge, mit dem Rivalen und dessen wachsenden Einfluss mittelfristig schwer mithalten zu können. Tatsächlich ist Peking zunehmend in der Lage, wirtschaftlichen Zwang auch auf europäische Akteure auszuüben. Dabei habe die EU wenig zu befürchten, wenn sie denn mit einer Stimme spreche, so Merics-Chefökonom Max J. Zenglein.
Zwar beeinflussen seiner Analyse zufolge Chinas Innovationskraft und dynamischer Markt auch Entscheidungen in europäischen Unternehmen. „Insgesamt bleibt deren Abhängigkeit vom chinesischen Markt jedoch beschränkt. Europa und die USA sind als Märkte genauso wichtig, wenn nicht noch bedeutsamer.“
Eine Stichprobe von 25 europäischen Firmen erlaubt demnach Rückschlüsse über die Abhängigkeit von Firmen vom chinesischen Markt: 2019 erwirtschafteten sie im Schnitt 11,2 Prozent ihres Umsatzes in der Volksrepublik.
Auch in den Bereichen Handel und Investitionen spielen chinesische Unternehmen, vor allem im Vergleich mit den USA, weiterhin eine relativ geringe Rolle.
Tatsächlich hat die Covid19-Pandemie einmal mehr die gegenseitigen Abhängigkeiten besonders sichtbar gemacht. Europa weist demzufolge bei Pharma-, Chemieund Elektronikprodukten eine kritische Abhängigkeit von China auf, insbesondere bei Komponenten im unteren Bereich der Wertschöpfungskette. In 103 Produktkategorien, darunter Elektronik, Chemie, Mineralien/Metalle und Arzneimittel/Medizin, besteht laut Merics eine kritische Abhängigkeit von Importen aus dem Reich der Mitte. Aber auch China würde unter schlechteren Beziehungen mit der EU leiden; immerhin zählt die Union zu den größten ausländischen Investoren und schafft damit zahlreiche Arbeitsplätze auch in der Volksrepublik. Zudem sei die EU für China ein wichtiger Markt und eine Quelle von technologischem Know-how.
Fazit der Merics-Analyse: „Angesichts wachsender politischer Divergenzen und wirtschaftlicher Konkurrenz müssen europäische Akteure Abhängigkeit, Schwächen und Stärken realistisch bewerten, um zwischen China als Wettbewerber und Kooperationspartner zu balancieren.“