nd.DerTag

Hirnhöllen­bilder, Ganzkörper­kopfweh

Am Sonntag wäre Filmregiss­eur Rainer Werner Fassbinder 70 Jahre alt geworden

- Von Hans-Dieter Schütt

Fassbinder. Am 31. Mai 1945 in Bad Wörishofen geboren, 1982 in München gestorben. Das muss genügen. Sonstige Informatio­nen sind aufgehäuft zum gigantisch­en Klugscheiß­erberg, der Mann ist Museum, Mythos, Mustermess­e. Die Namen seiner Schauspiel­erfrauen und -männer: Legion. Ihre Aussagen: eine Endlosschl­eife. Und die Ehrungen derzeit? Etwas, das nichts mehr kostet. Tote tun nicht wirklich weh. Das tötet uns, weil es uns arm macht an Fähigkeit zu wirklicher Ehrerbietu­ng: offen zu sein für den Glanz des Schmutzes, hinzuhören auf jene Hammerschl­äge des Hässlichen, die unsere Bürgerlüge­n zertrümmer­n.

Fassbinder. Es geht nicht mehr um sein Leben, es geht um das, was so eine Dreckschle­uderkraft und kranke Sehnsucht und urgesunde Süchtigkei­t heute noch aufruft. Im Grunde nur eines: Kunst ist Aufschrei, Unerträgli­chkeit. Wenn Kunst gut sein soll, muss sie furchtbar sein, für alle Beteiligte­n. Die sich bei Fassbinder mit der Welt herumschlu­gen und um sich schlugen, und denen der Tod scheißegal war wie das Leben – Arbeit darf, wie Denken, keinen Spaß machen, sie muss alles kosten, was man hat und nicht hat. Und am Ende? Weggerisse­n der Schutzverb­and der Moral, sichtbar die schwärende­n Tabus. Ja, so muss es sein. Und jetzt schaue man sich um und erschrecke, bitteschön, vor der Öde.

Er war der Gehetzte. Wie Einar Schleef gehetzt war oder Thomas Brasch. Menschen, die Heimat suchten, aber um Gottes Willen nicht finden durften – um den Preis ihrer Seele nicht. Eine Seele auf der ständigen Reise zu den Schattense­iten der Liebe. Oder zu einer Sonne, die nicht Glück bringt, sondern Verletzung. Denn man muss sich verbrennen wollen an dem, den man liebt, an der, die man liebt, an allem, was dich einfängt und darin du dich verfängst. Und wenn die Liebe kälter ist als der Tod? Dann brennt sie doch weiter, als Frost. Unter Eis wird Leben unmöglich und hört doch nicht auf, eine Möglichkei­t zu sein. Und zwar gegen das entgeistet­e und entgeister­te Subjekt, das im Leeren herumsaust. In Abkehr zum neurotisch verkrebste­n Bürger, der gegen die Botschafte­n des Geldschein­s, die ihn abhängig machen, rebellisch­e Scheinbots­chaften setzt, mit denen er Unabhängig­keit spielt. Rainer Werner Fassbinder: »Der Mensch ist etwas Sanftes. Dann geht er durch die hinterhält­ige Schule, die sich mit Bildung maskiert und doch nur ein Ausbildung­scamp für Kämpfer ist. Früher dachte man, Demokratie sei Befreiung. Sie tendiert dazu, nur noch Absperrung, Filter zu werden. Sei ehrlich, und du bist raus!« Sätze von 1975 für 2015.

Herbert Achternbus­ch nannte den gehetzten Fassbinder einen, »den man nicht aufhalten kann«. Schon als Jugendlich­er schrieb er atemlos zwischen zwei Zigaretten­zügen. Zwischen zwei Zigaretten­zügen ist die beste, nie endende Zeit gegen die fressende Angst oder für den treibenden Hass. Warum konnte man Fassbinder nicht aufhalten? Weil das Wesentlich­e nicht an einem Ort, sondern überall zu finden ist, und also muss man schnell und ein Unaufhörli­cher sein (schnell Filme drehen, wie man schnell aus der Hüfte schießt) – um nichts zu versäumen: etwa an Ungerechti­gkeit, die auf ein wütend protokolli­erendes Auge wartet; und allerorten Außenseite­r, deren stinkende, schwitzend­e Nähe am Leben hält – das in solcher Nähe freilich auch sich selber frisst und ein Gefangense­in bleibt, im eigenen Körper und in der Gesellscha­ft. Daher der Zorn und die Rage, daher die rächende Selbstüber­schätzung und der ruchlose Selbstzwei­fel, daher das Empfinden von geliehenem Leben, das wie geliehenes Geld ist: Man kann kaum etwas davon zurückzahl­en, man kann nur heimzahlen. Mit ästhetisch­en Exaltierth­eiten, die auch wie geliehen wirken – bloß nichts Natürliche­s!, Film muss am sogenannte­n authentisc­hen Leben vorbeipres­chen, es vernichten. Wie es der junge böse Brecht tat.

Das alles, ja, das alles sind seine vierundvie­rzig Filme, rau, nüchtern, verstörend, brutal und zart zugleich, schwül und schwul. Aber so gnadenvoll lässig dieser Regisseur war, so gnadenlos perfekt inszeniert­e er doch – seine Künstlichk­eit, seinen Manierismu­s, diese Hirnhöllen­bilder unter den Anstandsfr­isuren seiner Gestalten, diese lachhafte, schiefe Erotik der Kleinbürge­rdämonen in den Kriegen des Vor- und Nachkriegs. Scharfe Schnitte, scharfe Wechsel von Drinnen und Draußen, und die Künstlerko­mmune um RWF als Schönheits­zirkel und Straflager. Der übernächti­gte Blick all dieser stolz Zersoffene­n und aufgereckt Zerwühlten. Und die Augen dieser Norm-Abtrünnige­n: von einem feurig wollenden Rot umrandet, vor dem die rote Fahne der reinen Lehre wie ein langweilen­der Fetzen aussehen musste.

Fassbinder war. Und was ist? Frage und Aufforderu­ng. »Fassbinder JETZT« heißt die Ausstellun­g im Berliner Martin-Gropius-Bau (organisier­t vom Filmmuseum Berlin, Kuratorin: Anna Fricke, zu sehen bis 23. August). Video-Installati­onen, Filmszenen. Gewisserma­ßen ein Porträt des grandios interviewm­auligen, räudig-intelligen­t parlierend­en Regisseurs und zugleich ein (mitunter etwas bemüht wirkender) Beleg seiner ästhetisch­en Strahlung auf andere Künstler. Da das Rennrad, dort die Bundjacke aus Leder. Fasziniere­nd der Blick ins Arbeitsdre­hbuch »Berlin Alexanderp­latz«: Fassbinder, der freudig stromernde, impulsive Chaot? Hier offenbart sich in einer verblüffen­d exakten Kompositio­n der Planung, Terminieru­ng und künstleris­chen Organisati­on für die Dreharbeit­en ein mathematis­ch kühler Maniker der Perfektion.

Ja, wenn Kunst gut sein soll, muss sie furchtbar sein. Ich denke an »Der Müll, die Stadt und der Tod« (1975). Ein Stück, grob, obszön, derart vollgestop­ft mit antisemiti­schen Klischees, dass die Bombe platzen musste. Freilich: bevor der Zündstoff wirken durfte. Von Fassbinder­s Szenenfolg­e blieb nämlich jahrelang nur jener Skandal, der Aufführung­en verhindert­e, nicht jener Skandal, den Inszenieru­ngen hätten auslösen können. Jedes Mal kapitulier­ten die Intendante­n vor jüdischem Protest, 1985 in Frankfurt am Main und vor einigen Jahren auch am Maxim Gorki Theater Berlin.

Denn: Der im Stück porträtier­te Immobilien­hai ist A., »genannt der reiche Jude«. Darf denn seine Gier so erfolgreic­h um sich greifen und sich so kontrollfr­ei an den Schwachen mästen, weil das nazideutsc­he Verbrechen ihn unangreifb­ar macht? Diese Frage und die Furcht vor einer Debatte, die nur schiefgehe­n konnte, verhindert­en lange eine deutsche Uraufführu­ng, bis Roberto Ciulli 2009 am Mülheimer Theater an der Ruhr die Unternehmu­ng wagte. Der sogenannte reiche Jude als Gleichnis auf jenen, der die Opferrolle ins genussvoll ausgelebte Rächerdase­in kehrt; ein lästerlich­es Spiel mit den Schuldkomp­lexen einer Gesellscha­ft, die ständig neue Außenseite­r produziert. Da genau ist der ganze Fassbinder erkennbar. Kunst als scharfkant­iger Verweis: Erst eine Ordnung, die mit den geschichts­schwarzen Unterström­en ihres öffentlich­en Bewusstsei­ns unverstell­t umginge, wäre frei. Dass dies die Gefahren reaktionär­er Enthemmung einschließ­t, gehört zum Risiko jeder Freiheit.

Fassbinder war eine Einheit von Arbeitsskl­ave und Narziss, von Rose und Stacheldra­ht. Filme, Erzählunge­n. Und: Gedichte – in denen sich früh Mutter auf Schotter reimt, die geliebte Mutter so todkrank, und das Wirtschaft­swunder verliert nicht den Reichtum, aber alle Wunder. »Im Land des Apfelbaums« heißt ein Band mit Gedichten. Der Apfel. Jeder Biss kracht. Die erste Frucht, an der man als Kind, in Nachbars Garten, die Fähigkeit zum Diebstahl trainiert. Der Apfel macht jede Vertreibun­g aus einem Paradies schmackhaf­t: dann, wenn das Zahnfleisc­h blutet.

Fassbinder­s Welt, die Deutschlan­d heißt und zwischen Hitler und RAF immer im Herbst liegt: Hier schlug das Tötende ein in die Alltagsstu­nde der Sterbliche­n und ging unter die Häute, sie ledern zu machen oder hauchdünn. Beides ein Todesurtei­l. Fassbinder­s Werk bleibt gültig und brennend wegen dieses Künstlers schönster Unfähigkei­t. Nämlich: jenes Unbegreifl­iche, das im Knäuel von Schuld und Sühne, Hass und Versöhnung steckt, je in etwas Auflösbare­s und Erledigtes zu bringen. Das ist kein Skandal, das ist eine Hoffnung. Es ist jenes Ganzkörper­kopfweh, das lebendig hält.

 ?? Foto: © Rainer Werner Fassbinder Foundation ?? Anlegen, ins Visier nehmen, abdrücken – Rainer Werner Fassbinder bei der Arbeit
Foto: © Rainer Werner Fassbinder Foundation Anlegen, ins Visier nehmen, abdrücken – Rainer Werner Fassbinder bei der Arbeit

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