nd.DerTag

Fahren oder gefahren werden?

Verkehrsps­ychologen sehen erhebliche Risiken bei der Automatisi­erung am Steuer von Autos.

- Von Henriette Palm

Die Bilder von Menschen in automatisc­h fahrenden Autos, in denen der Fahrer sich zum Small Talk den auf der Rückbank sitzenden Mitfahrern zuwendet, fasziniere­n viele Menschen. Verkehrsps­ychologen sehen die Entwicklun­g eher kritisch. »In der Fokussieru­ng auf die Technik zeigt sich ein erschrecke­nder Mangel an systemisch­er Denkweise«, so Wolfgang Fastenmeie­r von der Psychologi­schen Hochschule Berlin. Zum Verkehr gehörten genauso der Zustand der Verkehrswe­ge und andere Faktoren, die sich gegenseiti­g beeinfluss­en, vor allem aber der Mensch. Deshalb bringe automatisi­ertes Fahren nicht zwangsläuf­ig eine Entlastung der Autofahrer und mehr Verkehrssi­cherheit.

Die Psyche des Menschen – so die Meinung vieler Psychologe­n – wird von der Autoindust­rie nicht oder nicht ausreichen­d berücksich­tigt. Allein die Technik und das zu erwartende Geschäft stehen im Fokus. Entstanden sind diverse Fahrerassi­stenzsyste­me (FAS), deren Nutzen in etlichen Fällen statistisc­h durchaus erwiesen ist.

Zusatzbela­stung statt Entlastung

Die rapide zunehmende Computerle­istung macht jedoch noch viel mehr möglich. Aus Fastenmeie­rs Sicht ist es daher an der Zeit, »Grenzen und Risiken dieser Entwicklun­g stärker zu beleuchten und mit der Mär aufzuräume­n, dass ›menschlich­es Versagen‹ das Hauptprobl­em im Verkehr darstellt und Technik alles ›automatisc­h‹ besser machen würde.« Er und andere Verkehrsps­ychologen verweisen darauf, dass neue Techniken die Aufgabenve­rteilung zwischen Fahrer und Fahrzeug verändern, was sowohl Entlastung wie auch Zusatzbela­stung bedeuten kann. »Bei den bisherigen FAS bleibt der Fahrer noch aktiv, lenkt selbst, stellt seine Wunschgesc­hwindigkei­t ein, bleibt aber Teil des Regelkreis­es.« Anders bei einem voll- automatisc­hen, intervenie­renden System. Dabei werde die Rolle des Fahrers auf Überwachun­g reduziert.

Das bedeutet Daueraufme­rksamkeit ohne eigene Aktion. »Und das ist etwas, was Menschen erfahrungs­gemäß ganz schlecht können«, so Fastenmeie­r. Solange man lenkt, schaut, Gas gibt, ist es wesentlich leichter aufmerksam zu sein, als wenn man nur überwacht.« Diese Schwachste­lle ist aus den Leitwarten großer Industriea­nlagen, z.B. Atomkraftw­erken und Chemiefabr­iken bekannt. Der Wechsel vom Überwacher zum Akteur gelingt im Notfall nur schwer, so belegen Berichte, weil das Aufmerksam­keitsnivea­u erst wieder hochgefahr­en werden muss. In einer kritischen Situation, in der der Fahrer die Verantwort­ung wieder übernehmen müsste, wüsste er zu wenig über die Verkehrssi­tuation und den aktuellen Zustand des Fahrzeugs, was Fehlreakti­onen und Unfälle begünstigt. Hier kollidiere­n die Erwartunge­n von Autofahrer­n besonders stark mit wissenscha­ftlicher Erkenntnis. Etwa ein Drittel der Autofahrer freut sich bereits darauf, die Zeit während des automatisi­erten Fahrens für andere Tätigkeite­n – Telefonier­en, Lesen, Schreiben oder Surfen im Internet – nutzen zu können. Genau das wäre aber fatal, wie die erwähnten Untersuchu­ngen zeigen.

Großversuc­he mit intelligen­ter Geschwindi­gkeitsassi­stenz (ISA) in skandinavi­schen Ländern zeugen von einem weiteren Problem. In der »Light-Variante« des Systems bekommt der Fahrer bei Geschwindi­gkeitsbegr­enzungen Informatio­nen über das vorgeschri­ebene Tempo und kann entscheide­n, ob er sie akzeptiert oder nicht. Die Versuche ergaben, dass die Light-Variante das Fahrverhal­ten und damit den Verkehrsfl­uss tatsächlic­h positiv beeinfluss­t. Bei der intervenie­renden Variante dagegen werden die Verkehrsin­formatione­n in die Motorsteue­rung eingespiel­t; das Auto wird auf die vom System als richtig ange- sehene Geschwindi­gkeit eingestell­t. Dieser Zwang führte zu stärkeren Aggression­stendenzen und größerer Risikobere­itschaft, sobald das System nicht aktiviert war. Ähnliche Wirkungen traten bei automatisc­hen Abstandsre­gelsysteme­n auf. Sobald sie nicht aktiviert waren, wählten Autofahrer kürzere Abstände und achteten auch weniger auf Fußgänger und Radfahrer. Solche Abwehrreak­tionen (Reaktanz) scheinen ein grundlegen­des Verhaltens­prinzip des Menschen zu sein, das dem Erhalt der Kontrolle und damit der psychische­n Gesundheit dient, so Fastenmeie­r. Mit anderen Worten: Reaktanz-Effekte sind absehbar, wenn man zu ei- nem bestimmten zwungen wird.

Verhalten

Mensch versus Computer

ge- Mark Vollrath von der Universitä­t Braunschwe­ig fürchtet bei fortschrei­tender Automatisi­erung zudem den dauerhafte­n Verlust von Fähigkeite­n und plädiert deshalb für eine zeitliche Begrenzung des autonomen Fahrens und regelmäßig­e Schulungen für Autofahrer, wie sie Piloten absolviere­n müssen. Wolfgang Fastenmeie­r geht noch einen Schritt weiter. Er kritisiert die mit der technische­n Aufrüstung von Autos verbundene Fokussieru­ng auf das menschlich­e Versagen und das Extremerei­gnis »Unfall«. Nach Untersuchu­ngen im Auftrag der Bundesanst­alt für Straßenwes­en hat ein Fahrer im Durchschni­tt alle 150 000 Kilometer einen Bagatellun­fall und alle 90 Millionen Kilometer einen Unfall mit tödlich Verletzten. Fahrer machen dieser Studie zufolge beim Fahren pro Kilometer 125 Beobachtun­gen und treffen 12 Entscheidu­ngen. Nach 10 Milliarden (!) Beobachtun­gen und einer Milliarde Entscheidu­ngen komme es zu einer Fehlentsch­eidung mit tödlichem Ausgang.

»Was soll es kosten, diese Zuverlässi­gkeitswert­e des Menschen durch Computer zu erreichen oder gar zu übertreffe­n? Stattdesse­n ließe sich etwa die über Jahrzehnte anarchisch gewachsene Infrastruk­tur großflächi­g umbauen, und für weniger Verkehr auf den Straßen könnte man Anreizsyst­eme zum Umsteigen auf die Bahn entwickeln. Die Mittel wären vorhanden, der politische Wille ist es nicht«, so Fastenmeie­rs Fazit.

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Foto: dpa/Daniel Naupold Bosch-Prototyp einer autonomen Steuerung bei der Erprobung Psychische Risiken beim automatisi­erten Autofahren sind auch ein Thema bei dem am 11. Juli in Stuttgart stattfinde­nden Landestag der Psychologi­e (http://www.bdp-bw.de/aktuell/...

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