Rätsel um das Ende der NSU-Mörder
Thüringer Untersuchungsausschuss stößt auf immer mehr Fragen statt Antworten
In der vergangenen Woche hat sich der parlamentarische Untersuchungsausschuss in Thüringen erneut mit dem Auffliegen des NSUTerror-Trios befasst. Statt Antworten gibt es nur mehr Fragen.
Eisenach, 4. November 2011. Ein Banküberfall verlangte die Aufmerksamkeit der Polizei. Dann brannte ein Wohnmobil im Stadtteil Stregda, aus dem zuvor auf Polizisten geschossen worden sein soll. Beides ist wahrlich nicht Alltag in der Wartburg-Stadt. Wenn zudem in dem Fahrzeug zwei Leichen liegen, kann man schon mal in Hektik geraten. Doch so sehr, dass langgediente, erfahrene Kriminalisten so eklatante Fehler machen?
Wer sich die Videobilder und Fotos vom Tatort anschaut, sieht jede Menge Zivilpolizisten, doch im Gegensatz zu jedem »Tatort«-Zuschauer wussten die Beamten wohl nicht, dass man Latexhandschuhe und »Fußkondome« trägt, um keine Spuren zu verwischen. Wichtig wäre es auch gewesen, dass jemand, der dazu befugt ist, den Tod der Insassen bestätigt. Das geht jeder Ermittlung voran. In Eisenach jedoch reichte es, dass ein Polizist um 12.33 Uhr eine leblose Person an die Zentrale meldete. Um 13.12 Uhr kam zwar eine Gerichtsmedizinerin zum Tatort. Doch auch sie sah keine Notwendigkeit zu regelgerechtem Arbeiten. Die vor Ort in Bereitschaft stehenden Rettungskräfte hatten keinen Zutritt. Ganz so, als habe jemand gewusst, dass kein Leben mehr sein kann in den Rechtsterroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt.
Irgendwann kam die Tatortgruppe zum Zuge. Was trugen die Kriminaltechniker in den folgenden Stunden aus dem Fahrzeug? Dass sie einiges heraustrugen, ist durch Zeugen belegt. Dann wurde der Abschleppdienst gerufen, das Wohnmobil auf einen Lkw gezogen. Spätestens da rutschte alles im Innern durcheinander. Auf dem Firmengelände des Abschleppunternehmens lief dann die eigentliche Tatortarbeit – an einem völlig veränderten Tatort. Wo sind die Fotos, die die ursprüngliche Lage der Toten sowie die der angeblich im Wohnmobil gefundenen Waffen dokumentieren? Vieles von dem, das man bislang vorgelegt hat, hält keiner Analyse stand. Der Firmenchef sagte am Donnerstag vor dem Untersuchungsausschuss aus, dass das Wohnmobil fast einen Monat in seiner Halle stand. Dann sei es in eine Lkw-Röntgenanlage nach Hermsdorf und ins Landeskriminalamt nach Erfurt gebracht worden. Da jedoch war längst das Bundeskriminalamt Herr des Verfahrens. In dessen Dokumentationen gibt es große Unstimmigkeiten.
Es wäre genügend Zeit gewesen, das Wohnmobil vor Ort gründlichst zu untersuchen. Doch dem Vernehmen nach hat man Fingerspuren an der Außenhaut auch später nicht beachtet. Dem Untersuchungsausschuss liegen angeblich auch keine Expertisen über verschiedenste Blutspritzer vor. Es fehlen DNA-Details. Laut offizieller Darstellung hat Uwe Mundlos seinen Komplizen Uwe Böhnhardt erschossen und sich dann selbst gerichtet. Mit einer Pumpgun. Doch diese Version ist keineswegs gesichert. Zumal es nach Psychologen- wie Historikermeinung ein Novum wäre, dass sich schwer bewaffnete Rechtsterroristen, die bereits fast 14 Jahre lang im Untergrund lebten, die neun Migranten und eine Polizistin erschossen sowie 15 Raubüberfälle ausgeführt haben, selbst richten.
Ja, es ist belegt, dass zwei Männer nach dem Sparkassenüberfall in Eisenach zum in der Nähe abgestellten Wohnmobil radelten, die Räder verstauten und das Fahrzeug davonfuhr. Wer saß am Steuer? Wessen Fingerabdrücke und DNS-Spuren wurden am Lenkrad, am Schalthebel und am Starterschlüssel gesichert? Gemietet wurde es angeblich von einem Holger Gerlach. Ein Mann dieses Namens ist in München angeklagt. Unabhängig von ihm ist der Gedanke an einen dritten Mann oder eine Frau an Bord nicht vom Tisch.
In ihrer Anklage gegen die Gefährtin der beiden toten Neonazis, Beate Zschäpe, gegen Gerlach und drei weitere mutmaßliche NSU-Helfer spart die Bundesanwaltschaft die blutigen Ereignisse in Eisenach weitgehend aus. Warum? Weil die zuständigen Geheimdienstbehörden vor dem 4. November 2011 doch nicht so tölpelhaft und ahnungslos waren, wie sie noch immer tun?