Vorurteilsfrei zuhören, ergebnisoffen untersuchen
Ex-Justizminister Volkmar Schöneburg über die Arbeit im geplanten NSU-Untersuchungsausschuss
Beim Lesen des Buches »Generation Hoyerswerda« gewinnt man den Eindruck, der brandenburgische Verfassungsschutz habe mit dem VMann »Piatto« und dessen Kenntnissen über den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) alles falsch gemacht. Der Verfassungsschutz behauptet umgekehrt, richtig gehandelt zu haben. Was denken Sie? Der Brandenburger Untersuchungsausschuss zum NSU-Komplex konstituiert sich gerade erst. Dabei bin ich für unsere Fraktion als Obmann vorgesehen. Meine Aufgabe ist die fachliche Aufbereitung und Aufklärung der betreffenden Vorgänge, insofern versuche ich erst einmal neutral und unvoreingenommen heranzugehen. Die Frage ob »alles falsch« oder »alles richtig« war, wird bei einer strafbeziehungsweise staatswissenschaftlichen Analyse aus meiner Erfahrung eher selten eindeutig beantwortet. Aber ich erhoffe mir auf jeden Fall klare Erkenntnisse. Die Probleme, die sich aus dem Einsatz von V-Leuten ergeben, sind lange bekannt. Erinnert sei nur an das NPD-Verbotsverfahren, dass wegen der in den Führungsgremien dieser Partei eingesetzten VLeute scheiterte. Wäre es nicht an der Zeit, alle V-Leute abzuschalten und auf nachrichtendienstliche Mittel zu verzichten, den Geheimdienst eventuell ganz abzuschaffen? Die Abschaltung aller V-Leute wird von unseren Genossen in Thüringen ja zum Teil bereits praktiziert und ist sicherlich auch die Folge der dortigen Untersuchungsergebnisse. Inwieweit dies im Land Brandenburg erforderlich sein wird, möchte ich grundsätzlich ergebnisoffen untersuchen. Ob man auf nachrichtendienstliche Mittel oder die Dienste ganz verzichtet, sollte auch davon abhängen, welche Alternativen machbar sind. Eine Abschaffung ist für mich genauso denkbar, wie eine echte parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes, so wie sie der frühere Bundestagsabgeordnete Wolfgang Nešković bereits formuliert hat. »Piatto« und seine zwei Führungsbeamten haben im Münchner NSUProzess keine erschöpfenden Antworten gegeben. Was gibt Ihnen Hoffnung, dass Sie in einem Untersuchungsausschuss im Potsdamer Landtag bessere Informationen gewinnen? Der Strafprozess behandelt nur die persönliche Schuldfrage der Angeklagten und hat damit von Haus aus ein eher eingeschränktes Aufklärungsinteresse hinsichtlich des bürgerlichen oder staatlichen Umfeldes der Straftaten. Ein Untersuchungsausschuss hat insoweit eine umfangreichere Zielsetzung und auch mehr Mittel zur Verfügung. Im Übrigen würde ich den damals Handelnden, beziehungsweise den Nicht-Handelnden, nicht immer automatisch das Schlimmste unterstellen. Wenn wir aufklären wollen, müssen wir offen zuhören können und nicht nur darauf warten, dass die Betroffenen unser Vorurteil bestätigen. Was kann der Potsdamer Untersuchungsausschuss noch zu Tage fördern, was nicht bereits durch den Münchner Prozess und durch die Untersuchungsausschüsse des Bundestags und anderer Bundesländer bekannt ist? Ich bin mir sicher, dass der Untersuchungsausschuss neue Erkenntnisse auch für das Land Brandenburg zu Tage fördern wird. Schon das von Ihnen zitierte Buch »Generation Hoyerswerda« hat ja bereits eine Vielzahl unbeantworteter Fragen aufgeworfen, beispielsweise die Rolle »Piattos« betreffend. Hatte er schon vor dem Jahr 1994 als V-Mann oder in einer anderen Rolle gespitzelt? Wie zufällig war sein punktgenaues Auftauchen in der Chemnitzer Szene? Welche Bedeutung hatten seine internationalen Kontakte? Ungeklärt ist auch seine Rolle in der Gruppierung »NationalRevolutionäre Zellen«. Im Ausschuss muss es aber um mehr als diesen Einzelfall gehen, wenn man strukturell aufklären will. Daher hoffe ich auf eine Vielzahl neuer Erkenntnisse. Die LINKE möchte in den Untersuchungsauftrag hineinschreiben, dass der Ausschuss zu Handlungsempfehlungen führt, wie der Rechtsextremismus besser be- kämpft werden kann. Lässt sich aus Ihrer Sicht jetzt schon sagen, in welche Richtung solche Handlungsempfehlungen gehen könnten? Das hängt natürlich davon ab, wo die Fehler liegen. Wenn es strukturelles Versagen gegeben hat, dann muss dort staats- und verwaltungsrechtlich nachgebessert werden. Wenn es persönliche Verfehlungen gab, sind dienstrechtliche Konsequenzen möglich. Die Bandbreite möglicher Konsequenzen habe ich ja oben bereits angedeutet. Fühlen Sie als Obmann der Linksfraktion und als Abgeordneter der rot-roten Koalition die Verpflichtung, fair und freundlich mit Tatsachen umzugehen, die ein schlechtes Licht auf brandenburgische Innenminister der SPD werfen könnten? Tatsachen, wenn sie denn vorliegen und nicht nur Vermutungen sind, werde ich ernst nehmen. Ich halte unseren Koalitionspartner aber auch für so integer, dass er mit »schlechtem Licht« selbst angemessen umgehen würde. Ich möchte aber auch daran erinnern, dass wir eine weite Zeitspanne untersuchen und die betreffenden Verantwortlichen auch aus der CDU kamen. Hat Brandenburg wirksame Konsequenzen aus der NSU-Affäre gezogen? In der letzten Sitzung der Parlamentarischen Kontrollkommission am 12. April wurde uns vom Verfassungsschutz mitgeteilt, dass es eine Zusammenarbeit mit einem Spitzel vom Kaliber »Piatto« im Land Brandenburg dank neuer Dienstvorschriften heute nicht mehr geben würde. Dass dies bereits ausreicht, erscheint mir auf Anhieb fraglich. Wir müssen die Vorgänge umfassend untersuchen. Ich werde mich jedenfalls dafür einsetzen, dass es wirksame Konsequenzen geben wird.