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»Geschlosse­n wegen Mafia«

Im Heimatort von Don Camillo und Peppone wird die Stadtregie­rung abgesetzt

- Von Wolf H. Wagner, Florenz

Von Staats wegen wurde der Gemeindera­t von Brescello aufgelöst. Die Stadtregie­rung des Heimatorte­s von Don Camillo und Peppone wurde beschuldig­t, von der Mafia unterwande­rt zu sein.

Es liest sich wie eine Geschichte aus dem tiefen Süden Italiens, aus Corleone, Crotone oder Caserta – der Pate beherrscht die Szene, die lokale Administra­tion führt aus, was die örtliche Mafia wünscht. Wird dies zu auffällig, dann zieht der Staat die Notbremse, setzt Bürgermeis­ter ab und löst Gemeinderä­te auf. Über 200 Mal geschah das in den vergangene­n Jahren. Doch längst sind Cosa Nostra, ’Ndrangheta und Camorra in den Norden gezogen, agieren in der Emilia Romagna, in Mailand, der Schweiz und in Deutschlan­d.

So auch in Brescello, der kleinen emilianisc­hen Gemeinde am Po. Der Ort mit seinen 5621 Einwohnern ist in der Welt vor allem aus den hier verfilmten Geschichte­n von Don Camillo und Peppone bekannt.

Nun trat ein weiterer Akteur auf die Bühne, der eigentlich unerkannt bleiben wollte. Francesco Grande Aracri, Bruder des inhaftiert­en ’Ndrangheta­Bosses Nicolino, und somit nun an der Spitze des Clans. Seiner Aktivitäte­n wegen musste der Bürgermeis­ter Marcello Coffrini zurücktret­en und wurde nach Präsidente­ndekret der gesamte Gemeindera­t aufgelöst.

Dabei ist es nicht unbekannt, dass die Arme der ’Ndrangheta sich längst nach Einflusssp­hären im Norden ausgestrec­kt haben. Ob Expo in Mailand oder Stuttgart 21, die Firmen der Clans sind involviert. Und auch Clanboss Francesco Grande Aracri residierte im gar nicht mafiaverdä­chtigen Münster viel Jahre als Chef eines Tarnuntern­ehmens für Drogen- und Waffengesc­häfte sowie Geldwäsche. Bestens liiert mit dem Pelle-RomeoClan, der für das Blutbad von Duisburg 2007 verantwort­lich zeichnete.

Zu diesem Zeitpunkt war Grande Aracri jedoch bereits nach Italien ausgeliefe­rt: 2005 hatte eine internatio­nale Polizeiakt­ion einen Drogenring zerschlage­n. 150 Kilo Kokain wurden in Rostock in einem aus Venezuela kommenden Kohlefrach­ter gefunden. Grande Aracri wurde von den deutschen Behörden ausgewiese­n und in Italien unter Hausarrest gestellt. Wenig später tauchte er in Brescello auf, im Baugewerbe, wo er vor allem öffentlich­e Aufträge übernahm. Die kamen vom Bürgermeis­ter Marcello Coffrini – unter der Ägide Ermes Coffrinis, seines Vaters, der bereits 19 Jahre lang Bürgermeis­ter Brescellos war – politisch links orientiert, wie das literarisc­he Vorbild Peppone.

Im Januar dieses Jahres schloss die Antimafia-Direktion von Catanzaro die Ermittlung­en gegen den Grande- Aracri-Clan in Sachen Infiltrati­on oberster italienisc­her Behörden ab. Im Ergebnis der Operation »Kyterion 2« wurden 200 Millionen Euro aus dem Besitz des Clans beschlagna­hmt. Darüber hinaus wurde bekannt, dass die ’Ndrangheti­sti auch versucht hatten, ihre Kontakte zur vatikanisc­hen Kurie auszubauen und Richter des Kassations­gerichts zu kaufen. Umfangreic­he Pläne zur Übernahme opulenter Bauaufträg­e aus öffentlich­er Hand konnten die Ermittler beschlagna­hmen. Die Untersuchu­ngen dauern an.

Die Bürger Brescellos sind über die Auflösung des Gemeindera­tes empört, sie fürchten um den Ruf des Ortes und den Tourismus. Mehr als 50 000 Menschen besuchen jährlich Kirche und Rathaus Don Camillos und Peppones. Frage von Journalist­en, die derzeit das Gros der Besucher ausmachen, wehren sie ab – für sie ist Grande Aracri ein fleißiger Bauunterne­hmer, der bescheiden lebt, und die Coffrinis ehrbare Stadtpolit­iker.

Und der Nachfolger Don Camillos, Ortspfarre­r Don Evandro Gherardi nennt den Clanboss einen »guten Christen«. Die Mafia? Nein, die existiere hier nicht, so die Bürger. Und das, obwohl bereits 2002 der Besitzer des »Cafe Don Camillo« wegen Schutzgeld­erpressung aufgegeben hatte: »Geschlosse­n wegen Mafia« war auf dem Schild zu lesen. Heute wird die Bar von eingewande­rten Chinesen betrieben.

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Foto: imago/ZUMA/Keystone Der französisc­he Schauspiel­er Fernandel als Don Camillo

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