Mehr Briten beantragen deutschen Pass
Nachfrage steigt vor allem im Rhein-Main-Gebiet
Auch wenn sich die Umsetzung des am 23. Juni per Volksabstimmung beschlossenen EU-Austritts Großbritanniens (Brexit) noch über Jahre hinziehen dürfte, hat diese Weichenstellung auch in Deutschland weitreichende Folgen. So registrieren die Behörden registrieren ein verstärktes Interesse vieler hier lebender Briten an einer deutschen Staatsbürgerschaft. Zum Beispiel in Rheinland-Pfalz und Hessen.
Er habe keine Lust auf Papierkrieg mit Behörden um Arbeitserlaubnis oder Aufenthaltsrechte und werde wahrscheinlich die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen, erklärt ein aus Nordengland stammender Altenpfleger, der seit Jahrzehnten in Rheinland-Pfalz lebt und arbeitet. Mit dem Gang zur Behörde lässt er sich aber Zeit. »Der Brexit könnte sechs bis zehn Jahre dauern.« Er werde allerdings die Nachrichten aufmerksam verfolgen und reagieren, falls es tatsächlich schneller gehen sollte, sagt er entschlossen.
Andere haben es eiliger. So habe die Zahl der Anfragen einbürgerungswilliger Briten massiv zugenommen, bestätigt ein Sprecher des Regierungspräsidiums (RP) Darmstadt auf »nd«-Anfrage. Die für die Antragsbearbeitung zuständige Behörde umfasst das südliche Hessen mit rund vier Millionen Einwohnern und bezeichnet sich selbst als »größte Einbürgerungsbehörde Deutschlands«. Seit Jahresbeginn hätten hier bereits mehr Briten ihren Willen zur Einbürgerung bekundet als in den vorangegangenen zehn Jahren, beschreibt ein Behördenmitarbeiter seinen »subjektiven Eindruck«.
In Hessen, das seit dem BrexitReferendum in London angesiedelte EU-Institutionen und Konzernzentralen für einen Umzug in das Rhein-Main-Gebiet zu erwärmen versucht, sind viele tausend Briten längst aus beruflichen oder privaten Gründen sesshaft geworden. Die allermeisten haben sich bislang als EU-Bürger um Aufenthaltsstatus, Arbeitserlaubnis, Freizügigkeit und andere Rechte keine Sorgen gemacht. Bei Kommunal- und Europawahlen haben sie aktives und passives Wahlrecht. Nun hat der Brexit-Entscheid viele innerlich vom Mutterland entfremdet und neue Sorgen um ihren Status in Deutschland genährt. Daher der Run auf Rathäuser und Kreisverwaltungen, die die Einbürgerungsanfragen nach Darmstadt weiterleiten.
Die Eile wird auch durch eine Mitteilung aus Darmstadt beflügelt. »Als EU-Bürger können Briten bislang unter erleichterten Bedingungen eingebürgert werden«, heißt es auf der Website des Regierungspräsidiums. Sie dürften auch nach dem Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit ihre britische Staatsangehörigkeit behalten. Selbst eine Austrittserklärung Großbritanniens aus der EU gemäß Paragraf 50 des EU-Vertrages ändere zunächst nichts an der Rechtslage. »Erst wenn tatsächlich der Austritt erfolgt ist, gilt die bisherige Privilegierung im Hinblick auf die Beibehaltung der bisherigen Staatsangehörigkeit nicht mehr«, so das Regierungspräsidium.
Einen ähnlichen Ansturm einbürgerungswilliger Briten verzeichnen auch Behörden anderswo im Bundesgebiet. So etwa in Nordrhein-Westfalen, das nach 1945 unter britischer Verwaltung stand und enge Beziehungen zum Vereinigten Königreich unterhält. In Köln hätten britischstämmige Einwohner seit dem Referendum genauso viele Einbürgerungsanträge gestellt wie im gesamten ersten Halbjahr 2016, erklärt Simone Winkelhog von der städtischen Pressestelle gegenüber »nd«. Darüber hinaus habe es auch viele zahlenmäßig nicht erfasste telefonische Anfragen gegeben.