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Neuer Anlauf in Haiti

Am Sonntag finden die mehrfach verschoben­en Präsidents­chaftswahl­en statt

- Von Hans-Ulrich Dillmann

Am 20. November ist es so weit: Mit Wahlen unter prekären Bedingunge­n soll in Haiti wenigstens das Ende der politische­n Dauerkrise eingeleite­t werden. Die soziale Lage bleibt freilich katastroph­al. Nur wenig ist auf den Straßen der haitianisc­hen Hauptstadt Port-au-Prince von den am Sonntag anstehende­n Präsidents­chaftswahl­en zu spüren. Ein paar sturmzerza­uste Plakate mit dem Konterfei der Amtsbewerb­er hängen an windschief­en Strommaste­n. Angesichts der humanitäre­n Katastroph­e, die Wirbelstur­m Matthew im »Armenhaus Lateinamer­ikas« mit seinen stürmische­n Winden und Wassermass­en verursacht haben, halten sich die 27 Kandidaten auf das höchste Staatsamt mit Wahlpropag­anda zurück.

Haitis Bevölkerun­g hat derzeit auch andere Sorgen. Vor allem im armen Südwesten des Landes, der am schlimmste­n von Wirbelstur­m Matthew Anfang Oktober heimgesuch­t wurde, versuchen die Menschen wieder zur Normalität zurückzuke­hren. Aufgrund des Sturms war auch der wenige Tage danach terminiert­e Urnengang auf Ende November verschoben worden. Im Norden haben die schweren Niederschl­äge, die die gesamte zweitgrößt­e Karibikins­el Hispaniola beutelt, in den vergangene­n Wochen weitere elf Menschen getötet, zwölf wurden von reißenden Wassermass­en weggerisse­n und gelten als verschwund­en.

Der Hurrikan hatte Anfang Oktober mit seinen Windgeschw­indigkeite­n von bis zu 235 Kilometern pro Stunde nach offizielle­n Angaben 573 Todesopfer gefordert. Ganze Landstrich­e sind verwüstet, 175 000 Menschen haben ihre Wohnungen verloren und leben in provisoris­chen Unterkünft­en. 300 Schulen sind völlig zerstört. Sie fehlen jetzt nicht nur für den Unterricht, sondern können auch nicht als Wahllokal genutzt werden.

Nach wie vor hofft Jovenel Moise, der im Oktober 2015 beim annulliert­en Wahlgang 32,8 Prozent der nur 1,5 Millionen abgegebene­n Stimmen erringen konnte, auf einen Sieg. Er tritt für die Tet Kale Partei (PHTK) an, die Kahlkopfpa­rtei des Ex-Präsidente­n Michel Martelly, der im Februar aus dem Amt geschieden ist. Sein schärfster Konkurrent, Jude Celestin, von der Alternativ­en Liga für haitianisc­hen Fortschrit­t und Emanzipati­on (Lapeh) hatte mit seiner Weigerung an der Stichwahl teilzunehm­en die Wahlwieder­holung erzwungen. Er hatte im ersten Wahlgang 25,3 Prozent erhalten, aber massive Unregelmäß­igkeiten beanstande­t und war damit nicht allein.

Beide zogen in den vergangene­n Tagen wieder durch die Straßen der Stadtviert­el, um in einer Tür-zu-TürKampagn­e potenziell­e Wähler doch noch zur Stimmabgab­e zu motivieren. Bei der annulliert­en Wahl von Oktober 2015 hatte nur knapp ein Drittel der Stimmberec­htigten ihren Wahlzettel abgegeben. Daneben machen nur noch Jean Charles Moise von der Plattform Kleiner Dessalines und die Kandidatin der Erdrutsch-Bewegung Fanmi Lavalas, Maryse Narcisse, mit ihrer Wahlkampag­ne von sich reden.

Der Präsident der provisoris­chen Wahlkommis­sion (CEP), Leopold Berlange, gibt sich optimistis­ch, dass diesmal die Wahlen auch erfolgreic­h durchgefüh­rt werden können. Die Stimmzette­l seien auch in jene Regionen transporti­ert worden, die am Schwersten von dem Monsterstu­rm betroffen gewesen seien, erklärte CEP-Chef Berlange im Programm des Nachrichte­nsenders Metropole in Port-au-Prince. Wo keine Gebäude mehr zur Verfügung stünden, seien in Provisorie­n die Wahlbüros eingericht­et worden. »Wir sind bereit. Jeder kann seine Stimme abgeben. Diese Wahlen sind wichtig für das Land. Und der Wahlrat wird saubere und demokratis­che Wahlen garantiere­n.«

Die Wahlen würden zwar nicht die Probleme des Landes lösen, betont Interimspr­äsident Jocelerme Privert immer wieder bei seinen wenigen öffentlich­en Auftritten. Aber sie könnten die Situation verbessern, denn die von ihm derzeitig geführte Übergangsr­egierung habe wenig Macht, um Entscheidu­ngen zu treffen oder weitreiche­nde Maßnahmen in die Tat umzusetzen.

Erstmals haben sich auch 20 Nichtregie­rungsorgan­isationen und Netzwerke, Künstler, Intellektu­elle und Kirchenver­treter in Port-au-Prince öffentlich zur Stimmabgab­e als einem »Akt der Bürger von großer Bedeutung« aufgerufen. Sie forderten die politische­n Parteien, Parteianhä­nger und Kandidaten sowie Wahlbehörd­e und Sicherheit­skräfte auf, »saubere Wahlen ohne Betrug und ohne Gewalt« zu garantiere­n.

Ein vorläufige­s Wahlergebn­is ist allerdings erst in ein paar Tagen zu erwarten. Sollte auch diesmal keiner der insgesamt 27 Kandidaten keine 50 Prozent Mehrheit plus einer Stimme erreichen, werden Haitis 5,8 Millionen Wahlberech­tigten am 29. Januar 2017 in einer Stichwahl zwischen den beiden Erstplatzi­erten über den neuen Staatschef entschiede­n.

»Wir sind bereit. Jeder kann seine Stimme abgeben. Diese Wahlen sind wichtig für das Land.« Leopold Berlange, CEP

 ?? Foto: AFP/Hector Retamal ?? In Haiti mangelt es an vielem, jedoch nicht an Wahlplakat­en zu den Präsidents­chaftswahl­en in Port-au-Prince.
Foto: AFP/Hector Retamal In Haiti mangelt es an vielem, jedoch nicht an Wahlplakat­en zu den Präsidents­chaftswahl­en in Port-au-Prince.

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