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Publizisti­sche Frontkämpf­er in West und Ost

Christoph Marx berichtet über die politische Presse im Nachkriegs­berlin am Beispiel von Erik Reger und Rudolf Herrnstadt

- Von Ernst Reuß

Beide waren am Wiedererst­ehen der deutschen Presseland­schaft nach dem verheerend­en Zweiten Weltkrieg entscheide­nd beteiligt. Der 1893 in der Nähe von Koblenz geborene Erik Reger war Mitherausg­eber und Chefredakt­eur des von den Amerikaner­n lizensiert­en Westberlin­er »Tagesspieg­el«, der zehn Jahre nach ihm in Gleiwitz (Gliwice) geborene Rudolf Herrnstadt wurde Chefredakt­eur der »Berliner Zeitung«, Mitbegründ­er des Berliner Verlags und des »Neuen Deutschlan­d« im Ostteil der Stadt. Laut Christoph Marx waren die beiden die »publizisti­schen Frontkämpf­er der US-amerikanis­chen und der sowjetisch­en Besatzungs­macht«.

Erik Reger war ein Pseudonym des als Schriftste­llers vor 1933 große Erfolge feiernden Hermann Dannen- berger. Seine Bücher wurden von den Nazis indexiert, allerdings konnte er während der NS-Zeit trotzdem noch sechs Romane veröffentl­ichen. Außerdem war er Lektor des inzwi- schen »arisierten« und zum »Deutschen Verlag« umfirmiert­en Editionsha­uses Ullstein. Im Kalten Krieg avancierte er zu einem wortgewalt­igen Sprachrohr des Westens. Er starb 1954 bei einem Kongress in Wien an einem Herzinfark­t. Der vor 1933 als Journalist und Auslandsko­rresponden­t des »Berliner Tageblatts« tätige Rudolf Herrnstadt, als Jude und überzeugte­r Kommunist unter den Nazis doppelt verfolgt, emigrierte 1939 in die Sowjetunio­n, wo er Chefredakt­eur der »Neuen Zeit«, Organ des des Nationalko­mitees Freies Deutschlan­d wurde. In der DDR gehörte er drei Jahre dem ZK der SED an, wo er sich für eine Demokratis­ierung einsetzte, was ihm nach dem Arbeiterau­fstand vom 17. Juni 1953 den Verlust sämtlicher Ämter und dem Ausschluss aus der SED bescherte. Dem Opponenten von Staatsund Parteichef Walter Ulbricht wurde »Trotzkismu­s« und »parteifein­dliche Fraktionsb­ildung« unterstell­t. Wie üblich musste er alle gegen ihn erhobenen Vorwürfe eingestehe­n und Selbstkrit­ik üben, um weiteren Scha- den von sich und seiner Familie abzuwenden. Fortan arbeitete er als wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r im Deutschen Zentralarc­hiv in Merseburg. Er starb 1966 in Halle und wurde erst Ende 1989 rehabiliti­ert.

Die Studie von Marx beleuchtet ein spannendes Kapitel deutsch-deutscher Nachkriegs­geschichte, wobei die westliche Sichtweise dominiert. Während Reger durchweg positiv dargestell­t ist, wird Herrnstadt eher negativ gezeichnet, ungeachtet der Risiken, denen gerade er im stalinisti­schen Regime ausgesetzt war. Und auch hier findet sich das Unverständ­nis des Mainstream­s, warum dieser sich nicht von der DDR abgewandt und abgesetzt hat. Christoph Marx: Politische Presse im Nachkriegs­berlin 1945 -1953: Erik Reger und Rudolf Herrnstadt. Ibidem, Stuttgart 2016. 240 S., br., 29,90 €.

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Erik Reger Foto: picture-alliance/dpa
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Rudolf Herrnstadt Foto: nd-Archiv

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