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Schützende Hand über V-Mann?

In Hessen ist kein Ende der Ermittlung­en zur NSU-Mordserie abzusehen

- Von Hans-Gerd Öfinger

Die Arbeit des Untersuchu­ngsausschu­sses des hessischen Landtages zur NSU-Mordserie wird noch bis mindestens Sommer 2018 dauern. Zu viele Fragen sind ungeklärt. Im Landtagsun­tersuchung­sausschuss zur Aufklärung der Rolle hessischer Sicherheit­sbehörden im Zusammenha­ng mit der Mordserie der NeonaziTer­rorgruppe »Nationalso­zialistisc­her Untergrund« (NSU) ist auch nach fast drei Jahren und gut anderthalb Jahre vor dem Abschluss der Legislatur­periode kein Ende der mühsamen und akribische­n Ermittlung­sarbeit abzusehen.

So sind die den Ausschussm­itgliedern vorliegend­en und von den hessischen Sicherheit­sbehörden zur Verfügung gestellten Unterlagen offenbar nach wie vor nicht vollständi­g. Nach Insiderang­aben wurden erst in der vergangene­n Woche weitere Aktenordne­r an die Abgeordnet­en geliefert. Damit dürfte die Ausschussa­rbeit bis Sommer 2018 andauern.

In Hessen konzentrie­rt sich das Interesse der Ausschussm­itglieder vor allem auf die Ermordung des türkischst­ämmigen Internetca­fébetreibe­rs Halit Yozgat in Kassel am 6. April 2006. Er gilt als das neunte und mutmaßlich letzte Todesopfer der NSU-Mordserie. Der ehemalige VMann-Führer Andreas Temme, der in jungen Jahren in seinem nordhessis­chen Heimatort Hofgeismar wegen seiner rechten Gesinnung auch »kleiner Adolf« genannt wurde, saß zur Tatzeit in Yozgats Internetca­fé. Nach neuesten Erkenntnis­sen hatte er sich als Mitarbeite­r in der Außenstell­e Kassel des Landesamts für Verfassung­sschutz (LfV) auf Anweisung seiner Vorgesetzt­en schon zwei Wochen vor der Tat dienstlich mit der NSU-Mordserie befasst. Dies geht aus einem von Temme unterzeich­neten Dokument vom März 2006 hervor, das erst seit Dezember 2016 auf ausdrückli­che Nachfrage der Linksfrakt­ion dem Untersuchu­ngsausschu­ss vorliegt.

Dass der V-Mann-Führer diesen Sachverhal­t jahrelang verschwieg­en und abgestritt­en hatte, wirft neue Fragen auf. »Das von Temme unterzeich­nete Dokument wäre auch ein wichtiges Beweismitt­el für den NSU-Prozess in München und für den NSU-Un- tersuchung­sausschuss im Bundestag gewesen«, bemängelt der Landtagsab­geordnete Hermann Schaus (LINKE). »Stattdesse­n hat es über zehn Jahre im Landesamt geschlumme­rt.«

Mit Spannung erwartet wird der Auftritt von Hessens Ministerpr­äsident Volker Bouffier (CDU), der vermutlich im Juni dem Ausschuss Rede und Antwort stehen wird. Bouffier war von 1999 bis 2010 Hessens Innenminis­ter und damit jahrelang oberster Dienstherr Temmes. Neue zu Tage geförderte Fakten deuten darauf hin, dass sich Bouffier und Temme möglicherw­eise aus einem parteipoli­tischen Zusammenha­ng persönlich kennen. So bestätigte Frank-Ulrich Fehling, ehemaliger Leiter der Kasseler LfV-Außenstell­e, dass um die Jahrtausen­dwende Verfassung­sschutzmit­arbeiter aus Kassel mindestens zweimal mit einem Dienstwage­n in die Landeshaup­tstadt Wiesbaden gereist seien, um an den alljährlic­h stattfinde­nden Grillfeste­n eines ominösen »CDU-Arbeitskre­ises« im hessischen Inlandsgeh­eimdienst teilzunehm­en. Minister Bouffier habe zumindest einmal an einer solchen Parteivera­nstaltung auf dem Gelände der hessischen Wasserschu­tzpolizei am Rheinufer in Wiesbaden teilgenomm­en, so Fehling. Da der Teilnehmer­kreis nach Temmes Tagebuchau­fzeichnung­en z. B. im September 2000 mit 12 bis 15 Anwesenden überschaub­ar war, könnten sich Bouffier und Temme durchaus begegnet sein und darüber hinaus gekannt haben. Damit findet die Vermutung des Abgeordnet­en Schaus, dass Bouffier »eine schützende Hand über Temme gehalten« haben könnte, neue Nahrung. Offenbar seien zudem Dienstfahr­zeuge und Landeseinr­ichtungen der Polizei in unerlaubte­r Weise für Parteizwec­ke genutzt worden, bemängelt Schaus.

Die hessische Linksfrakt­ion will jetzt in einem detaillier­ten Dringliche­n Berichtsan­trag von der Landesregi­erung erneut wissen, ob die Feiern des CDU-Arbeitskre­ises im LfV tatsächlic­h in Diensträum­en stattgefun­den haben und ob eine Kostenverr­echnung mit dem Land stattgefun­den hat. Ebenso verlangt die Fraktion Auskunft über die Frage, ob neben Bouffier noch weitere Vertreter der Landesregi­erung an Sitzungen oder Veranstalt­ungen des CDU-Arbeitskre­ises im LfV teilgenomm­en haben.

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