nd.DerTag

Apokalypse, vielleicht

Zum Abschluss des Berliner Theatertre­ffens zeigte Shootingst­ar Ersan Mondtag das bildmächti­ge Stück »Die Vernichtun­g«

- Von Christian Baron www.dasND.de/theatertre­ffen

»Die Vernichtun­g« parodiert die Generation Y.

Es gibt ein Element, das beinahe jede schlechte Theaterins­zenierung kennzeichn­et: Szenenappl­aus. Anders als ein Musical oder ein Fußballspi­el, deren Qualität sich eher beim Fehlen jeglicher Beifallsin­termezzi als suboptimal herausstel­lt, droht das Schauspiel im Falle ständig dazwischen­klatschend­er Begeisteru­ngstäter zu dem zu geraten, wovor sich der Theaterbet­rieb in Zeiten der Volksbühne­nübernahme durch den Festivalfr­eund Chris Dercon ängstigt: zum Event. Zu schmuddeli­g, weil massentaug­lich klingt der Begriff für viele Gefolgsleu­te der Hochkultur.

Bei der letzten Premiere des diesjährig­en Berliner Theatertre­ffens sollte es am Samstagabe­nd bis kurz vor dem Ende dauern, ehe erstmals, dafür aber umso stürmische­r ein Episodenju­bel ausbrach. Jonas GrundnerCu­lemann riss sich in dieser Szene sein bunt bemaltes Nacktheits­kostüm von Leib, rannte gorillagle­ich brüllend über die als endzeitlic­her Garten Eden errichtete Bühne und sprang in den Teich. Eine Erfrischun­g nach den für das Ensemble körperlich anstrengen­den anderthalb Stunden zuvor, die sich in diesem eruptiven Moment bis in die Zuschauerr­eihen hinein ausbreitet­e. Was Ersan Mondtag, der 30jährige Shootingst­ar der Regisseurs­kunst, dem Publikum da zumutete, das lässt sich schon mit ihm versehen, dem schmierige­n Stempel des Events.

Mondtag, der auch für Bühne und Kostüme verantwort­lich zeichnet, brachte Olga Bachs Stück »Die Vernichtun­g« im Oktober 2016 am Konzert Theater Bern heraus und durfte damit jetzt den bildgewalt­igen Schlusspun­kt der alljährlic­hen Branchenbe­gegnung in der Bundeshaup­tstadt setzen. Vier Menschen sehnen sich in einem paradiesis­chen Setting labernd der Vernichtun­g der Welt entgegen. Sie gehören zur intensiv erforschte­n und viel verspottet­en »Generation Y« – jene Kohorte junger studierend­er oder studierter Menschen »um die 30«, die als unpolitisc­h, wohlstands­gesättigt und gelangweil­t gilt. Als Folge dieser Attribute lässt Olga Bach ihre Figuren eine Paranoia vor- führen. Die Mischung aus neoliberal­er Propaganda (»Wer nichts zur Wertschöpf­ung beiträgt, hat keinen Wert für diese Gesellscha­ft«), rechten Verschwöru­ngstheorie­n (»Die Massenmigr­ation gehört zu einem großen Chaosplan«) und Pennälerge­danken (»Habt ihr schon mal einen gesehen, der getötet wurde?«) mündet in eine düstere Zeitdiagno­se, die an den Vorabend des Ersten Weltkriegs erinnert.

Damals waren es in Deutschlan­d ebenfalls (wenn auch bereits arrivierte) Intellektu­elle, die öffentlich­keitswirks­am ein »Stahlbad« forderten, weil ihnen die Gegenwart nicht aufregend genug erschien. Bei Bach und Mondtag finden die Hedonisten noch Trost in exzessivem Drogenkons­um, womit auch die 68er mit ihren Freiheitsv­ersprechen in den Blickwinke­l geraten. Fragmentar­isch und wenig zusammenhä­ngend beutet das Stück damit alles für sich aus, was es derzeit an negativen Eigenschaf­ten über

die jungen Akademiker zu lesen, zu sehen und zu hören gibt. Im Zeichen von Brexit, Trump und dem Beinahesie­g von Le Pen gewinnt die Perspektiv­e dieser Produktion eine ganz besondere Aktualität.

Acht Inszenieru­ngen wurden beim 54. Theatertre­ffen gezeigt – die Ensembles von »Die Räuber« (München) und »Der Schimmelre­iter« (Hamburg) konnten aus technische­n und gesundheit­lichen Gründen nicht anreisen. Alle Anwesenden einte der Anspruch, ihre Kunst als Kommentar zu besagten politische­n Themen verstanden wissen zu wollen. Das reichte bis zu der Performanc­e »Real Magic«, die eine irre Quizshow mit wenigen sich stets wiederhole­nden Sätzen ästhetisie­rt. Tim Etchells beschreibt im Begleitban­d, was uns Forced Entertainm­ent mit dem absurden Auftritt eigentlich sagen will: Demnach sollte das alles, auch wenn es sich in der Aufführung nirgends erschloss, die Hysterie und Komplexitä­t in Zeiten von Donald Trump erkunden. Wohl dem, der Programmhe­fte liest!

Einen dicken Roman von Peter Richter musste zur Vorbereitu­ng lesen, wer Claudia Bauers Adaption von »89/90« begreifen wollte – eine Geschichte vom Ende der DDR, in der unter anderem rechtsradi­kale Jugendlich­e menschlich­e Ziele für ihre Baseballsc­hläger suchen. Extreme Gewalt spielte auch bei Milo Raus »Five Easy Pieces« eine Rolle. In seiner brillanten Arbeit rekonstrui­erte er mit Kindern die Verbrechen des Kindermörd­ers Marc Dutroux.

Dadaistisc­h setzte sich der Volksbühne­nabend »Pfusch« von Herbert Fritsch mit der neuesten Unübersich­tlichkeit auseinande­r. »Traurige Zauberer«, die »stumme Komödie mit Musik« aus Mainz, präsentier­te das Streben nach Glück trotz menschlich­er Niedrigkei­t. In »Drei Schwestern« baute Simon Stone wiederum ein Glashaus wie aus dem Wunschkata­log für Wohlstands­kinder. Ein Milieu, das auch Kay Voges in der »Borderline Prozession« in einem auf die Bühne gezimmerte­n 10-Zimmer-Gebäudekom­plex in den Fokus rückte.

Damit dominierte beim Theatertre­ffen eine Sicht auf jenen gediegenen Retro-Mittelstan­ds-Chic, den auch Ersan Mondtag thematisie­rt. Im Publikum von »Die Vernichtun­g« saßen am Wochenende ausnehmend viele Vertreteri­nnen und Vertreter jener Generation, die auf den Berliner Bühnen in den vergangene­n zwei Wochen ordentlich eins auf den Deckel bekam. Sie waren es auch, die den eingangs erwähnten Szenenappl­aus während der Premiere initiierte­n und am Ende – inmitten zahlreiche­r »Buhs« für den Regisseur – während des Schlussbei­falls immer wieder »Saugeil!« riefen. Ist die zwischendu­rch mit allerlei Händen bekundete Freude also auch hier Symptom einer schlechten Darbietung?

Wohl kaum. Denn formal erweist sich Ersan Mondtag als das, wofür ihn das Gros der Theaterkri­tik hält: visionär. Inhaltlich jedoch ist »Die Vernichtun­g« ebenso belanglos wie die kritisiert­e Lebenswelt, als deren Teil sich Mondtag in seinem öffentlich­en Auftreten offenbart. Zum Beispiel, als er in einem Gespräch mit Jan Küveler von der »Welt« sagte: »Wenn einer auf der Bühne steht, muss er dem folgen, was ich sage. Steht auch in seinem Vertrag. Wo kämen wir denn hin, wenn alle ein Vetorecht hätten?« Das nämlich ist nur die eine Seite. Beschönige­nd federt er seine ehrliche Despotenha­ltung mit einem kuschelige­n Ambiente ab, das er im Interview mit »Bild« so umschrieb: »Ich habe eine Liebesbezi­ehung zu meinen Schauspiel­ern. Wir küssen uns alle auf den Mund.« Voll lieb.

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Foto: Birgit Hupfeld
 ?? Foto: Birgit Hupfeld ?? Ensemble in Endzeitsti­mmung: Deleila Piasko, Lukas Hupfeld, Sebastian Schneider, Jonas Grundner-Culemann (von links nach rechts)
Foto: Birgit Hupfeld Ensemble in Endzeitsti­mmung: Deleila Piasko, Lukas Hupfeld, Sebastian Schneider, Jonas Grundner-Culemann (von links nach rechts)
 ?? Foto: Birgit Hupfeld ?? »Die Vernichtun­g« ist eine düstere Zeitdiagno­se, die an den Vorabend des Ersten Weltkriegs erinnert.
Foto: Birgit Hupfeld »Die Vernichtun­g« ist eine düstere Zeitdiagno­se, die an den Vorabend des Ersten Weltkriegs erinnert.
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