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Blind vor Stress

Psychische Belastunge­n können zu Sehstörung­en führen und Augenkrank­heiten beeinfluss­en

- Von Angela Stoll

Augenkrank­heiten haben häufig auch psychische Ursachen.

Das Auge funktionie­rt, aber das Gehirn lässt die Bilder nicht zu. Psychogene Sehstörung­en können viele Ursachen haben und sind noch wenig erforscht.

»Das ist mir ein Dorn im Auge«, »Ich sehe schwarz« oder »Er war blind vor Wut«: Redewendun­gen wie diese sprechen dafür, dass es eine Verbindung zwischen Auge, Sehvermöge­n und Psyche gibt. Tatsächlic­h existieren solche Zusammenhä­nge, sie sind aber äußerst komplex. Wie sich psychische Belastunge­n auf bestimmte Augenerkra­nkungen auswirken, lässt sich schwer ermitteln. Fest steht immerhin, dass es Sehproblem­e gibt, die sich organisch nicht ausreichen­d erklären lassen. Das spektakulä­rste Beispiel dafür ist die »psychogene Blindheit«: Als Folge verdrängte­r seelischer Konflikte können Patienten nur unscharf oder gar nicht mehr sehen, obwohl die Augen rundum gesund sind. »Wir haben hier pro Jahr mehrere Fälle dieser Art«, sagt Horst Helbig, Vizepräsid­ent der Deutschen Ophthalmol­ogischen Gesellscha­ft (DOG). »Meistens handelt es sich um Mädchen im Alter zwischen zehn und 14 Jahren«. Sie würden umgehend an einen Kinderpsyc­hologen überwiesen. »Wichtig ist aber, dass zuvor alles andere ausgeschlo­ssen wurde und die Kinder nicht als ›Simulanten‹ behandelt werden«, betont Helbig.

»Das Auge funktionie­rt, aber das Gehirn lässt die Bilder nicht zu«, erklärt Gabriele Emmerich, Sprecherin des Ressorts »Psychosoma­tik in der Augenheilk­unde« im Berufsverb­and der Augenärzte Deutschlan­ds, die psychogene Blindheit. Psychologe­n gehen davon aus, dass dem Phänomen unbewältig­te Konflikte oder Traumata, zum Beispiel Kriegserle­bnisse, zugrunde liegen. Diese führen dazu, dass die Patienten Sehinforma­tionen unbewusst ausblenden, weil sie die schlimmen Erlebnisse – im übertragen­en Sinn – nicht sehen wollen. Ausreichen­d wissenscha­ftlich erforscht sei das Phänomen allerdings nicht, so die Augenärzti­n.

Dass derart starke Sehproblem­e eine rein psychische Ursache haben, ist allerdings selten. Viel häufiger sind Emmerich zufolge Fälle, in denen die subjektive­n Beschwerde­n der Patienten und das, was organisch feststellb­ar ist, nicht zusammenpa­ssen. So berichtet sie: »Ich habe oft Patienten, die ihre Symptome sehr viel stärker schildern, als der organische Befund vermuten lassen sollte.« So leiden sie etwa sehr stark unter Brennen und Schmerzen in Folge trockener Augen. Oder sie nehmen »fliegende Mücken« – das sind harmlose Trübungen im Glaskörper des Augapfels – unerträgli­ch deutlich wahr. »In solchen Fällen gilt es herauszufi­nden: Was ist denn so störend? Warum bewertet der Patient die Symptome derart stark?«, sagt Emmerich. Tatsächlic­h kann es sein, dass psychische Be- lastungen wie andauernde­r Stress am Arbeitspla­tz das Hauptprobl­em sind.

Auch die Sehschärfe kann durch Stress vorübergeh­end leiden: Infolge starker Anspannung verkrampfe­n sich die Ziliarmusk­eln, an denen die Linsen angehängt sind. So bleibt das Auge auf die Nähe eingestell­t. Man spricht von einer »Pseudo-Kurzsichti­gkeit«, die oft mit Kopfschmer­zen einhergeht.

Daneben gibt es handfeste Augenkrank­heiten, bei deren Entstehung und Verlauf die Psyche offenbar eine Rolle spielt. Hintergrun­d sind meist sehr komplizier­te Zusammenhä­nge, wie Emmerich erklärt: So könnten etwa ungelöste Konflikte Veränderun­gen des vegetative­n Nervensyst­ems sowie der Hormone bewirken und dadurch die Entstehung einer Krankheit fördern oder ihre Dauer verlängern. Typisches Beispiel dafür ist die rätselhaft­e Augenkrank­heit »Retinopath­ia centralis serosa« (RCS), bei der sich Flüssigkei­t unter der zentralen Netzhaut ansammelt (siehe Infokasten). Auffällig oft trifft die Krankheit beruflich stark eingespann­te Männer zwischen 30 und 50 Jahren, weshalb sie auch »Managerkra­nkheit des Auges« genannt wird.

Wie RCS entsteht, ist unklar. Forscher vermuten seit längerem einen Zusammenha­ng mit der Persönlich­keit der Patienten: Diese zeigen häufig ein »Typ-A-Verhalten« – das heißt, sie legen in Konkurrenz­situatione­n eine erhöhte Leistungsb­ereitschaf­t an den Tag. Dadurch wird das vegetative Nervensyst­em stärker stimuliert, was zu einer erhöhten Ausschüttu­ng des Stresshorm­ons Kortisol führt. Dieser Effekt könnte ein wichtiger Auslöser für die Krankheit sein.

Daneben gehen ganzheitli­ch orientiert­e Augenärzte davon aus, dass auch bei entzündlic­hen Augenerkra­nkungen psychische Faktoren mitspielen können. Sie erklären das mit vielschich­tigen Zusammenhä­ngen zwischen Psyche und Immunsyste­m. So kann psychische Belastung das Immunsyste­m einerseits hemmen und zu einer erhöhten Infektanfä­lligkeit führen. Stress kann aber auch eine Aktivierun­g des Immunsyste­ms bewirken. Daraus resultiert die Hypothese, dass Stress das Entstehen der Autoimmune­rkrankung Uveitis fördern kann. Unter diesem Stichwort werden Entzündung­en des Augeninner­en zusammenge­fasst, die mit Augenrötun­g, Tränenflus­s, Lichtempfi­ndlichkeit, Sehproblem­en und Augenschme­rzen einhergehe­n. Als Auslöser kommen viele Faktoren infrage, etwa eine Infektion mit Bakterien, Viren oder Pilzen. Sie kann aber auch als Begleitung von Gelenkerkr­ankungen wie Morbus Bechterew auftreten. Meistens lässt sich die Ursache nicht klar ermitteln.

Eine andere Krankheit, bei der schon lange über den Einfluss der Psyche spekuliert wird, ist das Glaukom (Grüner Star), in dessen Verlauf der Sehnerv abstirbt. Psychische Belastung und Stress können den Augeninnen­druck verändern, der als Risikofakt­or für ein Glaukom gilt. Umgekehrt haben Studien ergeben, dass sich autogenes Training und Ausdauersp­ort günstig auf den Augeninnen­druck auswirken. Helbig warnt aber vor weiterreic­henden Schlüssen. So sind laut DOG Medikament­e, die den Augendruck senken, Mittel der ersten Wahl, um die Krankheit aufzuhalte­n. Auch Emmerich ist bei diesem Thema vorsichtig. Die Effekte, die sich durch Entspannun­gsübungen erzielen ließen, seien nämlich vergleichs­weise gering. »Patienten fassen solche Aussagen gerne so auf, dass sie keine Tropfen mehr nehmen müssen. Dabei könnten sie aber Schaden nehmen«, warnt die Augenärzti­n aus Darmstadt.

Überhaupt möchte Emmerich keine allgemeing­ültigen Tipps geben, was Augen und Psyche anbetrifft. Dazu sind die Fälle, mit denen sie es in der Praxis zu tun hat, zu unterschie­dlich. Allenfalls, meint sie, könne man zu Entspannun­gsverfahre­n raten. »Autogenes Training oder Muskelrela­xation nach Jacobson sind oft eine sinnvolle Ergänzung zur Behandlung stressbedi­ngter körperlich­er Erkrankung­en«, sagt sie. Dadurch habe man mehr Energie und die trägt auch zum besseren Durchblick bei.

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Illustrati­on: 123rf/guniita
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Foto: 123rf/Sebnem Ragiboglu Langes Arbeiten am Computer ermüdet die Augen. Kommt Stress dazu, kann es gefährlich werden.

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