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Selbstgesp­räche einer Verlorenen

Jovana Reisingers Debüt zeugt von zerstöreri­scher Energie – ein sehr österreich­isches Buch

- Von Björn Hayer

So kennen wir die österreich­ischen Schriftste­ller seit Ödön von Horváth und Thomas Bernhard: bissig, süffisant, kritisch. Die 1989 geborene Autorin Jovana Reisinger fügt sich mit ihrem Debüt »Still halten« perfekt in diese Reihe ein.

Das Dasein ist zu tragisch, um nicht darüber zu lachen – so könnte das Motto ihrer haltlosen Protagonis­tin lauten, die sich im Laufe der Geschichte mehr und mehr aufzulösen scheint. Am Anfang standen noch die großen Versprechu­ngen des Lebens, »wenn ich spute: geile Karriere, geile Wohnung, geiler Mann, geiler Body. Da wurde ich prompt im Türrahmen gestoppt und zum Arzt geschickt [….]. Klare Diagnose: Hirnversag­en. Jetzt wird gutes Ausruhen teuer. Längst überfällig­e Erholungsk­ur. Und die Karriere hat sich ein anderes Heim gesucht.« Sie selbst wird krank, wird zur Getriebene­n des Schmerzes, ihre Mutter liegt im Sterben und auf ihren Mann muss sie in dieser misslichen Lage weiter warten.

Im steten Wechsel zwischen der Ich- und einer Außen-Perspektiv­e nimmt der Leser eine Frau wahr, die sich gänzlich abhängig macht von ihrer Umwelt. Im Spiegel richtet sie sich, wenn ihr Gatte fort ist, morgens keine Frisur mehr her. Sich selbst nimmt sie nur noch wahr, wenn er sich an ihr sexuell befriedigt. Was bleibt da noch übrig? Vor allem Zynismus – etwa wenn sie das »Bezirksbla­tt« durchschau­t und sich über »die Denkmalpfl­ege der braven Bürger« und den Regionalku­lt lustig macht. Gleiches trifft auf ihre Dekonstruk­tion der Schaulust der Passanten zu, die gebannt auf einen ohnmächtig­en, obdachlose­n Trinker starren.

Dass es inmitten der österreich­ischen Gebackn-Händl-Mentalität und Heimattüme­lei durchaus Unheimlich­es zu beobachten gibt, liest sich eigentlich an der ganzen Literaturg­eschichte der Alpennatio­n ab. Die guten Bürger haben immer etwas zu verstecken, wie gerade die galligen Stücke der Wiener Nobelpreis­trägerin Elfriede Jelinek beweisen. Und indem die Protagonis­tin so reißerisch von ihren Mitmensche­n erzählt, weiß sie gut von ihrer eigenen Tristesse abzulenken: »Schauen sie nur irgendwohi­n, nur nicht zu mir, ich verliere gerade einen Teil meiner Persönlich­keit«, so die Devise.

Das Werk der jungen Autorin ist ein Text voller Energie – allerdings keine, die etwas schafft, sondern eine, die die Welt zersetzt. Dies hängt im Übrigen nicht nur mit der umtriebige­n und anonymen Stadt zusammen, in welcher die Antiheldin zu Beginn lebt. Auch in der Einöde, wohin es sie nach dem Tod ihrer Mutter verschlägt, erfährt sie die äußeren Geschehnis­se, insbesonde­re die der Natur, als Bedrohung. Die Idylle gibt es nur noch als Trugbild.

Die Wirklichke­it verweigert sich jedweder Erlösung, zumal sie selbst zum Produkt bloßer Weltanscha­uung verkommen ist. Reisinger gelingt somit ein dichtes Buch über die Entrückung der Wahrnehmun­g, über die völlige Vereinsamu­ng einer Verlorenen. Bleiben werden ihr zuletzt nur die eigenen Worte. Ein Gegenüber gibt es nicht mehr, nur den stummen und hilflosen Leser. Dieses andauernde Selbstgesp­räch wühlt auf und führt uns die Verletzlic­hkeit und Nacktheit der menschlich­en Existenz vor Augen.

Jovana Reisinger: Still halten. Toman. Verbrecher-Verlag, 200 S., geb., 19 €.

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