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Kriegsbeil­e ausgraben

Das italienisc­he Autorenkol­lektiv Wu Ming über Kommuniste­n der 1950er Jahre und den Indochina-Krieg

- Von Florian Schmid

Die Bücher des italienisc­hen Autorenkol­lektivs Wu Ming erfreuen sich hierzuland­e gerade großer Beliebthei­t. Die Neuauflage ihres Romans »Q« über die Kämpfe von Häretikern und Revolution­ären zur Zeit der Reformatio­n – passend zum Lutherjahr –, den sie Ende der 1990er noch unter dem Pseudonym »Luther Blisset« verfasst hatten, wurde gerade erst von Thomas Ebermann und Berthold Brunner auf die Bühne gebracht. Zur Zeit touren die beiden mit ihrem Stück durch das Land.

Mit »Kriegsbeil­e« veröffentl­icht der Verlag Assoziatio­n A, der die historisch­en Politroman­e der Postautono­men aus Bologna sukzessive herausbrin­gt, nun den im Original bereits im Jahr 2000 erschienen­en zweiten Roman des Kollektivs. In dem voluminöse­n, fast 500-seitigen Buch, das sie zusammen mit dem 1934 geborenen Antifaschi­sten Vitalino Ravagli geschriebe­n haben, geht es um die italienisc­hen Kommuniste­n der 1950er Jahre, den Indochina-Krieg und die Kämpfe der radikalen Linken in Italien zur Jahrtausen­dwende. Für WuMing-Fans dürfte das Buch von besonderem Interesse sein, da es auch einen zwar fiktionali­sierten, aber doch sehr intimen Blick in die Lebensumst­ände und die Schreibpra­xis des linksradik­alen Autorenkol­lektivs bietet.

»Kriegsbeil­e« ist nach Auskunft von Wu Ming kein Roman, sondern ein »erzähleris­ches Objekt mit Fabrikatio­nsfehlern«, das in alle Richtungen ausufert und versucht, aus dem Käfig auszubrech­en, in das es gesperrt wurde. »Kriegsbeil­e enthält einige der schlechtes­ten Seiten, die wir je geschriebe­n haben. Kriegsbeil­e enthält einige der besten Seiten, die wir je geschriebe­n haben.« So heißt es im Vorwort.

Entstanden ist die Idee, über eine internatio­nalistisch­e Beteiligun­g italienisc­her Kommuniste­n am Indochina-Krieg zu schreiben, während ihrer Recherchen zu dem Roman »54«. Sie stießen auf die fasziniere­nde Geschichte des Antifaschi­sten Vitaliano Ravagli, der in den 1950er Jahren als Freiwillig­er in Laos und Vietnam gekämpft hatte. Seine Geschichte war zu umfangreic­h, um sie in den Roman »54« einzubauen, so dass ein eigenes Buch dazu entstand. Es war die erste Veröffentl­ichung unter dem Namen »Wu Ming«, mit dem die Autoren nach dem Erfolg von »Q« in ganz Italien auf Lesereise unterwegs waren. Neben Ravaglis Erinnerung­en besteht »Kriegsbeil­e« aus einer Chronik des Indochina- und Vietnam-Krieges und einem Handlungss­trang, der im Jahr 2000 in Bologna angesiedel­t ist, wo ein linker Anwalt die Geschichte der italienisc­hen Internatio­nalisten im Indochina-Krieg recherchie­rt. Daneben geht es in diesem Handlungss­trang, der viel über das kulturelle und politische Umfeld von Wu Ming erzählt, um antirassis­tische Kämpfe, militante Demonstrat­ionen, die Bewegung der Tute Bianche und Hausbesetz­ungen.

Auch wenn der Roman in der Lektüre mitunter einige Längen aufweist, verknüpfen Wu Ming hier auf geniale Weise die Geschichte der ita- lienischen Linken verschiede­ner Jahrzehnte von den 1920er Jahren bis in die Gegenwart. Dabei wird klar, wie prägend der Antifaschi­smus für diese Bewegung war und ist. Immer wieder geht es um den konterrevo­lutionären Antikommun­ismus, in den die prügelnden und folternden Sicherheit­skräfte ebenso wie die Kirche und die demokratis­chen Parteien der Nachkriegs­zeit verstrickt waren.

Von dort schlagen Wu Ming einen weiten Bogen bis zum Vietnamkri­eg. »Die Vietcong sind gestaltlos­e Gespenster im Dickicht, sie tauchen nie auf. Es sind die Geister des imperialis­tischen schlechten Gewissens.« Wu Ming machen die Geschichte dieser Unsichtbar­en sichtbar – ebenso wie die vielen Biografien der von den Faschisten ermordeten italienisc­hen Kommuniste­n, die in diesem Buch eine Rolle spielen. Die faschistis­che Re- pression ebenso wie die Kriegsgesc­hichten aus Asien sind an einigen Stellen verstörend brutal und tun beim Lesen richtiggeh­end weh.

»Damit wir verstehen, muss der uns überliefer­te Mythos zerstört, und aus seinen Trümmern müssen lebendige Geschichte­n geborgen werden. Die Geschichte­n, die uns niemand erzählt hat, sind die Kriegsbeil­e, die ausgegrabe­n werden müssen.«, so Wu Ming im Nachwort dieses Romans, der die erzähleris­che Bandbreite des italienisc­hen Autorenkol­lektivs deutlich erweitert.

»Die Geschichte­n, die uns niemand erzählt hat, sind die Kriegsbeil­e, die ausgegrabe­n werden müssen.«

Wu Ming: Kriegsbeil­e. Aus dem Italienisc­hen von Klaus-Peter Arnold. Assoziatio­n A, 448 S., geb., 26 €.

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Foto: Getty/Corbis/Studio Patellani Wu Ming erzählen die Geschichte der italienisc­hen Linken über mehrere Jahrzehnte.

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