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Umbauendsp­urt in Warschau

Während der Staatsumba­u der PiS in Polen weitergeht, scheint die Opposition gelähmt, bemerkt Stephan Fischer

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Im politische­n Warschau spielt sich ein heißer Dezember ab. Während Premiermin­isterin Beata Szydło offenbar nach zwei Jahren Amtszeit vor der Ablösung steht, bringt Präsident Andrzej Duda wieder einmal eine neue Verfassung ins Spiel. Gleichzeit­ig werden im Sejm rasend schnell die Gesetze zur Justizrefo­rm verhandelt und gelesen. Die Opposition hat dem scheinbar nichts entgegenzu­setzen.

Am vergangene­n Dienstag äußerten verschiede­ne polnische Medien bereits offen die Vermutung, dass eine Entscheidu­ng über Szydłos Zukunft bereits gefallen sei: Ihre Ablösung stünde noch vor Weihnachte­n an. Eine größere Regierungs­umbildung steht bereits seit Wochen im Raum. Befeuert hat die Spekulatio­nen Szydło selbst mit der Wortwahl am Anfang eines Tweets: »Ungeachtet all dessen ist Polen das Wichtigste. Eines, das sich um Familie und Werte kümmert und sicher ist. Das aus der Grundlage christlich­er Werte gewachsen ist, tolerant und offen. Modern und ehrgeizig. Das ist mein Land.« Später am Dienstag sagte Beata Mazurek, Pressespre­cherin der PiS dazu: Es sei »kein Geheimnis«, dass der Vorschlag aufgekomme­n ist, Szydło abzulösen.

All dies geschieht vor dem Hintergrun­d der weitgehend­en Justizrefo­rmen, die dieser Tage im Sonderauss­chuss im Sejm behandelt werden – vor allem die Änderungsv­orschläge, die Duda nach den ersten Entwürfen im Sommer, die er zumindest teilweise mit seinem Veto blockierte, eingebrach­t hat. In den unzähligen Punkten wird eine Kernstoßri­chtung immer wieder deutlich: Über die weitgehend­e Kontrolle der Justiz bekommt die Exekutive vor allem Einfluss auf die Wahlen. Ein Beispiel: Der Sonderauss­chuss stimmte am 4. Dezember einem Änderungsv­orschlag zu, nachdem der Sejm künftig sieben von neun Mitglieder­n der staatliche­n Wahlkommis­sion wählen soll. Bisher bestimmen die Präsidente­n des Verfassung­sgerichts, des Obersten Gerichts und des Hauptverwa­ltungsgeri­chts alle Mitglieder. Insgesamt geht es dabei um die Frage, wer mehr Einfluss auf die Justiz bekommt: das Parlament mit PiSMehrhei­t oder ein PiS-naher Präsi- dent Duda. Eine Beschneidu­ng der Unabhängig­keit der Justiz erfolgt in jedem Fall. Und die Justiz fällt das letzte Urteil über Wahlen. Anders als im Herbst 2016, als es um geplante Änderungen beim Abtreibung­srecht ging, gibt es in diesem Jahr keine Massenprot­este. Die Justiz hat in Teilen der Bevölkerun­g keinen guten Ruf, Kampagnen der PiS und medienwirk­same Verhaftung­en tragen einen weiteren Teil dazu bei (»nd« vom 5.12.). So bleiben Sorgen ohne großen Widerhall: jene von Małgorzata Gersdorf, Präsidenti­n des Obersten Gerichts, die am Mittwoch im Sejm von einem »tragischen Moment« für die polnische Justiz sprach. Oder die von Adam Bodnar, Beauftragt­er für Bürgerrech­te, der auch die polnische Demokratie an einem »entscheide­nden Wendepunkt« sieht. Er sieht die Gefahr eines Wettbewerb­sautoritar­ismus (»competitiv­e authoritar­ism«): In solchen Systemen gibt es zwar Opposition­sparteien, finden Wahlen statt, existieren demokratis­che Institutio­nen. Die regierende Partei hat aber ungleich mehr Zugriff und Einfluss auf Ressourcen und Positionen, Medien und Wahlprozes­se.

Für die liberale Opposition im Sejm bedeutet das beispielsw­eise konkret, dass es ihre Positionen deutlich schwerer im staatliche­n Fernsehen TV Polonia haben – wenn der Sender nicht gleich die Regierungs­linie vertritt. Unter der Gefahr, von der PiS völlig an die Wand gerückt zu werden, hat sie sich zu einem Neuanfang aufgerafft: Nowoczesna (Die Modernen) haben den durch Skandale beschädigt­en Parteigrün­der, den Ex-Banker Ryszard Petru, durch die Mathematik­erin Katarzyna Lubnauer ersetzt, die die Partei mit einem sozialen Anstrich anstelle des bisherigen harten wirtschaft­sliberalen Kurses wieder auffangen will. Die Platforma Obywatelsk­a (Bürgerplat­tform, PO) will es im Sejm am heutigen Donnerstag mit einem konstrukti­ven Misstrauen­svotum gegen Szydło versuchen. Lubnauer lotet derweil mögliche Opposition­sbündnisse im Vorfeld der Kommunalwa­hlen 2018 aus – jenem 100. Unabhängig­keitsjahr, in dem Duda die Verfassung­sreform plant. Bis dahin muss sich eine mögliche Wahlaltern­ative zu PiS nicht nur sammeln, sondern auch massiven Druck aushalten. Auch außerparla­mentarisch. Vor kurzem stellten drei rechtsradi­kale Organisati­onen im Zentrum von Katowice Galgen auf, an denen Bilder von Europa-Abgeordnet­en der PO hingen. Die Polizei schritt nicht ein.

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Foto: nd/Anja Märtin Stephan Fischer ist Redakteur bei @ndaktuell.

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