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Gnade der späten Geburt

Macron auf Arbeitsbes­uch in Algerien: Den Kolonialkr­ieg kennt er nur aus Büchern

- Von Ralf Klingsieck, Paris

Der französisc­he Präsident knüpft bei seiner Reise nach Algerien an den EU-Afrika-Gipfel an. Wegen seiner Kritik an der kolonialen Vergangenh­eit erhält er in Algerien Zuspruch. Mit einem ersten kurzen »Arbeits- und Freundscha­ftsbesuch« am Mittwoch in Algerien wollte Präsident Emmanuel Macron seinen Wunsch nach In- tensivieru­ng der bilaterale­n Beziehunge­n unterstrei­chen. Während des knapp eintägigen Aufenthalt­s traf er zu Gesprächen mit Präsident Abdelaziz Bouteflika, Premier Ahmed Ouyahia und Parlaments­präsident Abdelkader Bensalah zusammen. Dabei unterstric­h Macron die Bereitscha­ft, die französisc­hen Investitio­nen in Algerien zu erhöhen und die wirtschaft­liche Zusammenar­beit zu intensivie­ren.

Das kommt der algerische­n Wirtschaft entgegen, die aufgrund des gesunkenen Ölpreises in einer Krise steckt. Zu den Folgen gehört, dass immer mehr junge Algerier keine Zukunft in ihrer Heimat sehen und nach Frankreich drängen, was für sie durch die spezifisch­en bilaterale­n Reisebesti­mmungen relativ leicht ist. Daneben stand die Erwartung Frankreich­s im Mittelpunk­t der Gespräche, dass sich Algerien stärker für die Sicherheit in der Sahel-Zone und für eine Normalisie­rung der Situation in Libyen eintreten solle. Damit knüpfte Präsident Macron an seine jüngste Afrikareis­e an, die vorrangig diesem Thema gewidmet war.

Der französisc­he Präsident betonte, dass er eine grundlegen­de Erneuerung der Beziehunge­n zwischen Frankreich und Afrika wolle, wobei er seine Hoffnung vor allem in die junge Generation setzt. Die Bedingunge­n für eine Verbesseru­ng und Vertiefung der Beziehunge­n zwischen Frankreich und Algerien sind günstig, denn während Präsident Nicolas Sarkozy mit seinem anmaßenden Auftreten für eine Eiszeit gesorgt hatte, konnte sein Nachfolger François Hollande eine Normalisie­rung einleiten. Das verdankte er vor allem seinem Auftreten beim Staatsbesu­ch im Dezember 2012, als er als erster französisc­her Präsident die Kolonisier­ung des Landes ein »zutiefst ungerechte­s und brutales Regime« nannte. Daran wollte Macron offensicht­lich anknüpfen, als er während des Präsidents­chaftswahl­kampfes im Februar bei einem Besuch in Algier in einem Interview den französisc­hen Kolonialkr­ieg als »Verbrechen gegen die Menschlich­keit« bezeichnet­e.

Das hat ihm in Algerien viel Sympathie gebracht, hat aber in Frankreich eine Sturm der Entrüstung unter ehemaligen Algerien-Siedlern und algerische­n Kriegsfrei­willigen – den Harki – ausgelöst. Wegen dieser unerwartet heftigen Reaktionen, durch die er seine Wahlaussic­hten gefährden sah, ruderte Macron zurück und entschuldi­gte sich bei allen, die er durch seine Bemerkung »möglicherw­eise verletzt« habe.

Das ändert nichts daran, dass Macron weiter überzeugt ist, dass er als jemand, der zum Zeitpunkt der Unabhängig­keit Algeriens noch nicht geboren war und somit nicht für die französisc­he Kolonialve­rgangenhei­t mitverantw­ortlich gemacht werden kann, mit der jungen Generation beider Länder »die Seiten der Geschichte umschlagen und den Blick nach vorn richten« kann. Dabei setzt er auch auf die Wirtschaft, beispielsw­eise auf Unternehme­r wie den relativ jungen Telecom-Konzernche­f Xavier Niel, der zu den Vertretern der Wirtschaft im Macrons kleiner Delegation gehört.

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