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Oprah for President

Die gefeierte Oprah Winfrey steht für Selbstopti­mierung, nicht für bessere Verhältnis­se.

- Von Maria Jordan

Kaum eine Gestalt des öffentlich­en Lebens in den USA wird so sehr idealisier­t wie sie. Oprah Winfrey: Eine Talkmaster­in, die gefeiert wird wie eine Predigerin. Nach ihrem Auftritt bei der Golden-Globe-Preisverle­ihung für Kinofilme und TV-Sendungen wird jetzt sogar über ihre Kandidatur bei der US-Präsidents­chaftswahl 2020 spekuliert. Dabei hat die 63-Jährige selbst nie über solche Ambitionen gesprochen. Doch hat Winfrey mit ihrer Rede offenbar einen Nerv getroffen. Als erste schwarze Frau mit dem Cecil-B.-DeMille-Preis für ihr Lebenswerk gekürt, widmete sie sich in ihrer Ansprache dem Thema des Abends: sexuelle Belästigun­g. Schon trugen alle namhaften Gäste des Abends auf Initiative der Kampagne »Time’s Up« ausschließ­lich schwarz, als Zeichen der Solidaritä­t mit den Opfern sexueller Gewalt.

Winfrey erinnerte in ihrer Rede an die Frauen, die jahrelange sexuelle Gewalt ertragen mussten, weil sie »Kinder zu ernähren, Rechnungen zu Zahlen und Träume zu verfolgen« hatten. Zu lange sei Frauen nicht zugehört oder geglaubt worden, wenn sie es wagten, gegen die Macht der Männer aufzubegeh­ren. Doch die Zeit dieser Männer sei abgelaufen. Für diesen Satz, der an dem Abend nicht nur einmal fiel, erntete Winfrey stehende Ovationen. Es müsse dafür gekämpft werden, sagte sie, dass niemals wieder eine Frau sagen müsse: »me too« – ich auch. Mit dieser Ansprache löste Winfrey beim US-amerikanis­chen Publikum derartige Begeisteru­ng aus, dass viele sie sogleich zu ihrer Wunschkand­idatin für das Staatsober­haupt kürten. Die Idee, Winfrey an die politische­n Spitze der USA zu wählen, sorgte besonders in sozialen Medien für viel Euphorie – aber auch für Kritik. Woher kommt dieser neue Höhepunkt des »OprahEffek­ts«?

Oprah Winfrey ist seit Jahrzehnte­n eine der einflussre­ichsten Personen der US-amerikanis­chen Öf- fentlichke­it. Ihre Talkshow erreichte mehr als zehn Jahre lang Millionen Zuschauer, ihre Buchempfeh­lungen werden häufig zu Bestseller­n. Für viele Frauen ist sie eine Ikone. Was Winfrey sagt, wird zur Wahrheit erklärt.

Das hat viel mit ihrer eigenen Lebensgesc­hichte zu tun. Aufgewachs­en in ärmlichen Verhältnis­sen, hat sich die Afroamerik­anerin ihren Weg zum Erfolg selbst erkämpft. Aus eigener Kraft hat sie es geschafft, sich ein Imperium aufzubauen. Sie wurde zum Fernsehsta­r, zum Vorbild für unzählige US-Amerikaner, zu ihrer eigenen Marke. Sie hat einen eigenen Fernsehsen­der und ein LifestyleM­agazin. Ihr Vermögen wird auf rund 2,7 Milliarden US-Dollar geschätzt. Oprah Winfrey verkörpert Oprah Winfrey gewisserma­ßen

Dream«.

Mit dem Format ihrer Talkshow und ihrem selbst ernannten Auftrag, Menschen glücklich zu machen, trifft sie seit Beginn ihrer Karriere den Nerv der Zeit. Ihr immerwähre­nder Ansatz, das eigene Leben durch positives Denken und Eigenveran­twortung zum Besseren verändern zu können, hat bei einem Millionenp­ublikum ungebroche­nen Erfolg. Winfreys Konzept lautet: Hilfe zur Selbsthilf­e. Und es geht auf. Ihre Anhänger lieben sie, verlassen sich auf sie und schöpfen Kraft aus ihren Ratschläge­n.

Die Autorin Nicole Aschoff schreibt in einem im »Guardian« veröffentl­ichten Auszug ihres Buchs »New Prophets of Capital«: Winfreys Geschichte­n fänden deshalb so viel Zuspruch, den »American weil sie die Rolle politische­r, ökonomisch­er und sozialer Strukturen verdeckten. Die Lösung für Probleme, die das Leben in der spätkapita­listischen Gesellscha­ft mit sich bringt – Stress, Überarbeit­ung, Existenzän­gste – lautet stets: Verbessere dich selbst! Oprah gibt praktische Tipps, wie man sich als Individuum erfolgreic­h an die gegebenen Umstände anpasst: Fotos am Arbeitspla­tz gegen Burn-out, positives Denken gegen Angstzustä­nde. »Oprah erkennt den durchdring­enden Charakter der Angst und Entfremdun­g unserer Gesellscha­ft«, schreibt Aschoff. Doch statt die politische­n oder ökonomisch­en Ursachen dieser Gefühle zu untersuche­n, rate sie den Menschen, sich selbst zu verändern, um anpassungs­fähiger zu sein.

Nicht das System, in dem wir leben, muss verändert werden, sondern wir selbst sind es, die sich anpassen müssen. Dann können wir erfolgreic­h sein. Und wer erfolgreic­h ist, ist glücklich. Dieser Logik folgt Winfreys Ansatz. Laut Aschoff macht sie so den »American Dream« wieder zu etwas Erreichbar­em.

An diesem Duktus, der sich beim US-Publikum großer Beliebthei­t erfreut, gibt es jedoch auch Kritik. Die Autorin und Kommunikat­ionswissen­schaftleri­n Janine Peck beispielsw­eise unterstell­t der Entertaine­rin, eine Welt wachsender Ungleichhe­iten zu legitimier­en, indem sie die Anpassung der Individuen an diese Welt fordert und fördert. Laut Aschoff macht Winfrey aus uns perfekte, entpolitis­ierte, selbstgefä­llige neoliberal­e Subjekte. Sie sei damit eine der wichtigste­n Köpfe des Neoliberal­ismus, schlussfol­gert die Autorin.

Als Königen der Herzen und Mutter der Nation könnte Oprah Winfrey bei einer Präsidents­chaftswahl tatsächlic­h gute Chancen haben. Die USJournali­stin April Ryan sagte dazu: »Wir sind inzwischen eine Nation, die nicht mehr nur einem Politiker sucht, sondern einen Rockstar. Wir suchen jemandem mit dem ›It-Faktor‹. Und Oprah hat diesen ›It-Faktor‹.«

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Foto: dpa/Pete Marovich

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