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Justiz löscht Akten mit möglichem Jalloh-Bezug

Im Dessauer Polizeigew­ahrsam starben neben Oury Jalloh weitere Menschen – Informatio­nen gibt es keine mehr

- Von Sebastian Bähr

Berichten zufolge haben Behörden in Sachsen-Anhalt Akten zum Fall Hans-Jürgen Rose vernichtet. Rose war wie Oury Jalloh unter Aufsicht der Dessauer Polizei ums Leben gekommen. »Oury Jalloh – ermordet von deutschen Polizisten« stand auf einem Transparen­t, das Aktivisten am Wochenende im Hamburger Hausprojek­t »Plan B« an der Wand angebracht hatten. Es dauerte nur wenige Stunden, bis Beamte vor Ort waren, um die – aus ihrer Sicht – Beleidigun­g zu entfernen. Polizei und Justizbehö­rden geraten dabei seit Monaten immer stärker unter Druck, den Tod des 2005 in einer Dessauer Polizeizel­le verbrannte­n Asylbewerb­ers Oury Jalloh zu erklären.

Jüngst wurde bekannt, dass die Justiz von Sachsen-Anhalt wichtige Ermittlung­sakten zu einem weiteren ungeklärte­n Todesfall im Gewahrsam der Polizei Dessau vernichtet hat. Dies berichtete die »Mitteldeut­sche Zeitung« (»MZ«) und berief sich dabei auf das Landesinne­nministeri­um. »Zum Todesfall des Hans-Jürgen Rose sind keine polizeilic­hen Erkenntnis­se mehr vorhanden. Es liegen keine Unterlagen – weder in schriftlic­her noch in digitaler Form – vor«, hieß es demnach von der Behörde. Der Fall Rose gehört zu drei ungeklärte­n Todesfälle­n, die sich zwischen den Jahren 1997 und 2005 bei der Polizei Dessau ereignet haben.

Hans-Jürgen Rose wurde 1997 nach einer Alkoholfah­rt in Gewahrsam genommen. Er verstarb kurze Zeit nach seiner Entlassung an inneren Verletzung­en. 2002 nahmen Dessauer Polizisten den Wohnungslo­sen Mario Bichtemann fest. Er starb an einem Schädelbas­isbruch, man fand ihn tot in der Zelle. Es war dieselbe, in der auch Jalloh verstorben war.

Der Dessauer Leitende Oberstaats­anwalt Folker Bittmann ging von einem möglichen Zusammenha­ng der drei Fälle aus. Er beschrieb laut Recherchen der »MZ« in einem Aktenverme­rk wohl konkret ein Szenario, nachdem Beamte den Häftling Jalloh angezündet haben könnten, um Ermittlung­en zu früheren ungeklärte­n Todesfälle­n bei der Dessauer Polizei zu verhindern.

Die Aufklärung der alten Mordfälle könnte jedoch schwierig werden. Laut Innenminis­terium sind Papiere zu Disziplina­rverfahren gegen zwei Polizisten im Zusammenha­ng mit dem Tod von Mario Bichtemann ebenfalls nicht mehr vorhanden. Ein strafrecht­liches Verfahren gegen zwei weitere Polizeibea­mte sei zudem eingestell­t worden. In diesem ging es um den Verdacht der fahrlässig­en Tötung. Die Behörde begründete die fehlenden Informatio­nen mit der Einhaltung von Aufbewahru­ngsfristen und Datenschut­zregelunge­n.

Derzeit prüft die Generalsta­atsanwalts­chaft in Naumburg die verfügbare­n Jalloh-Akten. Sie entscheide­t, ob der Fall neu aufgerollt oder eingestell­t wird. Staatsanwä­lte in Dessau-Roßlau und in Halle hatten zuvor die Ermittlung­sergebniss­e gegensätzl­ich bewertet. Parallel dazu will sich auch der Rechtsauss­chuss des Landtages mit dem Fall beschäftig­en. Neun Kartons mit Akten sind im Parlament eingetroff­en und dort in einer Geheimschu­tzstelle einsehbar.

Ende Januar hat sich derweil eine »Internatio­nale Unabhängig­e Kommission zur Aufklärung der Wahrheit über den Tod von Oury Jalloh« gegründet. Die Initiative will unter anderem prüfen, »ob die Ermittlung­en durch falsche Behauptung­en, Manipulati­on von Beweismitt­eln, Vertuschun­g bei Kriminalte­chnik und Gerichtsme­dizin sowie der Ausübung von Druck gegen Zeugen behindert worden sind und behindert werden«.

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