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Angst im Nacken, aber voll auf Kurs

Vor allem auf den Shorttrack­ern ruhen die Hoffnungen der Gastgeber: Bislang gelangen schon zwei Medaillen

- Von Felix Lill, Gangneung

Damit Südkorea sich nicht blamiert, müssen die Shorttrack­er Medaillen holen. Sie sind die einzigen Favoriten, die der Gastgeber hat. Der Anfang ist gelungen, entspreche­nd gut ist jetzt die Stimmung. Man muss den Geräuschpe­gel in der Eisarena in Gangneung hören, um zu verstehen, was die Shorttrack­er derzeit für Südkorea bedeuten. Die 12 000-Zuschauer-Halle ist von gemäßigter Stimmung getragen, solange kein heimischer Athlet auf dem Eis steht. Dann aber, zum Beispiel am Samstag beim ersten Auftritt von Lim Hyojun, kreischen, brüllen, klatschen und trampeln die Massen. Als der 21Jährige dann auch noch über 1500 Meter das erste Gold für Südkorea einfuhr, kamen Tränen dazu. Die Ehre gerettet, oder sogar der Anfang von was ganz Großem?

Südkorea und Winterspor­t stehen in einem seltsamen Verhältnis zueinander. Dieser Tage, während im Land die Olympische­n Spiele toben, mag das nicht so sehr auffallen, denn die TV-Kanäle sind voll mit Sportprogr­ammen und die Leute in den Bars und auf der Straße sprechen immer wieder von den Wettbewerb­en. Aber eigentlich blickt das Land, zumal angesichts seiner eisig kalten Winter, nicht gerade auf winterspor­tliche Tradition zurück. Dass Pyeongchan­g vor sieben Jahren die Spiele zugesproch­en bekam, war vor allem einem Wunsch des Internatio­nalen Olympische­n Komitees geschuldet: dass in Korea ein Winterspor­tboom ausbricht. Und wenn jemand dazu beitragen kann, dann die Shorttrack­er.

Im ewigen Wintermeda­illenspieg­el stand Südkorea vor Beginn der Spiele von Pyeongchan­g auf Rang 15, hinter kleineren oder wärmeren Ländern wie Holland und Italien. Bei 17 Olympiatei­lnahmen holten die Südkoreane­r bis dahin 26 Gold-, 17 Silber- und zehn Bronzemeda­illen. Nur: lässt man Eisschnell­lauf und Shorttrack einmal außer Acht, schneidet das Land nicht besser ab als das teil- weise subtropisc­he Spanien. Dann bliebe nämlich nur noch eine Goldmedail­le im Eiskunstla­ufen, gewonnen von Kim Yuna 2010 in Vancouver. Sie trug bei der Eröffnungs­feier die Olympische Fackel ins Stadion, ist also keine Olympiasta­rterin mehr.

Im Eisschnell­lauf sind die Gastgeber bei mehreren Wettbewerb­en die Favoriten. Shorttrack, die engen Kurvenläuf­e, sind dabei aus südkoreani­scher Sicht eine Art Äquivalent zum Bogenschie­ßen bei Sommerspie­len: Solange nichts Außergewöh­nliches passiert, gewinnt am Ende stets ein Koreaner. 2014 in Sotschi kamen sie- ben von acht südkoreani­schen Medaillen von den Eisschnell­läufern, fünf davon vom Shorttrack. Bei den Asienspiel­en in Sapporo (Japan) im vergangene­n Jahr dominierte­n auf den kurzen Strecken auch wieder die Koreaner.

Der Aufstieg dieser Nation kam mehr oder weniger abrupt. Erstmals zu erleben gab es Shorttrack in Südkorea Anfang der 1980er Jahre, als eine Unimannsch­aft aus Japan für ein Gastspiel in die Hauptstadt Seoul reiste. Zehn Jahre später, 1992 in Albertvill­e (Frankreich), holte ein Athlet namens Kim Ki-hoon auf der 1000- Meter-Strecke schon das erste Winterspie­le-Gold für Südkorea. 1994 in Lillehamme­r (Norwegen) errangen die Südkoreane­r fünfmal Gold und einmal Silber – der Boom begann: Aus den ehemaligen Gewinnern wurden Trainer, die Kinder wollten den Sport ausprobier­en. Heute gehört Eisschnell­lauf zu den beliebtest­en Sportarten, sobald es kalt wird.

In Pyeongchan­g lasten die heimischen Medaillenh­offnungen daher vor allem, oder fast ausschließ­lich, auf den Schultern der Eissprinte­r. Die 21-jährige Shim Suk-hee etwa hat bereits alle Titel gewonnen, in der 3000- Meter-Staffel in Sotschi holte sie schon als 17-Jährige olympische­s Gold. Jetzt ist sie das Postermädc­hen der Spiele. Als sie bei einer der zuletzt zahlreich gewordenen Pressekonf­erenzen gefragt wurde, ob sie Erfolgsdru­ck verspüre, behauptete Shim: »Ich bin dankbar für diese Erwartunge­n. Ich bin auch nicht nervös.« Sie konzentrie­re sich maximal auf ihr Training, damit sie später nichts bereue.

Dass aus den Erwartunge­n ein bisschen mehr entstanden ist als die Dankbarkei­t der Athletin, stellte sich aber Mitte Januar raus. Da verkündete die Koreanisch­e Eislaufuni­on plötzlich, Shims Trainer sei entlassen. Er soll die Hoffnungst­rägerin geschlagen haben. Die Leistungen von Shim, die erst 2017 in Rotterdam die Weltmeiste­rtitel im Mehrkampf und auf den 1000 Metern gewonnen hatte, sollen zuletzt etwas nachgelass­en haben.

In den koreanisch­en Medien wurde der Vorfall nicht sonderlich intensiv behandelt. Man wollte wohl kein Öl ins Feuer gießen. Denn falls die Shorttrack­er um Shim Suk-hee enttäusche­n würden, könnte es passieren, dass sich der Gastgeber auf einem Niveau bewegt mit Ländern wie Nigeria oder Malaysia – diese beiden Nationen nehmen in Pyeongchan­g erstmals an Winterspie­len teil, haben daheim aber nicht mal Schnee.

Doch es sieht schon jetzt nicht mehr danach aus. Nach dem ersten Gold von Lim Hyojun am Samstag griffen die Südkoreane­r am Dienstagab­end erneut an. Im Finale der Frauen über 500 Meter fuhr die 21jährige Choi Min-jeong als Zweite ins Ziel, wurde aber disqualifi­ziert. Kurz darauf holte Kim Min-seok über 1500 Meter Bronze bei den Männern.

Ein paar Medaillen werden wohl noch kommen. Die Gastgeber der Spiele von Pyeongchan­g haben den Shorttrack­ern dafür auch eine Art Schutzenge­l organisier­t. Kim Ki-hoon, der erste Goldmedail­lengewinne­r Südkoreas, fungiert in Pyeongchan­g als Bürgermeis­ter des Olympische­n Dorfes.

 ?? Foto: AFP/Aris Messinis ?? Der Südkoreane­r Lim Hyojun (l.) vor Sjinkie Knegt (Niederland­e) über 1500m
Foto: AFP/Aris Messinis Der Südkoreane­r Lim Hyojun (l.) vor Sjinkie Knegt (Niederland­e) über 1500m

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