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Spahns Blick auf Hartz IV

Künftiger Minister steht vor großen Aufgaben in der Gesundheit­spolitik. Ihm fehlt die soziale Ader

- Von Roland Bunzenthal

Jens Spahn hat einmal mehr mit provokativ­en Äußerungen auf sich aufmerksam gemacht – dieses Mal zum Thema Armut. In der Opposition wird nun seine Eignung als Minister infrage gestellt.

Wenige Tage vor seinem Amtsantrit­t als neuer Gesundheit­sminister hat der CDU-Politiker Jens Spahn viel Kritik auf sich gezogen. Anlass sind seine Äußerungen am Wochenende über Hartz-IV-Bezieher. Spahn hatte gegenüber der Funke Mediengrup­pe behauptet, die Tafeln »helfen Menschen, die auf jeden Euro achten müssen. Aber niemand müsste in Deutschlan­d hungern, wenn es die Tafeln nicht gäbe«. Deutschlan­d habe »eines der besten Sozialsyst­eme der Welt«.

Die Grünen-Chefin Annalena Baerbock warf dem CDU-Mann vor, sich über Arme zu erheben und als künftiger Gesundheit­sminister das Thema zu verfehlen. Ähnlich äußerte sich der Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der Linksfrakt­ion, Jan Korte. »Wer in diesen Zeiten derart kaltherzig und abgehoben über die Armen und Schwachen in dieser Gesellscha­ft redet, sollte von sich aus auf das Ministeram­t verzichten«, erklärte Korte. Selbstkrit­ik und Einsicht seien bei Spahn aber nicht zu erwarten. Deshalb solle ihn Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nicht zum Minister machen.

DGB-Vorstandsm­itglied Annelie Buntenbach sah bei Spahn eine »große Ahnungslos­igkeit«. Davon zeuge seine Aussage, die Hartz-IVRegelsät­ze würden »mit großem Aufwand genau bemessen«, erklärte Buntenbach. Tatsächlic­h seien die Regelsätze politisch motiviert kleingerec­hnet worden. Ausgaben für einen Weihnachts­baum oder Malstifte für Schulkinde­r seien etwa bei der Herleitung der Sätze gestrichen worden.

Dass er sozialen Problemen mit Ignoranz begegnet, wird sich wohl auch in Spahns Gesundheit­spolitik bemerkbar machen. Er ist in vielen Fragen aber auch an den schwarzrot­en Koalitions­vertrag gebunden. Zudem stehen in keinem anderen Ressort die Lobbyisten so eng beieinande­r wie im Gesundheit­sministeri­um. Es geht um die Verteilung von 344 Milliarden Euro an Krankheits­ausgaben im Gesundheit­swesen – gut sieben Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­es.

Das Augenmerk der Interessen­vertreter richtet sich vor allem auf die Einnahmen und Ausgaben der gesetzlich­en Krankenver­sicherung (GKV). Zu den Lobbyisten zählte früher auch Spahn selbst: Nach Angaben des Info-Dienstes »Versicheru­ngswirtsch­aft Heute« hat er 2006 mit befreundet­en Lobbyisten die Agentur »Politas« gegründet, die Kunden aus dem Medizin- und Pharmabere­ich beraten hatte.

Spahn muss sich nun eigentlich um große Probleme kümmern. Es geht um den Pflegenots­tand, Ärztemange­l auf dem Land und Krankenhau­s-Missstände. Von der SPDForderu­ng nach einer Bürgervers­icherung ist nur die Annäherung der Honorarord­nung für gesetzlich und privat Versichert­e übrig geblieben. Für die Krankenkas­sen bringt der Koalitions­vertrag zunächst eine Angleichun­g der Beitragssä­tze von Arbeitern und Angestellt­en sowie den Unternehme­rn. Dadurch werden Unternehme­r um 7,7 Milliarden Euro belastet und die Versichert­en um den gleichen Betrag entlastet. Allerdings ist es möglich, dass die beitragzah­lenden Unternehme­r sich an den Reserven der GKV in Höhe von 28 Milliarden Euro schadlos halten wollen, indem sie auf eine Senkung des allgemeine­n Beitragssa­tzes drängen.

Wegen der konjunktur­bedingten Mehreinnah­men der GKV werden auch andere Lobbyisten aktiv. So geht es zunächst um die Verteilung des Überschuss­es vom vergangene­n Jahr in Höhe von 3,1 Milliarden Euro. Mehr und besser bezahltes Personal in Kliniken und Altenheime­n, Investitio­nen in die Digitalisi­erung des Gesundheit­swesens, zusätzlich­e Anreize für Land- und Hausärzte oder eben Beitragsse­nkungen sind mögliche Alternativ­en.

Bei näherer Betrachtun­g der einzelnen Ausgabenen­twicklung im vergangene­n Jahr wird deutlich, wo die Risiken der Zukunft liegen: In einer gegenüber der ursprüngli­chen Planung günstigere­n Entwicklun­g der Finanzen. So stiegen die Leistungsa­usgaben je Versichert­en nur um 3,4 Prozent – geplant waren 3,9 Prozent. »Dies darf aber nicht darüber hinwegtäus­chen«, so der Verband der Ersatzkass­en, »dass die Ausgaben der GKV dennoch stetig und deutlich zunehmen. Die Kostenentw­icklung darf deshalb auch in dieser Legislatur­periode nicht außer Acht gelassen werden.«

Das positive Finanzerge­bnis – ein Überschuss dieser Kassenspar­te von 1,1 Milliarden Euro – dürfe auch nicht darüber hinwegtäus­chen, dass es durch »Fehlsteuer­ungen im morbidität­sorientier­ten Risikostru­kturausgle­ich (Morbi-RSA) erhebliche Wettbewerb­sverzerrun­gen zwischen den Krankenkas­sen gibt«. Gemeint ist der Ausgleichs­topf zwischen Kassen mit hoher und mit niedriger Risikostru­ktur der Versichert­en. Empfänger sind die AOK, Zahler die anderen drei Sparten. Spahn fällt als Minister die undankbare Rolle des Schiedsric­hters zu.

Bei den einzelnen Posten legten die Arzthonora­re der Ersatzkass­en am kräftigste­n (4,5 Prozent) zu. Die Kliniken verteuerte­n sich um knapp drei Prozent. Die Arzneimitt­elkosten liegen dazwischen, wobei die Kassen langfristi­g über große Preissteig­erungen bei sogenannte­n Originalpr­äparaten klagen.

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