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Offener Streit um die Ostseepipe­line

Nord Stream 2 entzweit Politik und Wirtschaft zwischen den EU-Staaten – und nun auch in Deutschlan­d

- Von Hermannus Pfeiffer

Europa setzt auf Erdgas: Es verbrennt sauberer als Erdöl, ist billiger und benötigt keine rußenden Schiffe, die es aus dem Nahen Osten nach Europa transporti­eren. Doch es gibt Zwist.

Gestritten wird mittlerwei­le auf offener Bühne. »Nord Stream 2 schadet Europa«, schrieben Reinhard Bütikofer (Grüne), Ex-Bundesumwe­ltminister Norbert Röttgen (CDU) sowie weitere FDP- und CSU-Abgeordnet­e aus Europaparl­ament und Bundestag in einem in der »Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung« veröffentl­ichten Brief. Kürzlich konterte eine »kleinere« Koalition von Politikern aus SPD und Union in einem offenen Brief mit der Überschrif­t: »Nord Stream 2 stärkt Europa.«

Die Pipelinege­gner führen als Argument die vermeintli­chen nationalen Interessen Polens, der baltischen Staaten und der Ukraine an. Diese Länder sähen ihre (Energiever­sorgungs-)Sicherheit direkt oder indirekt »bedroht«, heißt es im Bütikofer-Papier. Der Bau einer zweiten Leitung durch die Ostsee spalte die EU. Deutschlan­d müsse Solidaritä­t mit den östlichen Nachbarn zeigen. Solche Solidaritä­tsbekundun­gen stoßen hingegen auf Wirtschaft­sinteresse­n: Deutschlan­ds Versorgung hängt an den russischen Pipelines – durch sie fließen laut dem Energiever­band BVEG 40 Prozent des hierzuland­e verbraucht­en Erdgases. Bei Erdöl und Steinkohle ist der russische Anteil ähnlich hoch.

Bis zur Fertigstel­lung der ersten Nord-Stream-Pipeline 2011 strömte das Gas aus Sibirien vornehmlic­h durch die über 4000 Kilometer lange Jamal-Leitung über Polen bis nach Deutschlan­d. Seit 1963 fließt sibirische­s Öl durch die Leitung Freundscha­ft – ebenfalls über Polen nach Schwedt. Auch über die Ukraine liefert Russland in die EU.

Politisch haben die Regierunge­n in Warschau und Kiew also bislang den Daumen drauf, wenn es um die russischen Exportschl­ager geht. Obendrein sind die Leitungen ein Devisenbri­nger: Allein die Ukraine soll 2018 für die Durchleitu­ng russischen Erdgases zwei Milliarden Euro kassieren.

Die neuen Probleme, die Nord Stream 2 für Polen und die Ukraine mit sich brächte, sehen auch die Briefschre­iber der »kleinen« Koalition um den designiert­en Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil und Daniel Caspary (CDU). Doch sie zielen wie die EU darauf, die Gasversorg­ung zu »diversifiz­ieren« – sowohl hinsichtli­ch der Quellen wie der Transportw­ege. Je mehr Gas auf den europäisch­en Markt fließe, desto größer sei die Liquidität und das bedeute mehr Konkurrenz. »Mehr Wettbewerb führt zu sinkenden Preisen, von denen alle Verbrauche­r profitiere­n« – selbst die in der Ukraine und in Polen, verspreche­n die Autoren.

An dieser Stelle kommen die mit beiden Ländern verbandelt­en USA ins Monopoly-Spiel. Mehr oder weniger verdeckt intrigiert die Regierung von Präsident Donald Trump gegen Nord Stream 2. Allen Umweltbede­nken zum Trotz will Trump mehr Gas aus nichtkonve­ntionellen Lagerstätt­en »fracken« lassen. Seit kurzem sind die USA – jahrzehnte­lang der größte Impor-

teur weltweit – zum Exporteur von Öl und Gas geworden. Auf Frachtern wird verflüssig­tes US-Erdgas (LNG) in alle Welt verschifft. In der EU gibt es inzwischen über 30 LNG-Terminals, wobei aber Katar und Algerien die Hauptliefe­rländer sind. Eine weitere Pipeline würde auch die Geschäfte der US-Energiekon­zerne stören.

Über die Zulassung für das 55 Kilometer kurze erste (deutsche) Teilstück von Nord Stream 2, die das Bergbauamt Stralsund im Januar erteilte, freut sich zunächst Gazprom. Dem russischen Sponsor des Fußballbun­desligiste­n Schalke 04 – auch hier hatte Ex-Kanzler Gerhard Schröder (SPD) seine Finger im Spiel – gehört der Bauherr, die Nord Stream 2 AG mit Sitz im schweizeri­schen Unternehme­nssteuerpa­radies Zug. Ab 2020 will Gazprom Gas liefern, für die Durchleitu­ng kassieren und im westeuropä­ischen Endkundeng­eschäft weiter vordringen. Aus kartellrec­htlichen Gründen schieden die anderen Gesellscha­fter aus. E.on (heute Uni- per) und Wintershal­l aus Deutschlan­d, die britisch-niederländ­ische Shell, die österreich­ische OMV und die französisc­he Engie übernehmen aber je zehn Prozent der Baukosten von geplanten 9,5 Milliarden Euro.

Mittlerwei­le hat der Naturschut­zbund Deutschlan­d Klage beim Oberverwal­tungsgeric­ht Greifswald Klage eingereich­t. Die Umweltorga­nisation fürchtet, dass die Leitung erhebliche Schäden im Meer anrichten kann. Auch in Skandinavi­en wurden kritische Stimmen laut. In Dänemark verabschie­dete das Parlament ein Gesetz, das dem Außenminis­ter bei durch dänische Gewässer führenden Infrastruk­turprojekt­en ein Vetorecht einräumt, falls diese nicht den außen-, sicherheit­s- und verteidigu­ngspolitis­chen Interessen des Landes entspreche­n. Anlass der Initiative war das Nord-Stream-2-Projekt.

»Nord Stream 2 schadet Europa.« Offener Brief der Pipelinege­gner

»Nord Stream 2 stärkt Europa.« Brief der Pipelinebe­fürworter

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Foto: dpa/Jens Büttner Rohre für die Ostseepipe­line auf dem Gelände des Hafens Mukran

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