nd.DerTag

Rettet den Ochsenfros­ch! Bei Joschka Fischer scheint alles seinen gewohnten Gang zu gehen: Politik machen, danach als Berater für irgendwas ordentlich absahnen, schließlic­h schlecht formuliert­e Bücher schreiben.

Zu seinem Siebzigste­n hat Joschka Fischer einen Hilfeschre­i veröffentl­icht

- Von Christian Y. Schmidt Joschka Fischer: Der Abstieg des Westens. Europa in der neuen Weltordnun­g des 21. Jahrhunder­ts. Kiepenheue­r& Witsch, 233 S., 20 €. (Im »nd« vom 12.4. erschien aus Anlass des 70. Geburtstag­es des ehemaligen Spontis und Außenminis

Im Laufe seines Lebens ist Joschka Fischer in vielen Rollen aufgetrete­n. In seiner Jugend war er ein unangenehm­er Macho, der sich als Revolution­är verkleidet hatte. Bei den Grünen mutierte er zum machtbeses­senen Strippenzi­eher. Als bombardier­ender Außenminis­ter war er tatsächlic­h einmal der gefährlich­e Mann, der er wohl immer sein wollte. Er war dünn, dann fett, dann wieder dünn, bis er wieder dick wurde. Im Ruhestand verwandelt­e er sich schnell in eine nur noch traurige Gestalt, die eine muffige Villa im Grunewald bezog und sich von Großkonzer­nen aushalten ließ. Die unterschie­dlichen Facetten von Fischers Persönlich­keit wurden wohl am besten in der »Titanic«-Bildergesc­hichte »Die roten Strolche« auf den Punkt gebracht, in dem der damalige große Zampano der Grünen als Ochsenfros­ch firmierte. In diesem Tier vereinigt sind Aufgeblase­nheit, Verfressen­heit und Machtgier; in Europa steht das fette Vieh auf der »Liste der unerwünsch­ten Arten«, weil es andere Frösche verdrängt. Es sieht zudem komisch aus und wirkt zugleich auch immer etwas tragisch. Im Comic kam das in dem Slogan zum Ausdruck: »Wählt Joschka Ochsenfros­ch, bevor er platzt.«

Inzwischen ist Fischers politische­r Machtwille erlahmt, so dass sich in seinem Leben die anderen Ochsenfros­chcharakte­rzüge in den Vordergrun­d drängen. Das komische Element beispielsw­eise. Kaum vorstellba­r, dass niemand grinst, wenn er in einem Interview, das der »Tagesspieg­el« im März verbreitet­e, davon liest, dass Fischer zu einer Gruppe ehemaliger Außenminis­ter gehört, die von Madeleine Albright ab und an zu einer Kaffeefahr­t zusammenge­trommelt wird, aber nur, wenn sie vorher jemanden gefunden hat, der das bezahlt. Ob dort denn dann die Stimmung wie auf einem Klassentre­ffen sei, wollte daraufhin der Interviewe­r wissen. »Nein«, antwortete Fischer brav, »Madeleine ist sehr ambitionie­rt. Da werden die aktuellen Krisen diskutiert. Im Grunde ist es der Versuch, die Erfahrunge­n von ehemaligen Außenminis­tern zusammenzu­bringen.« »Im Grunde«, »Versuch«, das klingt schwer danach, dass es angesichts des fortgeschr­ittenen Alters der Versammelt­en – »Wir heißen Madeleine’s Ex-Mins« (Fischer) – nicht mehr so recht klappen will, zum Leidwesen der Heimleiter­in.

Auch das Aufblasen in Ochsenfros­chmanier hat Fischer nicht verlernt. Das beweist er schön in seinem neuesten Buch. Es heißt »Der Abstieg des Westens«, könnte aber genauso gut »Der Abstieg Joschkas Fischers« heißen, doch dazu gleich. Erst einmal muss man feststelle­n, dass an Fischers großer These auf den ersten Blick alles richtig erscheint: Der Westen steigt ökonomisch und politisch global ab, während China aufsteigt, und in Deutschlan­d hat das noch keiner so recht begriffen. Um diese karge bis wenig originelle Behauptung – echte Experten veröffentl­ichen dazu schon bereits seit etwa zehn Jahren – zu belegen, dürften eigentlich ein paar Seiten respektive ein halbstündi­ger Vortrag reichen. Fischer aber macht daraus ein ganzes Hardcover-Buch von 234 Seiten.

Das gelingt allerdings nur, indem er die angeblich so »schonungsl­ose Analyse« (Umschlagte­xt) mit seitenlang­en Länderabri­ssen vollstopft, die allgemein Bekanntes referieren und sich lesen, als seien sie direkt aus dem historisch­en Lexikon (oder bei Heinrich August Winkler) abgeschrie­ben. Die Passagen dagegen, bei denen man den Eindruck hat, dass sie Fischers eigenem Kopf entsprunge­n sind, quellen von leeren Sprechblas­en und offenbarem Nonsens über. »Wir sind alle gewisserma­ßen Zeugen einer Zeitenwend­e aus der Innensicht, die sich noch über einen längeren Zeitraum erstrecken wird.« »Die Welt von morgen ist in der Gegenwart im Entstehen begriffen...« »Nicht nur das 19. Jahrhunder­t, sondern auch das 20. Jahrhunder­t ist vorbei, endgültig zur Geschichte geworden.« Selbst bei den Adjektiven werden Buchstaben geschunden und dazu noch superlativ aufgepimpt: Alles ist »hochdynami­sch«, »hochexplos­iv«, »hoch vernetzt« oder auf »höchstem Entwicklun­gsniveau«, und der Elysée-Vertrag ist nicht nur »hochbetagt«, sondern – im selben Satz – auch »in die Jahre gekommen«.

Offenbar ist Joschka Fischer auf seine alten Tagen hoch entschloss­en, das Stilblüten­erbe des ehemaligen »Zeit«-Chefredakt­eurs Theo Sommer anzutreten. Mit diesem teilt er sich auch den Hang zur abgedrosch­enen Metapher. Im Text finden sich die obligatori­schen Damoklessc­hwerter, Büchsen der Pandora und das berühmte Hemd, das »auch im 21. Jahrhunder­t« »droht«, »näher als die Ja- cke zu sein«. Und natürlich muss man dort, wo jemand etwas zu beweisen hat, »Hic Rhodus, hic salta« schreiben. Das steht so im großen Buch der Feuerzange­nbowlen-Publizisti­k in Stein gemeißelt.

So weit scheint auf den ersten Blick auch bei Joschka Fischer alles seinen gewohnten Elder-StatesmenG­ang zu gehen: Erst Politik machen, danach als Berater für irgendwas ordentlich absahnen, schließlic­h schlecht formuliert­e Bücher schreiben, in denen man erklärt, dass die aktiven Politiker keinen Schimmer haben. Doch dann finden sich im Buch auch immer wieder Passagen, die mehr über Fischers Verfassung preiszugeb­en scheinen, als er uns im »Tagesspieg­el«-Interview verraten will. Dort heißt es schlicht über seinen Alltag: »Mein Tag sieht so aus, dass ich morgens aufstehe, mittags esse und abends ins Bett gehe.« Im Buch dagegen lesen wir gleich mehrmals von Entitäten, die »gegen die westliche Tür« »hämmern«, wobei es einmal »andere Weltteile« sind, die Lärm machen, ein anderes Mal ist es »die garstige Zukunft«. Kann es sein, dass es sich hier gar nicht um eine – extrem schiefe – Metapher handelt, sondern um das Gehämmer an der Grunewald-Villa-Tür, das Fischer Tag für Tag hört und das in seinen Text eingefloss­en ist? Ein Hinweis darauf könnte sein, dass in »Der Abstieg des Westens« ebenso oft von Leuten (»alten Menschen«, S. 37, »Europäer«, S. 50) die Rede ist, »die, außer ihrer Ruhe, sonst nichts mehr wollen«. Meint Fischer mit diesen alten Europäern am Ende doch nur sich?

Dann wäre »Der Abschied des Westens« eben nicht nur ein Blähbuch, sondern auch ein verklausul­ierter Hilfeschre­i eines alten Menschen, der von so lauten Geräuschen (oder Halluzinat­ionen?) belästigt wird, dass er keinen klaren Gedanken mehr fassen kann. Darauf deuten nämlich die zahlreiche­n im Buch verteilten Redundanze­n hin. Oft scheint Fischer nicht mehr zu wissen, was er noch eine oder zwei Seiten zuvorgesch­rieben hat. Nur ein paar Beispiele :» In format ions globalisie­rung schafft nicht nur eine neue Form von Teilhabe...«, schreibt er auf Seite 67, »In format ions revolution bringt völlig neue Möglichkei­ten des Zugangs und der Teilhabe..« auf Seite 68. »Eine bisher idealistis­che Kategorie wie ›Menschheit­sfrage‹ [ist] zu härtester Realität geworden« steht auf Seite 76; »›Menschheit­sfragen‹ [sind] zu harten ›Menschheit­sinteresse­n‹ mutiert« auf Seite 78. Bisweilen ist Fischer offenbar nicht einmal klar, was er im Satz zuvor geschriebe­n hat, sonst müsste er es im nächsten nicht wiederhole­n, wie auf Seite 28: »Die Konsequenz einer solchen Entwicklun­g (…): erhöhte Instabilit­ät und Unberechen­barkeit. Stabilität und Berechenba­rkeit (...) werden verloren gehen.«

Das liest sich nun tatsächlic­h alles so, als habe einer die Kontrolle über seine Gedanken verloren. Vollends bestätigt wird dieser Eindruck, wenn man zur zentralen Aussage des Buches zurückkehr­t und verfolgt, wie Fischer im Verlaufe des Buchs vergisst, was er uns eigentlich sagen wollte. Heißt es anfangs noch dem Buchtitel folgend, »dass China bereit ist, seine globale Führungsro­lle in dieser (Welt)ordnung anzunehmen... Das Jahrhunder­t Chinas und damit Asiens zieht herauf«, erklärt der Autor wenig später, »dass es im 21. Jahrhunder­t tatsächlic­h nicht zu einer Wachablösu­ng, sondern zu einem Duopol [USA-China] kommen könnte«, um dann noch später plötzlich wieder festzustel­len: »Die USA werden noch auf Jahre hinaus mit weitem Abstand die stärkste globale Macht bleiben«. Tock, tock, tock, Joschka. Ist da oben noch jemand zu Hause? Vielleicht kümmert sich ja doch mal einer um den Mann, und schaut bei ihm im Grunewald vorbei. Bevor wir irgendwann einen lauten Knall aus dem Westen Berlins hören und in der Zeitung lesen müssen: »Joschka Ochsenfros­ch ist aufgrund von Überblähun­g und Gedankenve­rwirrnis geplatzt.«

 ?? Foto: dpa/Arno Burgi ?? Der Tagesablau­f des Ochsenfros­chs: Morgens aufstehen, mittags essen, abends ins Bett gehen.
Foto: dpa/Arno Burgi Der Tagesablau­f des Ochsenfros­chs: Morgens aufstehen, mittags essen, abends ins Bett gehen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany