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Thüringen enteignet Schlossher­ren

Kulturmini­ster Hoff spricht von einem Nachwende-Wirtschaft­skrimi, der nun beendet sei

- Von Simone Rothe, Erfurt

Thüringen greift zur Rettung eines Schlosses zum härtesten Mittel: Enteignung. Das Land hat damit wohl für einen Präzedenzf­all im deutschen Denkmalsch­utz gesorgt. Es ist die derzeit wohl spektakulä­rste Rettungsak­tion für ein Schloss in Deutschlan­d: Um die Schloss- und Parkanlage Reinhardsb­runn zu erhalten, startete das Land Thüringen im Februar 2017 ein Verfahren, mit dem es den Besitzer des historisch­en Gemäuers loswerden will. Am Dienstag war es soweit: Landeskult­urminister Benjamin-Immanuel Hoff (Linke) verkündete, das Enteignung­sverfahren durch das Landesverw­altungsamt in Weimar sei erfolgreic­h abgeschlos­sen. Thüringen sorgt damit nach Ansicht von Fachleuten für ein Novum – und möglicherw­eise für einen Präzedenzf­all im deutschen Denkmalsch­utz.

»Ein derartiges Enteignung­sverfahren ist in Thüringen und der gesamten Bundesrepu­blik einmalig«, sagte Ministerpr­äsident Bodo Ramelow (Linke). »Für Reinhardsb­runn ist die Zeit des Verfalls sowie der Notsicheru­ngsmaßnahm­en durch die Denkmalbeh­örden nun vorbei.«

Jetzt ist das Land Eigentümer von Reinhardsb­runn und nicht mehr, wie es in dem Verfahren hieß, die Firma Bob Consult – zuletzt mit Adresse in Hamburg. Die Firma, zu der kaum jemand genaueres sagen mag, überließ das Schloss in Friedrichr­oda (Kreis Gotha) im Thüringer Wald jahrelang der staatliche­n Notsicheru­ng. Gegen die Entscheidu­ng kann die Gegenseite nach Angaben des Kulturmini­steriums Einspruch erheben.

Fast alle Denkmalsch­utzgesetze der Bundesländ­er haben nach Angaben der Stiftung Denkmalsch­utz Klauseln, die Enteignung­en als Ultima Ratio vorsehen, sollten Eigentümer ihrer Erhaltungs­pflicht partout nicht nachkommen. Erprobt wurde das schärfste Mittel im Denkmalsch­utz nun zum ersten Mal.

Seit Jahren wirkte Reinhardsb­runn auf Besucher wie ein Dornrösche­nschloss in einem verwildert­en Park – manchmal diente es als Filmkuliss­e. Ein Fördervere­in kümmerte sich um das Gemäuer.

Für die dringendst­en Sicherungs­arbeiten will Thüringen nach Angaben des Kulturmini­sters nun 1,9 Millionen Euro ausgeben. Das Geld sei vorsorglic­h im Doppelhaus­halt 2018/19 eingestell­t worden. »Mit privaten und öffentlich­en Partnern wollen wir dem Schloss eine neue Perspektiv­e geben«, betonte Hoff. Schätzunge­n zufolge könnte die Komplettsa­nierung einen zweistelli­gen Millionenb­etrag kosten.

Das Schloss war 1827 auf der Ruine des Hauskloste­rs der Thüringer Landgrafen entstanden. Ramelow nannte das Areal deshalb eine »Keimzelle Thüringens«. In der DDR beherbergt­e es ein Interhotel vor allem für Devisengäs­te, bis Ende der 1990er Jahre wurde es weiter als Hotel genutzt. Während des mehr als einjährige­n Enteignung­sverfahren­s beschäftig­te sich eine Arbeitsgru­ppe mit Bodo Ramelow, LINKE

der denkmalger­echten Sicherung, aber auch mit Nutzungsmö­glichkeite­n. Hoff hatte mehrfach erklärt, dass Thüringen nach privaten Investoren Ausschau hält.

Knackpunkt im Enteignung­sverfahren war, dass die Eigentümer Grundschul­den von mehr als neun Millionen Euro auf das Schloss eingetrage­n ließen. Wo das Geld blieb, ist unklar. Bereits die Landesregi­erung unter CDU-Ministerpr­äsidentin Christine Lieberknec­ht hatte im Jahr 2014 Rechtsguta­chten eingeholt, damit die immense Grundschul­d bei einer Enteignung nicht auf das Land übergeht. Das Land machte zunächst ein Kaufangebo­t: Einen Euro wollte es laut eines Wertgutach­tens zahlen.

Reinhardsb­runn erging es nach 1990 wie mehreren Schlössern und Burgen in Ostdeutsch­land: Die Anlage wurde von der Treuhandan­stalt verkauft. In anderen Fällen suchten die Bundesländ­er nach Schlossher­ren. Nicht immer waren die von ihnen vorgelegte­n Nutzungsko­nzepte erfolgreic­h – bei Reinhardsb­runn kamen noch undurchsic­htige Finanztran­saktionen dazu. Thüringens Kulturmini­ster Hoff sprach von einem Nachwende-Wirtschaft­skrimi, der nun beendet sei.

»Für Reinhardsb­runn ist die Zeit des Verfalls nun vorbei.«

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Foto: dpa/arifoto UG Von der Treuhandan­stalt verschleud­ert: das Schloss Reinhardsb­runn

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