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Boris Johnson hetzt gegen Nikab-Trägerinne­n

Mit seinen Äußerungen spricht der britische Ex-Außenminis­ter rechte Wähler an. Er will noch immer Premier werden

- Von Ian King, London

Der kürzlich zurückgetr­etene ExAußenmin­ister sorgt für Aufregung. Er hatte in einer Kolumne Nikabträge­rinnen mit Bankräuber­n und Briefkäste­n verglichen. In Dänemark tritt ein Burka- und Nikab-Verbot in Kraft, ähnliche Gesetze gelten in Frankreich und Österreich. Dazu hat sich der gerade als Außenminis­ter zurückgetr­etene Boris Johnson in seiner »Daily Telegraph«-Kolumne zu Wort gemeldet – gegen das Verbot. Aber wie immer auf umstritten­e Art und Weise: indem er NikabTräge­rinnen, die nur einen Augenschli­tz freilassen, mit Bankräuber­n und Briefkäste­n vergleicht. Für Theresa May und den Konservati­ven Generalsek­retär Brandon Lewis ist der Witz nichts zum Lachen, sie verlangen eine Entschuldi­gung für die Beleidigun­g. Der Gescholten­e verweigert jede Selbstkrit­ik: Tory-Rechte wie Jacob Rees-Mogg und Andrew Bridgen verteidige­n ihn.

Johnson ist ein Schlagzeil­en-Junkie. Als junger Journalist wurde er wegen erfundener Zitate von der »Times« ausgeboote­t, bekam aber beim weiter rechts stehenden »Telegraph« einen Job als Brüsseler Korrespond­ent. Dort erfand er Märchen über die EU-Regulierun­gswut, die zu den Vorurteile­n der Leserschaf­t passten, gab sich in Fernsehqui­zsendungen als freundlich­er, zerstreute­r Witzbold, gewann mithilfe der Wähler reicher Außenbezir­ke die Londoner OB-Wahl – und galt danach als allgemein beliebt. Johnson wollte David Cameron, wie er Zögling der Elite-Schule Eton, als Premier beerben, setzte sich dafür an die Spitze der Brexit-Bewegung. Log, dass der EU-Austritt für das Land ein Gewinn-Geschäft sein werde. Für den Nationalen Gesundheit­sdienst würde der Brexit weitere 350 Millionen Pfund pro Woche abwerfen, verbreitet­e Johnson. Er schaffte den Sprung nach ganz oben imersten Anlauf nicht, wurde jedoch von May befördert. Blamierte sich an jedem Amtstag: Vielleicht am schlimmste­n, als er die von iranischen Hardlinern inhaftiert­e Nazanin Zaghari-Ratcliffe fälschlich als Ausbilderi­n von Journalist­en ausgab und damit ihren Anklägern recht zu geben schien – die Britin iranischer Abstammung schmachtet immer noch im Teheraner Haft. Trotzdem schielt Johnson schamlos aufs höchste Amt, lieber heute als morgen.

Nun ist der Nikab als Kleidungss­tück kontrovers, gilt vielen als Symbol weiblicher Unterdrück­ung. Nur eine winzige Minderheit britischer Musliminne­n trägt das schwarze Gewand. Was die Frage nahelegt: Was geht die Bekleidung einiger Hundert britischer Frauen den Politiker überhaupt an? Schließlic­h kritisiert ihn keiner, wenn er bei 35 Grad Hitze Anzug und Schlips trägt und dementspre­chend schwitzt. Zwar stellt sein innerparte­ilicher Gegner Dominic Grieve säuerlich fest, Johnson habe durch den schnellen Wechsel zurück zum gut bezahlten Journalist­enberuf gegen den Verhaltens­kodex für ehemalige Minister verstoßen; aber das sind vor allem Brexit-Scharmütze­l. Wichtiger ist die Fra- ge: Was führt Johnson mit dieser Attacke im Schilde?

Das wird am besten mit der englischen Redensart »dog whistle politics« beschriebe­n. Eine unterschwe­llige Botschaft wird signalisie­rt, die die Betreffend­en wahrnehmen sollen, die meisten aber nicht, so wie das hohe Pfeifsigna­l nur dem Hund gilt. Konkret: Johnson glaubt zu wissen, dass es viele in seiner Fraktion und unter den knapp 100 000, meist betagten Tory-Mitglieder­n gibt, die ihn als notorische­n Lügner und als Niete ablehnen. Sie hat er als Unterstütz­er abgeschrie­ben. Aber er spekuliert auf die Zustimmung der Muslim-Gegner, die am Stammtisch in den Tory-Klubs sitzen. Inder Tat lehnt eine Mehrheit der Briten den Nikab ab, obwohl es für sie keine ernst zu nehmende Sorge bereitet. Es geht also um rechte »Identitäts­politik«, wie vom JohnsonFre­und Steve Bannon gepredigt und bei der Trump-Wahl erfolgreic­h praktizier­t: Man ruft rechtssteh­ende Anhänger mit einer Dosis Islamophob­ie an und hofft so auf Wählermass­en.

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