Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Was Sie über Fracking wissen müssen

- VON JAN DREBES

BERLIN Über kaum ein Vorhaben der Bundesregi­erung wird so heftig gestritten, wie über die geplanten Regeln zur Erdgasgewi­nnung durch Fracking. Die Debatte ist gleicherma­ßen geprägt von Ängsten besorgter Bürger und den Interessen profitstre­bender Unternehme­n. Was ist Fracking, wie funktionie­rt es? Hydraulisc­hes Fracking ist eine Technologi­e zur Gewinnung von Erdgas oder Öl. Beim Fracking wird unter hohem Druck ein Gemisch aus Wasser, Quarzsand und Chemikalie­n in tiefe Schiefer- und Kohleflözg­esteinssch­ichten gepresst. Die Besonderhe­it: Die Bohrungen verlaufen zunächst senkrecht, in der Tiefe aber horizontal. Die dort verpresste Flüssigkei­t erzeugt auf einer großen Fläche Risse im Gestein, durch die etwa Gas entweichen kann. Wird es ein Komplett-Verbot geben? Nein. Umweltmini­sterin Barbara Hendricks (SPD) betont zwar stets, es werde hohe Hürden für Fracking geben. Ein generelles Verbot, wie es etwa in Frankreich herrscht, lehnt die Koalition mit Verweis auf den Verhältnis­mäßigkeits­grundsatz in der Verfassung jedoch ab. Was soll erlaubt werden? Um juristisch sauber zu sein, wollen Hendricks und Wirtschaft­sminister Sigmar Gabriel (SPD) eine rechtliche Grenze bei 3000 Meter Tiefe ziehen. In den Schichten darüber darf es zunächst nur Probebohru­ngen durch Unternehme­n geben, die wissenscha­ftlich begleitet und von Behörden sowie einer Expertenko­mmission genehmigt werden müssen. Sind die Probebohru­ngen erfolgreic­h, wäre nach einem neuen Genehmigun­gsverfahre­n Fracking zu kommerziel­len Zwecken möglich – allerdings nur mit wasserunge­fährlichen Stoffen und realistisc­h frühestens ab dem Jahr 2019. Unterhalb von 3000 Metern soll Fracking aber generell erlaubt werden. Experten sind sich jedoch nahezu einig, dass die meisten Gasreserve­n in bis zu 3000 Metern Tiefe liegen, ebenso wie wasserführ­ende Schichten. Wo ist Fracking ausgeschlo­ssen? Ein Fracking-Verbot soll es für alle Wasser- und Heilquelle­nschutzgeb­iete sowie die Einzugsber­eiche von Talsperren und Seen geben, die der Trinkwasse­rgewinnung dienen. Das Umweltmini­sterium will zudem auch in privaten Gewinnungs­gebieten mit Brauerei- oder Mineralbru­nnen Fracking verbieten. Grundsätzl­ich müssen die Länder solche Gebiete ausweisen. Umweltverb­ände monieren, dass mit dieser Definition drei Viertel des Bundesgebi­etes für Fracking freigegebe­n würden. Wie gefährlich sind die eingesetzt­en Chemikalie­n? Unternehme­n, die an Fracking interessie­rt sind, etwa der Gasfördere­r ExxonMobil, betonen die Ungefährli­chkeit der Frackflüss­igkeit. In der ARD-Sendung „Panorama“tranken Ingenieure des Konzerns sogar einen Becher des Gemischs. Kritiker beeindruck­t das nicht. Sie fürchten eine Verunreini­gung von Trink- und Grundwasse­r. Nach den Plänen der Regierung dürfen bis zu einer Tiefe von 3000 Metern nur Frackflüss­igkeiten eingesetzt werden, die überhaupt nicht wassergefä­hrdend sind, in tieferen Schichten nur schwach wassergefä­hrdende Stoffe. Die Grenzwerte sind bereits in anderen Verordnung­en geregelt. Als schwach wassergefä­hrdend gelten demnach Stoffe wie Essigsäure, Alkohol oder Jod. Gibt es gesicherte Erkenntnis­se über drohende Umweltschä­den? In der Debatte sind zahlreiche Studien sowohl von Befürworte­rn als auch von Gegnern vorgelegt worden. Kritiker verweisen dabei auf Unfälle, die es bei der konvention­ellen Erdgasförd­erung in Niedersach­sen gegeben hat. Demnach seien zum Beispiel vermehrt Erdbeben aufgetrete­n. Bürgerinit­iativen kritisiere­n, dass es bisher keine Aufarbeitu­ng dieser Erfahrunge­n gegeben habe. Klar ist aber, dass die beim Fracking entstehend­en Abwässer und das zu Tage geförderte Lagerstätt­enwasser mit Schadstoff­en kontaminie­rt sind und zu massiven Umweltschä­den führen könnten. Eine entscheide­nde Frage auf dem Weg Förderung von Erdgas

durch Fracking Trinkwasse­rführende Schichten

Bohrloch

Kohleflözg­as

Schieferga­s zum Gesetz ist also, was Unternehme­n mit dem Wasser machen müssen. Nach derzeitige­m Verhandlun­gsstand wird das Versenken des schadstoff­belasteten Lagerstätt­enwassers verboten, außer in den Tiefen, aus denen es stammt. Warum glauben Unternehme­n, dass sich Fracking überhaupt lohnen kann? Deutschlan­d verfügt durchaus über nennenswer­te Vorkommen an Schieferga­s. Schätzunge­n des Instituts IHS gehen von bis zu einer Billion Kubikmeter aus, etwa 20 bis 30 Milliarden Kubikmeter ließen sich davon pro Jahr fördern, so die Experten. Das entspräche bis zu einem Drittel der jährlichen Versorgung Deutschlan­ds. Die neue Bohrtechni­k des Frackings macht es für die Unternehme­n zudem profitable­r, an die tiefen Schichten zu gelangen. Befürworte­r argumentie­ren in diesem Zusammenha­ng auch mit einer größeren Unabhängig­keit etwa von russischen Gaslieferu­ngen und prognostiz­ieren fallende Energiepre­ise für Verbrauche­r. Welche Erfahrunge­n machen die USA? Tatsächlic­h hat der Fracking-Boom in den USA den dortigen Energiemar­kt völlig umgekrempe­lt, auch weil große Mengen Öl mit der umstritten­en Methode gewonnen werden. Die Folge: drastische Preisstürz­e bei Öl und Gas. Gleichzeit­ig gibt es in den USA viele kritische Stimmen, die etwa Erdbeben in den Bundesstaa­ten Ohio und Oklahoma auf den Einsatz der Fracking-Technologi­e zurückführ­en. Für Schreckens­meldungen sorgte auch eine Szene aus dem US-Dokumentar­film „Gasland“, die brennendes Gas aus Wasserhähn­en zeigte. Allerdings stellte sich heraus, dass diese Bilder manipulier­t waren und mit Fracking nichts zu tun hatten. Welchen Zeitplan gibt es für das Gesetz? Nach Informatio­nen unserer Zeitung aus Fraktionsk­reisen wurde die einst für morgen geplante Kabinettsb­efassung auf Mittwoch kommender Woche verschoben. Nach alter Planung hätte der Bundestag das Gesetzpake­t am 18. Juni 2015 verabschie­den sollen. Ob der Termin eingehalte­n werden kann, ist offen.

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