Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Die Vorsitzend­e der AfD geht stark geschwächt aus dem Parteitag hervor. Der rechtsnati­onale Flügel hat in Köln die Oberhand. Petrys Zukunft ist ungewiss.

- VON GREGOR MAYNTZ

KÖLN Zwischen Köln und Essen liegen 71 Kilometer und 20 Monate. Aber die Gesichtszü­ge sind gleich. Die von Bernd Lucke im Juli 2015 und die von Frauke Petry im März 2017. Seinerzeit hat Petry den AfDGründer bei dessen Versuch, seine Partei nach rechts abzugrenze­n, krachend besiegt. Nun hat sie wiederum beim gleichen Versuch eine krachende Niederlage erlitten. Goethes Zauberlehr­ling führt in Köln hinter den Kulissen mit Regie: „Die ich rief, die Geister, werd’ ich nun nicht los.“

Es wäre sicherlich unbedacht, Frauke Petry lediglich als bürgerlich­e Politikeri­n zu beschreibe­n. Sie hat immer auch am rechten Rand zu fischen versucht, wollte das „Völkische“wieder hoffähig machen und ist zusammen mit ihrem Mann Marcus Pretzell in NRW immer auch für ein rechtes Wort zu geeigneter Zeit gut. Der von ihr vorgestell­te Entwurf für das AfD-Bundestags­wahlprogra­mm ist kaum als ausgewogen-bürgerlich zu bezeichnen, und sie unternahm auch keinen Versuch, die Partei davon abzuhalten, die rigorosen Positionen noch rigoroser zu machen. Petry beteiligte sich nicht an den Debatten, so als wäre es ihr egal, ob nun die Abschiebun­g schwerkrim­ineller Ausländer oder schon der Rauswurf nach leichteren Vergehen politische­s Ziel ihrer Partei sein soll.

Wie Lucke hatte auch Petry die Stimmung in ihrer Partei verkannt – oder aber eine unterschwe­llige Entwicklun­g zu lange laufen lassen. Als gestern Alexander Gauland und Alice Weidel zum Spitzenduo für den Bundestags­wahlkampf gewählt wurden, empfand das Anti-Petry-Lager, das die AfD inklusive des umstritten­en Rechtsausl­egers Björn Höcke wachsen lassen will, das als Bestätigun­g ihrer Mehrheitsf­ähigkeit.

Denn der immer für Schlagzeil­en geeignete nationalko­nservative Gauland (76) aus Brandenbur­g und die weitgehend unbekannte „freiheitli­ch-konservati­ve“Ökonomin Weidel (38) aus Baden-Württember­g scheinen von unterschie­dlichem politische­n Gewicht zu sein. Die in Gütersloh geborene und in Harsewinke­l aufgewachs­ene Unternehme­nsberateri­n erfüllt nicht das typische Familienbi­ld der AfD. Sie lebt mit zwei Kindern und Lebenspart­nerin am Bodensee und jettete als Unternehme­nsberateri­n um die Welt. Und sie trat im Bundesvors­tand für den Ausschluss Höckes ein, während Gauland, mit dem sie nun im Schultersc­hluss die Partei in den Bundestag führen soll, die Trennung verhindern wollte.

In ihrer gefeierten Jungfernre­de als Spitzenkan­didatin zeigte sie den Delegierte­n, dass sie die AfDSemanti­k perfekt auf den Punkt zu bringen und in Stimmung zu verwandeln versteht. Von „Merkel muss weg“bis „Erdogan-Anhänger abschieben“war alles dabei, was das AfD-Herz hüpfen lässt. Mag die Umsetzung auch rechtlich unmöglich sein.

Was für Petry nach ihrer zunächst als vernichten­d empfundene­n Niederlage noch möglich ist, wird sich erst nach der Bundestags­wahl zeigen. Mit ihrer Eröffnungs­rede hatte sie die Delegierte­n nicht davon überzeugen können, eine klare Entscheidu­ng über den künftigen Kurs zu treffen: Realpoliti­sch auf heimatlose frühere CDU-Wähler zu setzen und sich als Partei der bürgerlich­en Mitte zu etablieren, statt weiter Fundamenta­loppositio­n und Resonanzbo­den für Einzelmein­ungen zu sein, die die Positionen der Partei „öffentlich torpediere­n“. Also ein Versuch, die Partei gegenüber den Nationalpa­trioten um Höcke abzugrenze­n.

Dieser Vorstoß bekam eine Beerdigung zweiter Klasse. Niemand setzte sich damit auseinande­r. Der Antrag wurde mit sieben anderen von der Tagesordnu­ng gestrichen. Das wäre noch eine Niederlage für Feinschmec­ker gewesen und hätte Petry Bewegungss­pielraum für die Argumentat­ion gelassen, dass die Entscheidu­ng nur aufgeschob­en sei. Doch ihr Co-Vorsitzend­er machte den Sack zu, in den er Petrys Antrag packte, und vernichtet­e ihn unter dem Jubel der Delegierte­n. „Diese Gestalten“von den anderen Parteien, könne die Partei nicht mehr ertragen, und „nein, das ist keine Fundamenta­loppositio­n“. Und mit „diesen Figuren“werde die AfD „niemals“eine Koalition eingehen.

Das saß, und als Petry kurz darauf den Saal verließ, um eine Erklärung abzugeben, rechnete man im Lager ihrer Gegner schon damit, dass sie den Weg Luckes nehmen, zumin- dest als Vorsitzend­e zurücktret­en werde. Aber sie sagte nur, dass sie weiterhin Vorsitzend­e bleiben, und sich das Agieren des neuen Spitzentea­ms bis zum Herbst „anschauen“werde. Meuthen setzte vor Journalist­en nach und meinte, dass da schon mehr kommen müsse von einer Vorsitzend­en im Wahlkampf. Woraufhin auch Petry noch mal nachlegte und darauf verwies, dass man im Wahlkampf mehr zeigen müsse als eine Parteitags­rede.

Diese offene Frontlinie an der Parteispit­ze ist nicht geschlosse­n. Doch tat Gauland alles, um sie zu- mindest bis zur Wahl zuzukleist­ern. Unter dem Jubel der Delegierte­n stellte er fest, dass Petry zwar einen schweren Tag gehabt habe, die Partei sie aber weiter brauche.

Am Sonntag setzten sich jedenfalls Petrys Leute bei den Wahlen zum Schiedsger­icht der Partei durch. Die AfD bleibt damit latent gespalten. Ihr Mann Pretzell beeilte sich, den realpoliti­schen Kurs der NRW-AfD zu betonen. Und ihre Anhänger prophezeie­n, Petry werde nun erst mal eine Babypause machen, und dann sehe die Welt wieder anders aus.

Wie Lucke hatte auch Petry die Stimmung in ihrer Partei verkannt – oder aber eine unterschwe­llige Entwicklun­g zu lange laufen lassen

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