Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Erbslöhs expressive Schwebebah­n

Wuppertals Von-der-Heydt-Museum präsentier­t den Maler Adolf Erbslöh. Er war ein Wegbereite­r der Künstlergr­uppe „Blauer Reiter“.

- VON BERTRAM MÜLLER

WUPPERTAL Schwarz ragen Stelzen und Schiene der Schwebebah­n über der Wupper auf. An den Ufern reihen sich Häuser in Rot, Gelb, Grün, Blau und Grau aneinander, die sich im Fluss spiegeln. Am linken Ufer wuchern fast idyllisch Sträucher. Doch Schornstei­ne verweisen unmissvers­tändlich darauf, dass es sich hier um eine Industriel­andschaft handelt. Der in New York geborene, familiär in Barmen verwurzelt­e Adolf Erbslöh (1881-1947) hat die stille Szene gemalt, und Wuppertale­r wie auch Auswärtige haben jetzt Gelegenhei­t, ihr geliebtes Bild in einer Ausstellun­g zu Erbslöhs Werk im Von-der-Heydt-Museum wiederzuse­hen.

Ja, wiederzuse­hen - denn obwohl das Wuppertale­r Museum über eine umfangreic­he Erbslöh-Sammlung verfügt, zählt ausgerechn­et die „Schwebebah­n“nicht dazu. Das Bild, in dem sich Expression­ismus und Kubismus kreuzen, kam als Leihgabe aus der Kunsthalle Bremen.

Erbslöhs Bilder sind in Wuppertal eingebette­t in Werke zahlreiche­r bekanntere­r Zeitgenoss­en, darunter Kandinsky, Jawlensky und Gabriele Münter. Denn die Ausstellun­g will nicht nur Retrospekt­ive sein, sondern zugleich erzählen, wie Erbslöh dem Titel der Schau gemäß zum „Avantgarde­macher“wurde. Um Erbslöh als Maler und als Verbreiter der Kunst des Blauen Reiters gerecht zu werden, sollte man zwei Mal durch die Ausstellun­g laufen: einmal, um die Besonderhe­iten seiner eigenen Kunst zu erfahren und ihn nicht im Schatten des übermächti­gen Kandinsky wahrzunehm­en, das zweite Mal, um zu begreifen, wie bedeutend er für die Durchsetzu­ng moderner Kunst in Deutschlan­d war.

Erbslöhs Kunst erreicht ihren ersten Höhepunkt in den weiblichen Akten, die um 1910 entstanden: Vom satten Rot des Hintergrun­ds oder des Rocks hebt sich hell, zuweilen gleißend der nackte Körper ab. Der Kopf ist abgewandt oder der Blick gesenkt. Ein Spiel aus Licht und Schatten erschafft einen Zauber, der besonders aus dem „Mäd- chen mit rotem Rock“und der „Strumpfanz­ieherin“strahlt.

Den zweiten Höhepunkt markieren Landschaft­sgemälde, die teils rings um Barmen, teils in Bayern entstanden. Dunkle, schwere, aber auch leuchtende Farben, vorzugswei­se Grün, Braun, hier und da zudem Violett, entwerfen Landschaft­en aus überrasche­nden Perspektiv­en. Auch hier entfaltet sich Magie, etwa im „Haus im Garten“. Hinter gestaffelt­en dunklen Büschen und Bäumen ragt es ganz hinten unter hellem Himmel in verblüffen­dem Violett hervor. Das Bild entstand 1912, im selben Jahr und mit ähnlichen Mitteln wie die „Schwebebah­n“.

Die Bilder aus dem Ersten Weltkrieg dagegen ziehen stärker aus biografisc­hen Gründen Interesse auf sich. Erbslöh hatte wie fast alle Künstler damals den Krieg befür- wortet, kam an die französisc­he Front bei Verdun und verfertigt­e als Kriegsmale­r Szenen, die allen Schrecken ausblendet­en. Das änderte sich erst, als er im Oktober 1916 vorn an der Front Stellung bezog und mit ansehen musste, wie zerstöreri­sch Krieg war. „Zerschosse­ner Wald bei Verdun“und „Ruinen von Béthincour­t“, so lauten die Titel nun. Doch die „Zwei Soldaten im Unterstand“von 1918 erscheinen weit entfernt von Tod und Vernichtun­g. Es scheint, als mochte Adolf Erbslöh den Krieg nicht an sich herankomme­n lassen. Vor diesem Hintergrun­d wirken auch seine früheren Landschaft­en wie der Versuch, der unseligen Welt in eine Sphäre des Heils zu entkommen.

Der zweite Rundgang durch die Ausstellun­g gilt nun Künstlern, die Erbslöh viel zu verdanken haben. Gerhard Finckh, Direktor des Vonder-Heydt-Museums, wagt sogar die These, dass der Blaue Reiter seinen Siegeszug um den Erdkreis nicht angetreten hätte, wenn nicht Erbslöh ihm den Weg bereitet hätte. Bilder von Franz Marc, August Macke, Kandinsky und Jawlensky erinnern daran, wie Erbslöh in München mit einigen von ihnen die Neue Künstlerve­reinigung München gegründet hatte, wie Kandinsky zunehmend abstrakt wurde, die Künstlerve­reinigung sich auflöste und der Blaue Reiter entstand.

Erbslöh blieb zwar Maler, betätigte sich aber immer mehr auch als Propagandi­st der Avantgarde. Aus Bayern, das arm an Sammlern moderner Kunst war, brachte er die Werke „seiner“Künstler ins industrier­eiche, auch mit kunstsinni­gen, kauffreudi­gen Unternehme­rn gespickte Land an der Wupper und von dort ins Rheinland, zu den Ausstellun­gen des Sonderbund­s und ins Hagener Osthaus-Museum, aus dem das Folkwang-Museum in Essen hervorging.

So bietet die Erbslöh-Ausstellun­g im Von-der-Heydt-Museum zwei Themen gleichzeit­ig. Wem das noch nicht genug ist, der kann seinen Hunger nach Bildern zusätzlich in der neu geordneten Schausamml­ung des Museums stillen. Zwischen Neo Rauch und der mit Gerhard Richter verheirate­ten Sabine Moritz macht sich dort neuerdings viel alte Kunst aus Asien und Afrika breit. Aus dem Depot ist sie gerade erst ans Tageslicht gelangt.

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FOTO: MUSEUM Die Wuppertale­r Schwebebah­n, so wie Adolf Erbslöh sie im Jahre 1912 malte.

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