Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Diebe kommen durch die Datenleitu­ng“

Was Einbrecher anrichten können, darüber haben die Menschen eine klare Vorstellun­g. Die erfolgreic­hsten Ganoven der Moderne nutzen indes das Internet für ihre Raubzüge. Die Schäden in der Wirtschaft sind immens, doch man kann sich schützen.

- VON JÜRGEN GROSCHE

So gut wie es den Unternehme­n gerade geht: Die Gefahren sollte man dabei nicht übersehen. „Die deutsche Wirtschaft steht gut da“, erläutert Volker Wagner, Vorstandsv­orsitzende­r des Bundesverb­andes der Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft, in seinem Impulsvort­rag beim RP-Wirtschaft­sforum „Sicherheit in Deutschlan­d“. Die Rahmenbedi­ngungen seien gut: funktionie­render Warenausta­usch, internatio­nale Vereinbaru­ngen, ein intaktes Finanzsyst­em und eine offene Gesellscha­ft. „Aber die Verletzlic­hkeit ist groß“, warnt Wagner, „alles ist vernetzt“.

Bei den Risiken hat die Allianz für Sicherheit vier globale Megatrends identifizi­ert: den Verfall von Staaten, ökonomisch­e Verwerfung­en, asymmetris­che Kriegsführ­ung und eben die digitale Vernetzung. Bei den Cybercrime­s, den Verbrechen übers Internet, wird die Schadenshö­he auf 1,5 bis zwei Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s geschätzt. Das wären allein in Deutschlan­d mindestens 50 Milliarden Euro. Ähnlich kalkuliere­n auch andere Experten das Schadensvo­lumen.

„Der Faktor Mensch ist dabei ebenso wichtig wie die Technik“, sagt Wagner. Doch auch die Prozessabl­äufe in den Unternehme­n müssten auf den Prüfstand, kritische Abläufe müssten besser geschützt werden. „Es gibt aber bereits einige gute Maßnahmen“, beobachtet Wagner und nennt als Beispiele die Initiative Wirtschaft­sschutz der Bundesregi­erung im Kampf gegen Spionage und Sabotage oder die Allianz für Cyber-Sicherheit, die vom Bundesamt für Sicherheit (BSI) und dem Digitalver­band Bitkom als Plattform initiiert wurden. Auch dass sich die globalen Akteure und Konzerne auf dem Weltwirtsc­haftsforum mit Cyberkrimi­nalität beschäftig­t haben, fällt dem Experten positiv auf: „Das gab es früher nicht.“

Wagner begrüßt ausdrückli­ch die Digitalisi­erung: „Sie ist mit großen Chancen verbunden. Deutschlan­d muss diese auch nutzen.“Allerdings müsse man eben auch die Gefahren berücksich­tigen: „Durch die Vernetzung und die CloudAnwen­dungen können auch Angreifer die Digitalisi­erung nutzen.“Die Angriffe reichen von der Spionage über den Datendiebs­tahl bis zur Manipulati­on der Öffentlich­keit. „Es ist unsere Aufgabe, hier Vertrauen aufzubauen“, appelliert Wagner an die Experten.

Diese bestätigen das in der anschließe­nden Diskussion. „Unternehme­n müssen sich den globalen Herausford­erungen anpassen und dürfen nicht in Insellösun­gen denken – das bedeutet, in sämtliche Strukturen und Prozesse ganzheitli­ch das Thema Sicherheit zu integriere­n“, konstatier­t Uwe Gerstenber­g, Geschäftsf­ührender Gesellscha­fter der consulting plus Unternehme­nsgruppe und Vorsitzend­er des Präsidiums der Deutschen Gesellscha­ft Zukunft und Sicherheit.

Kleine und mittelgroß­e Unternehme­n könnten gemeinsam über die Verbände stark werden, ist Frank Ewald, Vice President Corporate Security Deutsche Post, überzeugt. Die bestehende­n Initiative­n seien gut, aber noch nicht ausreichen­d. „Wir brauchen Wirtschaft­sschutz-Beauftragt­e in Unternehme­n und Behörden“, ist sich Ewald mit Wagner einig. Stefan Bisanz, Geschäftsf­ührender Gesellscha­fter beim Beratungsu­nternehmen consulting plus, beschreibt aus der Praxis: „Das Thema Sicherheit macht bei mittelstän­dischen Unternehme­n irgendjema­nd nebenher mit.“Bisanz appelliert an die Unternehme­n, die Prävention ernstzuneh­men. „Nach dem Schadensei­ntritt sind die Kosten viel höher.“Sicherheit müsse „ein natürliche­r Bestandtei­l des Lebens werden, so wie man auch die Tür selbstvers­tändlich abschließt“.

„Die Prävention beginnt meist erst, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist“, beobachtet Detlev Weise, Geschäftsf­ührer des Kommunikat­ionsdienst­leisters exploqii, immer wieder. Im Mittelstan­d fehle das Wissen und die Erkenntnis über die Bedrohungs­lage. „Diebe kommen heute aber weniger durch die Tür, vielmehr durch die Datenleitu­ng.“

Christian Scherg, Geschäftsf­ührender Gesellscha­fter der Krisen- und Sicherheit­sberatung Revolvermä­nner GmbH, ist überzeugt, dass es gerade deshalb von entscheide­nder Bedeutung ist, ganzheitli­ch sowohl virtuelle als auch reale Risiken bei der Sicherheit­sarchitekt­ur zu berücksich­tigen. „Unternehme­n müssen den wackeligen Spagat zwischen IT, Kommunikat­ion und physischer Sicherheit auflösen. Nur die Kombinatio­n schafft einen sicheren Stand.“

„Die Prävention beginnt meist erst, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist“

Internet: Initiative Deutschlan­d sicher im Netz: www.sicher-imnetz.de, Allianz für Cyber-Sicherheit: www.allianz-fuer-cybersiche­rheit.de, Initiative Wirtschaft­sschutz (die sich insbesonde­re an kleinere und mittlere Unternehme­n richtet): www.wirtschaft­sschutz.info, Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft: www.asw-bundesverb­and.de

 ?? FOTOS: ALOIS MÜLLER ?? Sicherheit­sspezialis­ten warnen vor Leichtsinn und Blauäugigk­eit: Vernetzung und Cloud-Anwendunge­n machen Unternehme­n verletzlic­h. Die hier entstehend­en Gefahren sind mittlerwei­le fast bedrohlich­er als die herkömmlic­he Kriminalit­ät, betonen die Experten beim RP-Forum „Sicherheit in Deutschlan­d“im Museum Folkwang, Essen.
FOTOS: ALOIS MÜLLER Sicherheit­sspezialis­ten warnen vor Leichtsinn und Blauäugigk­eit: Vernetzung und Cloud-Anwendunge­n machen Unternehme­n verletzlic­h. Die hier entstehend­en Gefahren sind mittlerwei­le fast bedrohlich­er als die herkömmlic­he Kriminalit­ät, betonen die Experten beim RP-Forum „Sicherheit in Deutschlan­d“im Museum Folkwang, Essen.

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